Gastspiel von Regine Kiepert

Unsichere Touristen

24. März 2016
von Börsenblatt
Eine Reisebuchhandlung ist ein Spiegelbild der politischen Wetterlage, Unruhen und Attentate wirken sich sofort auf den Verkauf der Bücher aus: Beobachtungen von Regine Kiepert.

Ein junger Mann in Parka und Turnschuhen betritt den Laden: "Was haben Sie zu Syrien?" Oh – wer möchte heute noch nach Syrien reisen? Die in Reiseführern beschriebenen Sehenswürdigkeiten gibt es nicht mehr. Sucht er nach Landkarten? Ist er ein potenzieller IS-Kämpfer? Oder will er einfach etwas über ein kulturhistorisch bedeutendes und nun nicht mehr frequentiertes Reiseziel erfahren? Davon gibt es derzeit ­einige: Unsere Reiseführer zum Nahen Osten, für Ägypten, den Libanon und für Tunesien liegen wie Blei in den Regalen.
Die Zurückhaltung vieler Touristen, derzeit in ein muslimisches Land zu reisen, ist deutlich spürbar. Selbst die Nachfrage nach Oman-Reiseführern und -karten ist etwas zurückgegangen. Dabei galt der Oman bisher als boomendes, sehr sicheres und angenehmes Reiseziel im Vorderen Orient – wovon ein Regalmeter mit Reiseführern Zeugnis ablegt. Hoffentlich verstauben uns die Bücher nicht – aus unserer Ägyptenabteilung haben wir im vergangenen Vierteljahr gerade einen Titel zur Nilkreuzfahrt verkauft. Auch Israel schwächelt, weil die Kunden es nicht mehr als sicheres Reiseziel ansehen.
Eine Ausnahme gibt es: Iran, das alte Persien. Seit drei Jahren, seit sich die Verhandlungen des Westens mit dem Iran erfolgversprechend zeigten, ist die Nachfrage explosionsartig angestiegen, worauf der Reiseführermarkt sehr spät reagiert hat. Inzwischen werden die Auflagen einiger Iran-Reiseführer jährlich erneuert. Verwunderlich, dass Baedeker noch nicht in diese Marktlücke gesprungen ist, denn die bildungsbürgerliche Baedeker-Kundschaft entspricht so ziemlich zu 100 Prozent der Zielgruppe, die dieses Land aktuell in Gruppenreisen erobert.
Auch Kuba, schon immer ein gern besuchtes Reiseziel, bricht seit der Öffnung durch die Decke. "Man sollte jetzt noch schnell dorthin reisen, bevor die Amerikaner kommen. Dann gibt es dort nur noch McDonalds und die alten Autos sind verschwunden" – solche Sätze hören wir fast täglich. Hier haben die Verlage reagiert, für Kuba gab es auf einen Schlag eine ganze Parade neuer Reiseführer und Karten, ähnlich wie nach der politischen Liberalisierung in Burma / Myanmar. Es bleibt abzuwarten, ob und wann sich dieses Ereignis dereinst auch für Nordkorea einstellt, für das es bei Trescher einen deutschsprachigen Reiseführer gibt. Der Verlag wird demnächst auch einen Buthan-Reiseführer herausbringen – es gibt sie doch noch, die idealistischen Verlage mit Haltung wie Trescher, der im März 2011 seinen brandneuen Japan-Reiseführer nach Fukushima sofort als Makulatur einstampfen konnte.
Ich erinnere mich gut, wie viele Menschen am Tag dieser Katastrophe an unseren Globen drehten, um zu prüfen, ob die Gefahr der nuklearen Giftwolke bis nach Deutschland reichen könnte. Gut, dass wir in unserem Sortiment so viele Globen haben, sie sind eine konstante Größe in unserem Warengruppenabverkauf. Das neue Sorgenkind in unserer Reisebuchhandlung ist die Türkei. Istanbul, in den letzten Jahren Spitzenreiterin unter den Städtereisen mit 20 Reiseführern bei uns, weist nach dem Attentat auf eine deutsche Reisegruppe eine tiefe Delle im Abverkauf auf.
Für die sichere Alternative Deutschland geben die Kunden leider nicht sehr viel Geld für Reiseführer und Karten aus, weil sie glauben, sie kennen sich aus – schade. Übrigens: Wenn gewisse Krisengebiete von Touristen gemieden werden, kommen Vertreter von Politik und Militär als Kunden zu uns und kaufen größere Stückzahlen von Landkarten zum Thema Nahost, Afrika oder Balkan.