Interview mit Abir Mukherjee

"Ich glaube, es fing mit einer Art Midlife-Krise an"

30. August 2018
von Börsenblatt
Abir Mukherjee ist ein britischer Autor mit indischen Wurzeln. Seine Eltern sind in den Sechziger Jahren nach England ausgewandert, er wuchs in Glasgow auf. Sein erster Roman "Ein angesehener Mann" um das Ermittlerduo Captain Sam Wyndham und seinen Sergeant Surrender-not Bannerjee, erschienen bei Heyne, schaffte es in England direkt auf die Bestsellerlisten. Jetzt liegt der zweite Band der Reihe vor.   

Was hat Sie dazu inspiriert, Krimis zu schreiben?

Im Vergleich zu Ländern wie Deutschland, die sich zu ihren Taten in der Vergangenheit bekennen, tendieren wir Briten dazu, unsere Geschichte zu vertuschen. Wir lernen in der Schule nichts über die Geschichte des britischen Reichs und als Konsequenz glauben viele Leute, dass es eine gute Sache war. Das ist weit von der Wahrheit entfernt und ich wollte diesen Glauben in gewisser Hinsicht korrigieren. Gleichzeitig wolte ich kein Geschichtsbuch schreiben, sondern ein größeres Publikum erreichen. Ich war schon immer ein Fan von intelligenter Kriminalliteratur und als ich dann mein eigenes Buch schrieb, war ein Krimi eine naheliegende Wahl.

Warum schreiben Sie historische Krimis? Was ist an der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg so faszinierend?

Ich glaube, die besten Bücher sind die, die unsere Fantasie anregen, sodass wir uns fast als Teil der Handlung fühlen. Ein guter historischer Roman kann uns in die Zeit und den Schauplatz der Handlung transportieren, sodass Geschichte für den Leser lebendig wird. Die Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg ist der eigentliche Beginn unserer modernen Zeit. Der Krieg hat nicht nur politische Regime in Europa verändert, sondern den Menschen auf der ganzen Welt auch die Augen über ihre Regierungssysteme geöffnet.

Warum haben Sie Indien und besonders Kalkutta als Schauplatz gewählt?

Für mich ist die Zeit der britischen Herrschaft in Indien faszinierend und sie wurde vor allem in der Kriminalliteratur nicht beachtet. Diese Zeit hat viel zur heutigen Entwicklung Indiens und Großbrittanniens beigetragen, dabei traten die besten und auch schlechtesten Seiten beider Völker zu Tage. Kalkutta habe ich als Schauplatz gewählt, weil meine Eltern daher stammen und es damals die führende Stadt in Asien war. Sie war allerdings als Zentrum der Unabhängikeitsbewegung auch großem Wandel unterlegen.

Wie recherchieren Sie für Ihre Bücher?

Da meine Eltern aus Kalkutta stammen, habe ich viel durch Fragen an Familienmitglieder und Freunde erfahren und zahlreiche Besuche haben mir ein Gefühl für die Stadt vermittelt. Ich recherchiere auch online oder in der British Library in London. Manchmal kommt mir eine Idee für ein Buch auch erst bei der Recherche. Ich wollte, dass mein zweites Buch, "Ein notwendiges Übel", in einem indischen Fürstenstaat spielt und bin auf die Geschichte der Begums von Bhopal gestoßen, die von 1819 bis 1926 regiert haben, ungeachtet der Opposition durch Nachbarn und die britische East India Company. Diese Frauen waren sehr einflusseich, aber wurden von der Geschichte vergessen. Häufig waren Maharanis und Prinzessinnen die eigentlichen Bewahrer der Traditionen. Das hat mich fasziniert und ich wollte von ihnen erzählen.

Haben Sie schon immer davon geträumt, Autor zu werden?

Autor zu sein war immer mein Wunsch, aber ich habe nie geglaubt, gut genug zu sein und meine Prorität war meine Familie. Als ich tatsächlich die Chance bekam, ein Autor zu sein, ist ein Traum wahr geworden.

Für Ihr erstes Buch haben Sie den CWA Historical Dagger Award gewonnen und es ist auf britischen Bestsellerlisten erschienen. Wie stehen Sie zu Ihrem Erfolg?

Es war eine wundervolle und unerwartete Überraschung, dass Leute meine Bücher mögen. Als ich vor fünf Jahren mit dem Schreiben anfing, konnte ich mir in meinen wildesten Träumen nicht vorstellen, dass meine Bücher Bestseller werden und international erscheinen. Dennoch werde ich mich nicht als erfolgreich sehen, solange ich nicht meinen täglichen Job aufgeben und mich voll auf das Schreiben konzentrieren kann.

Waren Sie aufgeregt, als Sie ihr erstes Manuskript eingereicht haben?

Der Weg zur Veröffentlichung meiner Bücher war eher ungewöhnlich. Ich glaube, es fing mit einer Art Midlife-Krise an. Ich habe zwanzig Jahre als Buchhalter gearbeitet und als ich 39 Jahre alt war, habe ich gedacht, dass es im Leben möglicherweise mehr als Buchhaltung geben könnte. Dann sah ich ein Interview mit Lee Child, in dem es darum ging, wie er mit vierzig Jahren angefangen hat zu schreiben und dachte: warum nicht? Ich wollte schon immer schreiben und es schien eine bessere Art zu sein, mit meinem Alter umzugehen als ein Motorrad zu kaufen oder mein Ohr zu piercen. 2013 habe ich mit "Ein angesehener Mann" begonnen und kurz darauf von einem Wettbewerb gelesen, in dem noch unveröffentliche Krimiautoren gesucht wurden. Da habe ich die ersten Kapitel und ein Exposé eingereicht. Ich habe wirklich nicht damit gerechnet zu gewinnen.

Schreiben Sie bereits an einem weiteren Buch?

Gerade schreibe ich am vierten Buch der Sam Wyndham-Reihe. Es spielt zum Teil 1922 im Osten Indiens, aber auch 1905 in London während Sams Zeit als Polizist. Der Grund dafür sind die aktuellen Diskussionen über Immigration. Die Debatten sind ähnlich wie die zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezüglich der jüdischen Immigranten aus Osteuropa. Nach fünfzig Jahren ist die jüdische Gemeinschaft jedoch komplett in die Gesellschaft integriert, während sie gleichzeitig ihre kulturelle Identität bewahrt. Ich wollte den Lesern zeigen, dass, falls man sich an der Geschichte orientieren kann, wir optimistisch in die Zukunft sehen können.