Festivalkongress "Fokus Lyrik" in Frankfurt

Esst mehr Lyrik!

11. März 2019
von Nils Kahlefendt
Wie, bitte, verkauft man einen Gedichtband? Ob sich das Engagement für zeitgenössische Lyrik und wirtschaftliche Interessen vereinen lassen, versuchte ein Podium auf dem Frankfurter Festivalkongress „Fokus Lyrik“ zu erkunden.      

Natürlich durfte bei Fokus Lyrik, dem schlaraffisch-opulenten Frankfurter "Festivalkongress“, bei dem von Donnerstag bis Sonntag rund 100 Akteure der Szene über nicht weniger als die Zukunft der Lyrik in Deutschland nachdachten, auch die berühmte Enzensberger’sche Lyrik-Konstante nicht fehlen: „Die Zahl von Lesern, die einen neuen, einigermaßen anspruchsvollen Gedichtband in die Hand nehmen“, befand der Autor 1989, „lässt sich empirisch ziemlich genau bestimmen. Sie liegt bei plusminus 1354.“

Von dieser Quote dürften die meisten lebenden Dichterinnen und Dichter inzwischen allerdings träumen: Im vielerorts ums Überleben kämpfenden Buchhandel ist kaum Platz für sie. „Lyrik ist schwürig“, kalauerte schon Wiglaf Droste. Dachte er dabei vielleicht auch an die Ladenkasse? Die Frage also: Lassen sich das Engagement für zeitgenössische Lyrik und handfeste wirtschaftliche Interessen überhaupt unter einen Hut bringen? Und wie, bitte, soll das im echten Leben funktionieren? Das wollte der Lyriker, Übersetzer, Lektor und gelernte Buchhändler Tim Holland beim Festival-Podium Lyrik verkaufen von seinen Gästen erfahren. Spannende Sache, leider waren die Akteure auf der Bühne die einzigen Sortimenter im Vortragssaal des MMK.

Sucht euch Komplizen!

Regina Moths (Literatur Moths, München) hat seit 2016 einen Platz für Poesie freigeräumt, den sie eben nicht lieblos „Lyrik-Ecke“, sondern passend zu ein paar ausrangierten Kinoklappsitzen, Sperrsitz nennt. „Wir versuchen, hier geistige Sprengsätze zu zünden. Ich bin über das Verlagshaus Berlin und ihren Slogan Poetisiert euch! zur Gegenwarts-Lyrik gekommen. Das war ein neuer Ton, der mit meinen ganzen Orchideen-Vorbehalten gebrochen hat.“ Moths hat den Lyriker Tristan Marquardt (der zusammen mit Monika Rinck auch das Frankfurter Festival kuratierte) gebeten, ihr das Programm zusammenzustellen – und zwei bis drei Veranstaltungen pro Jahr zu organisieren. „Ich war überrascht, wie gut vernetzt die lyrische Szene ist“, so Moths, „und habe mir das zunutze gemacht. Sucht euch solche Verbündete!“ Ludwig Lohmann von der Berliner Buchhandlung Ocelot spricht in diesem Zusammenhang von Komplizenschaften, die es mit Verlagen und Lyrikern aufzubauen gelte.

Amortisiert sich das?

Lohnen sich die Veranstaltungen? Oder, um mit einem Kookbooks-Titel von Tristan Marquard zu fragen: Amortisiert sich das? Wir haben’s geahnt: Auf einen halbwegs grünen Zweig kommen finanziell eher nur die eingeladenen Lyriker. Für die Buchhändler steht der Image-Faktor im Vordergrund. „Wir erreichen mit unseren Lyrik-Veranstaltungen im Schnitt 50 Besucher pro Lesung“, sagt Ludwig Lohmann. „Wir erzeugen Aufmerksamkeit und zahlen nicht drauf, das ist für uns OK.“

Robert Renk, der sich bei der Wagner’schen in Innsbruck um rund 50 Lesungen pro Jahr kümmert, weiß, dass es überaus hilfreich ist, wenn man Lyrik live erlebt. Nicht nur Nora Gomringer oder Jan Wagner sind tolle Performer; Renk lässt auch literarische Gäste, die, wie etwa John Burnside, mit einem Roman im Gepäck anreisen, zu Anfang ein Gedicht vortragen. Lyrik und Essays machen ein Zehntel des Sortiments der Traditionsbuchhandlung aus, die 2006 an Thalia verkauft, 2015 von Markus Renk und Markus Hatzer übernommen wurde. „Wir haben unsere literarische Position zurückerobert, auch mit Lyrik. Es ist, wirtschaftlich betrachtet, nicht unsere beste Warengruppe. Aber der Image-Gewinn ist beträchtlich.“

Kein Sonderstatus für Lyrik

Seit immerhin 19 Jahren gibt es die Parasitenpresse in Köln. „Wir sind mit dem Gestus von Dichtern für Dichter gestartet und haben lange nicht an die Buchhändlerinnen und Buchhändler gedacht“, sagt der Lyriker und Mitherausgeber Adrian Kasnitz. Seit einem Jahr immerhin haben die Parasitenbände ISBN und Barcode. Als Moderator Holland beim Gespräch über Bezugswege im Licht der KNV-Insolvenz in den Raum stellt, dass Lyrik doch „nicht so schnell“ sein müsse, schießt Regina Moths scharf: „Ich bin dagegen, Lyrik auf die Blümchenwiese zu schicken. Die muss auch professionell verkauft werden – und Ende!“

Dating-Plattform für Lyriker und Buchhändler

Im „Farbfernsehen“ (Moths) findet Lyrik nicht statt – und gut gemeinte Appelle zum Welttag der Poesie sind in ihrer Nähe zu „Esst-mehr-Obst“-Kampagnen oft das Gegenteil von gut. Der Indiebookday [https://www.indiebookday.de] immerhin zeigt mit hoher Street credibility, wie es gehen könnte. Wie aber lässt sich mehr Sichtbarkeit für Lyrik erreichen? Eine „Dating-Plattform“, die Lyriker, Übersetzer, Verlage und Buchhändler miteinander vernetzt, wäre, logisch, ebenso wünschenswert wie mehr öffentliche Förderung. Ob man Zwischenhändler für kuratierte Lyrik-Pakete nach dem Vorbild der „Kunstwanne“ gewinnen kann, scheint aktuell eher zweifelhaft. Dann schon eher: Warenkunde. „Es schadet schon mal nichts, wenn Buchhändlerinnen und Buchhändler Lyrik kennen und mögen“, meint Ludwig Lohmann.

In der Ausbildung in Berlin, so der Ocelot-Mann, fände sie derzeit leider nicht statt. „Wenn Sie’s schaffen, einen Rundum-Sorglos-Lyrikabend auf Tour zu schicken, komplett bezahlt und vielleicht noch mit gutem Moderator“, so der Innsbrucker Robert Renk an die Adresse der Verlage, „wäre vielen noch zögernden Buchhändlern enorm geholfen“. Das wiederum klingt ein wenig wie der Wunsch nach der berühmten eierlegenden Wollmilchsau. Fazit: Lyrik ist nach wie vor so etwas wie Schmuggelware. Um sie an den Platz neben der Ladenkasse zu schleusen, braucht es viele Verbündete, Geduld – und fast schon kriminelle Energie.