Lieblingsbuchhandlung: Lukas Rietzschel über die Comenius-Buchhandlung in Görlitz

Wie an Weihnachten

13. September 2018
von Börsenblatt
Lukas Rietzschel wurde 1994 in Räckelwitz (Ostsachsen) geboren und lebt in Görlitz. Sein Romandebüt "Mit der Faust in die Welt schlagen" erscheint im September bei Ullstein. Bücher kauft er in der Comenius-Buchhandlung in Görlitz – seine Definition von Luxus.

Die Buchhandlung meiner Heimatstadt hatte sich auf Hamburger Lesehefte spezialisiert. Schullektüre. Ein großes Regal Reclam, ein paar Bücher von Diogenes. Vor allem "Der Vorleser". Gegenüber kann man Blumen kaufen. Es folgen: eine leere Schleckerfiliale, eine orthopädische Schuhhandlung, ein Kiosk und das Winzereck, ein heute leer stehender Eckladen, wo man bis vor wenigen Jahren noch Schokolade kaufen konnte. Dort entdeckte ich meine Liebe zu Erfrischungsstäbchen und Geleebananen.

In Görlitz, wo ich heute lebe, gibt es nur eine Buchhandlung, eine christliche. Hier kann man das ganze Jahr über Herrn­huter Sterne kaufen. Am beliebtesten sind nach wie vor die roten. Außerdem Losungen und Reiseführer. Es gibt Schwarz-Weiß-Karten von Görlitz, die aussehen wie Kondolenzkarten. DDR-Kinderbücher liegen im Schaufenster, die haben sich bewährt, neuerdings auch ­Graphic Novels. Zielgruppen­erweiterung. Und: Auch bei dieser Buchhandlung befindet sich der Blumenladen gegenüber. Ich wüsste gern, woran das liegt.

Ich kann verstehen, dass es nahezuliegen scheint, dass Schriftsteller diesen einen Ort haben, wo sie ihre Bücher herbekommen. Einen Ort der Inspiration, der Erweckung vielleicht. Das Licht, der Duft, der nette Verkäufer, die schöne Tochter des netten Verkäufers. Hohe Regale, vielleicht aus echtem Holz, verlebt, angestoßen. Oder dieser neue Hochglanz; Tische mitten im Raum und ringsherum Vintage und ausgesuchte Accessoires. Und vor allem natürlich hervor­ragend sortierte Literatur. Ich bin neidisch auf diese Orte.

Ich kann mich an die Verkäuferin nicht erinnern, als ich ­Bücher für die Schule kaufte. Ich weiß nicht mehr, welche ­Farbe der Teppich hatte, grün oder blau. Die Regale waren aus Buche, daran erinnere ich mich, Ikea-Buche, Pressspan. Ich war lange nicht dort, weil ich mich lange nicht für Literatur interessierte und irgendwann, als ich es doch tat, bei Amazon kaufte. Das böse Wort, ich weiß. Es lässt sich nicht verhindern. Mit dem Aussterben des Ortskerns rückte das Internet immer näher. Nachdem Schlecker, die Sparkasse und das Winzereck geschlossen hatten, gab es keinen Grund mehr, auf den Markt zu gehen. In manchen Wochen kam der Paketservice täglich. Wir fanden das irre praktisch. Hätte man sich damals schon Lebensmittel liefern lassen können, wir hätten den Wohnblock nie mehr verlassen.

Als ich später nach Görlitz kam, war ich verwundert über diese Buchhandlung in der Steinstraße, im ehemals jüdischen Textilkaufhaus, wo im Sommer die Weihnachtssterne hingen. Über die christliche Abteilung und die zahlreichen Reiseführer. Dazwischen Literatur, Biografien, Bestsellerliste und – auch hier – Schullektüre, Hamburger Lesehefte. Ich mag diesen Ort und ich mag ihn nicht. Er ist nicht schön, er riecht nicht gut, er macht nichts mit mir. Und dabei erwartet man doch heute, dass Orte etwas mit einem machen. Dieser Anspruch an das Verkaufserlebnis, diese besonders nette Kapitalismusatmosphäre. Ich kann hier Bücher kaufen, das reicht mir. Das ist Luxus, angesichts der brachliegenden Städte um mich herum.