200 Jahre Carl Heymanns Verlag

Vom Antiquariat zum Softwarehaus

6. November 2015
von Börsenblatt
200 Jahre Carl Heymanns: Vieles, was Rang und Namen hatte, darunter die Autoren des Verlags, fand sich gestern zum Festakt im Kölner Gürzenich ein – nicht nur von Rechts wegen eine der eindrucksvollsten Jubiläumsfeiern der letzten Jahre.

"Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche", soll Gustav Mahler einmal gesagt haben. Ein Spruch, der gut charakterisiert, was den Carl Heymanns Verlag bis heute ausmacht. Ralf Heinen, Bürgermeister der Stadt Köln, schmückte mit diesem Zitat sein Grußwort bei der 200-Jahr-Feier gestern abend im Gürzenich. Heinen trat stellvertretend für die neugewählte Oberbürgermeisterin Henriette Reker auf, die nach der Messerattacke vom 17. Oktober auf dem Wege der Besserung sei und gute Fortschritte mache. Die mehrhundertköpfige Festgemeinde - unter ihr Politprominenz wie der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin und der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und WKD-Beirat Wolfgang Clement – entsandte unter großem Applaus die besten Genesungswünsche.

Getanzte Geschichte

Das Jubiläumskomitee von Wolters Kluwer hatte sich mächtig ins Zeug gelegt, um die Gäste mit einem interessanten und abwechslungsreichen Programm – charmant moderiert von Alexa Iwan – zu unterhalten. Blickfang war zunächst eine Tänzerformation, die hinter einer Leinwand eine Scherenschnitt-Choreographie aufführte, die die 200-jährige Geschichte des Verlags in Bilder fasst. 1815 von Carl Heymann als Antiquariat und Leihbibliothek im schlesischen Glogau gegründet, erscheint 1826 das erste Verlagswerk. 1835 verlegt Heymann den Sitz des Unternehmens nach Berlin; 1871 übernimmt Otto Löwenstein den Verlag. Anni Gallus, Löwensteins Adoptiv-Tochter, wird 1918 Inhaberin und führt den Verlag bis zu ihrem Tod 1963. 2006 wird der Verlag von seinen Gesellschaftern an Wolters Kluwer Deutschland verkauft.

Für Wolters Kluwer, so der Geschäftsführungsvorsitzende Ulrich Hermann in seiner Eröffnungsrede, sei der Erwerb des Verlags "zugleich der Beginn einer neuen Ära hin zum digitalen Informationsdienstleister für Rechtsinformationen" gewesen. 2006 habe Wolters Kluwer Deutschland (WKD) 500 Mitarbeiter, davon 90 bei Carl Heymanns, beschäftigt; heute seien es deutschlandweit 1.200, davon allein 450 in Köln. Die Entwicklung zum digitalen Lösungsanbieter hat das Bild des Unternehmens natürlich stark verändert. Heute sind allein 180 Software-Ingenieure bei WKD angestellt. 60 Prozent des Umsatzes würden mit digitalen Inhalten und Produkten gemacht, so Hermann.

Als zweitältester juristischer Fachverlag in Deutschland (nach C.H. Beck, der 252 Jahre alt ist) ist Carl Heymanns unter WKD-Chefverleger Burkhard Schulz einer der bedeutendsten Lieferanten juristischer Fachliteratur. Zahlreiche Standardwerke und maßgebliche Zeitschriften erscheinen unter seinem Dach, aber auch so wichtige Entscheidungssammlungen wie die BGHZ (Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen), deren 200. Band im 200. Jahr herausgekommen ist.

Zurück zum Partikularismus?

Ein inhaltlicher Höhepunkt des Abends war die Festrede des früheren Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio, der die Entwicklung des europäischen und transatlantischen Gedankens, wie er sich in der Staatenarchitektur vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg manifestiert hat, Revue passieren ließ und dabei die skeptische Frage stellte: "Befinden wir uns auf dem Weg zum Weltrecht oder wieder zurück zum nationalen Partikularismus?" Vor allem die Reaktion auf aktuelle Krisen wie in Syrien zeige, dass die "pazifizierten" Gesellschaften Europas und des Westens insgesamt nicht in der Lage seien, im Nahen Osten ordnungspolitisch zu wirken, sondern vielmehr die militärische Initiative Putin und Erdogan überließen. Di Fabio beobachtet eine Spaltung Europas in die "guten" Eliten und populistische Bewegungen: "Es ersteht eine Rechte, die völkische und aggressive Töne anschlägt." Zum Schluss appellierte er an die "Universalität des Rechtsgedankens von der Würde des Menschen - jedes einzelnen Menschen."

Der Festakt im Gürzenich, der schon im späten Mittelalter erbauten Feierstube des Kölner Bürgertums und Adels, war auch Schauplatz der Überreichung des zweiten "Carl Heymann Preises" (mit dem englischen Beinamen "European Legal Award"). Er ging an den – musste man nach der Laudatio seines Schülers Georg Bitter glauben – Universalrechtsgelehrten Karsten Schmidt, der unter anderem von 2004 bis 2012 Präsident der Bucerius Law School in Hamburg war. Bei Carl Heymanns ist Schmidt vor allem wegen zweier Grundlagenwerke unsterblich: "Handelsrecht" und "Gesellschaftsrecht", wegen ihrer blauen Einbände vom Autor auch als "blaue Wunder" bezeichnet.

Neben vielen wissenschaftlichen Begabungen und kulturellen Interessen zeigte Schmidt bei seiner launigen Dankrede noch ein besonderes Talent: das des Unterhalters, der eine ganze Jubiläumsgesellschaft mehrfach zum Lachen bringen kann. Die Rechtswissenschaft ist ja nicht durchgängig mit Menschen gesegnet, die gewitzt und komisch zugleich sind.

Bevor es zum Buffet ging, stellte Hanns Prütting (Universität Köln) die Jubiläumsfestschrift vor: "Recht im Wandel europäischer und deutscher Rechtspolitik" – ein Querschnitt durch alle Rechtsgebiete auf der Höhe der wissenschaftlichen Diskussion (528 S., 148 Euro). 37 Autoren aus allen Verlagen hätten auf Anfrage sofort zugesagt mitzumachen, so Prütting stolz.