Constanze Kleis über derbsprachliche Buchtitel

Arsch-Bomben

31. Januar 2019
von Börsenblatt
Unsere Kolumnistin Constanze Kleis macht sich ein paar Gedanken zur Häufung derbsprachlicher Novitätentitel. Dem Trend, ein Buch auf die Weise kumpelhaft wirken zu lassen, sagt sie das baldige Ende voraus.

Soviel vorneweg: Lassen Sie das hier nicht Ihre minderjährigen Kinder lesen. Es könnte sonst argumentativ eng werden mit dem Gebot: Du sollst keine Fäkalsprache gebrauchen! Jedenfalls, wenn man mal davon ausgeht, dass Erwachsene Vorbildfunktion besitzen und also besser nichts von dem in den Mund nehmen, für das man ihn in Zeiten schwarzer Pädagogik auch schon mal mit Seife ausgewaschen bekam. Andererseits kann es einem auch am Arsch vorbeigehen, folgt man einem erstaunlichen Trend ausgerechnet auf dem Buchmarkt: auf zunehmend stärkere Reize zu setzen und dabei ähnlich subtil vorzugehen wie Friedrich Merz auf seinem Weg ins Kanzleramt.

Mit Titeln wie "Große Ärsche auf kleinen Stühlen" von ­Benni-Mama (Fischer), "Chance mich am Arsch" von Axel Koch (Econ), "Ihr kriegt den Arsch nicht hoch" von Evi Hartmann (Campus), "Newton. Wie ein Arschloch das Universum neu erfand" von Florian Freistetter (Carl Hanser) und dem erfolgreichsten Arsch von allen, "Am Arsch vorbei führt auch ein Weg!" von Alexandra Reinwarth (mvg), häuft sich in letzter Zeit die Zahl der Autoren, die den Schimanski geben. Und man kann Hannes Jaenicke, Umweltaktivist, Schauspieler und Bestsellerautor, nur für seine Weitsicht bewundern, mit der er 2017 "Wer der Herde folgt, sieht nur Ärsche" (Gütersloher Verlagsanstalt) herausbrachte.

Wer "A" sagt, will natürlich vor allem "E": nämlich Erleichterung. Möchte ganz ohne Umweg über Besonnenheit, Re­flexion, Intellekt direkt zur Sache kommen. Eigenschaften, die ja ohnehin zunehmend unter Generalverdacht stehen, bloß ­Synonym für Heuchelei und Verschleierungstaktik zu sein. Wo nicht lange gefackelt oder verdaut, sondern umstandslos rausgehauen wird, vermutet man dagegen Ehrlichkeit und Authentizität und also ein Buch, das wie ein grundsympathischer Kumpel wirkt. Einer, mit dem man vermutlich nicht die letzten Rätsel der Quantenphysik lösen wird, aber sicher in Uschis Pilsstube in schönster Verständnisinnigkeit sehr gut mehr als bloß ein Bierchen zischen kann, um so ungefähr ab 1,2 Promille das Problem mit dem Weltfrieden, den Flüchtlingen, den nervigen Kollegen und der Klimaerwärmung endlich mal final zu lösen.

Eine so schöne Idee, sie könnte auch von Donald Trump sein. Dem erklärten Feind von allem, was komplizierter ist als ein Klettverschluss. Und sie ist enorm erfolgreich. Immerhin haben es außer Thilo Sarrazin auch weitere Kraftmeier geschafft, sich auf den Bestsellerlisten so häuslich einzurichten, dass es sich für sie schon lohnen würde, dort einen Briefkasten anzubringen. Das kann man bewundern. Muss man aber nicht. Es darf einem auch total wumpe sein. Spätestens seit dem Bestseller von Tommy Jaud "Einen Scheiß muss ich" (Fischer), sozusagen dem Urknall der Entlastungsliteratur.

Ja, das wird man – mit Verlaub – ja wohl noch mal sagen dürfen. Auch, dass man sich mit dem, was einmal "Gossensprache" hieß, nicht gerade in allerbester Gesellschaft bewegt. Schließlich zünden auch und gerade Rechtspopulisten wie Akif Pirinci gehäuft verbale Arsch-Bomben. Andererseits kann sich das Thema bald von selbst erledigt haben. Denn nichts nutzt sich schneller ab als die ewig gleiche Provokation, und nirgendwo wird es langweiliger als unter der Gürtellinie, wenn dort schon Autoren Schlange stehen. Deshalb kann man wenigstens eines schon mit ziemlicher Sicherheit für das aktuelle Jahr prognostizieren: Zumindest die Ärsche auf den Buchtiteln dürften bald ihre beste Zeit hinter sich haben. Und so können wir wenigstens in diesem Punkt schon mal entspannt dem neuen Jahr entgegensehen.