Interview mit Waterstones-Chef James Daunt

"Wir wollen expandieren"

21. März 2019
von Börsenblatt
James Daunt, Chef der britischen Kette Waterstones, glaubt nicht an herkömmliche Filialkonzepte: Die Zukunft gehöre individuell geführten Buchhandlungen – auch in Konkurrenz zum Onlinehandel.

Seit Mai 2018 gehört Waterstones mehrheitlich dem US-Hedgefonds Elliot Advisors. Wie hat sich das auf Ihr Unternehmen ausgewirkt?
Das Geschäft muss nach den Interessen, Anregungen und Wünschen der Eigentümer ausgerichtet werden. Wir haben zweifellos einen Finanzeigner, der möchte, dass wir wachsen und mehr Geld verdienen, damit er uns für mehr verkaufen kann. Das ist nicht anders als bei unserem vorigen Eigentümer. Für uns ist das im Augenblick gut, weil wir wachsen und mehr verdienen wollen – weil wir expandieren wollen. In diesem Sinne sind wir auf einer Linie mit unserem Eigentümer, und es läuft alles sehr gut für uns. Ich weiß aber auch, dass dies nicht immer der Fall sein wird und wir eine Eigentumsform finden müssen, wahrscheinlich mit dem nächsten Eigentümer, mit dem wir in eine stabilere Phase eintreten können.

Der US-Gigant Amazon vergrößert seinen Marktanteil überall in Europa. Ist der Onlinehandel nicht zu stoppen?
Der Onlinehandel wird weiter wachsen – und ich bin sicher, das dies Auswirkungen auf fast alle Märkte hat. Amazons Wachstum allerdings scheint sich hier bei uns in Großbritannien gerade etwas auszubalancieren. Abgesehen davon müssen wir sehr gut sein in dem, was wir tun: Die Kunden vergeben es uns nicht, wenn wir scheitern. Deshalb müssen diese drei Faktoren stimmen: informierte Mitarbeiter, ein attraktiver Laden und gute Bücher, passend zugeschnitten auf den jeweiligen Kundenstamm. Andernfalls wechseln Kunden direkt zu Amazon – warum sollten sie nicht? Es funktioniert und es ist billiger! Hier in Großbritannien haben wir keinerlei Preisbindung, weshalb Amazon ganz erhebliche Rabatte geben kann und auch gibt: Die Preise liegen um 30 bis 50 Prozent unter denen von Waterstones. Es mag überraschend klingen, aber ich finde diese Zahlen beruhigend. Denn warum muss Amazon so stark rabattieren? Weil sich ein Buch, das man online kauft, einfach nicht so gut anfühlt wie eines, das man in einer Buchhandlung kauft.

Mit welcher Strategie wollen Sie die Dominanz des Onlinehändlers ­abwehren?
Für mich geht es vor allem darum, in die Qualitätsmerkmale zu investieren, die die Leute schätzen und die in einer Buchhandlung anders sind als online. Amazons Marktanteilsgewinne sind inzwischen relativ gering, und vieles davon ist struktureller Natur, weil wir unser Geschäft verändern: Unsere Läden bieten heute weniger Titel als früher, weil wir glauben, dass wir nicht da Bücher verkaufen sollten, wo wir keinen Mehrwert schaffen. Daraus folgt, dass wir heute weniger wissenschaftliche und technische Bücher verkaufen. Stattdessen haben wir unseren Fokus stärker auf Kinder- und Jugendbücher sowie Non-Books verlagert. Es ist eine Herausforderung, aber wenn man es umsichtig und gut macht, kann man seine Buchhandlung interessanter und anregender gestalten als Internetshops – und vor allem das Stöbern angenehmer machen.

Der deutsche Buchmarkt erlebt gerade eine Reihe großer Veränderungen, man denke nur an die Insolvenz von KNV und die Fusion von Thalia mit der Mayerschen. Nehmen Sie diesen Wandel in Deutschland und anderen europäischen Märkten bewusst zur Kenntnis?
Auch wenn ich vieles nicht im Detail kenne, scheint es in den meisten Märkten doch ein ähnliches Muster zu geben: Das Modell der Buchkette funktioniert nicht mehr, ich glaube, nirgendwo. Ironisch für jemanden, der selbst eine Kette betreibt. Aber die Wahrheit ist, dass ich dem Nutzen von Filialbuchhandlungen und dem, was es heißt, ein Filialbuchhändler zu sein, skeptisch gegenüberstehe. Klar, jeder Markt ist unterschiedlich, aber ich frage mich: Was sollte man tun, um ein Filialist zu sein? Welche Rolle spielen Buchhandlungen und wo ist ihr Platz innerhalb des Ökosystems? Ist es wirklich alles, immer weiter zu wachsen? Wir werden mehr und mehr von diesen großen Ketten beherrscht – in Großbritannien ist es tatsächlich nur noch eine – und es gibt eine Wachstums­dynamik, doch wie bringt man einen interessanten, individuellen Buchladen innerhalb einer Kette unter? Das ist eine große Herausforderung!

Sie sind für Ihre differenzierte Art, ein Geschäft zu betreiben, bekannt. Sie geben Ihren Angestellten volle Eigenverantwortung auf ihrer Ladenfläche und eröffnen Buchhandlungen ohne das Waterstones-Branding in kleinen Städten. Wie viel Mut braucht man dazu?
Individuellen Läden Autonomie zu geben, ist eine schwierige Sache. Auf der einen Seite ist es herausfordernd für die Läden, weil sie Rechenschaftspflicht und Verantwortlichkeit haben. Auf der anderen Seite müssen diese Fähigkeiten entwickelt und gefördert werden, um sinnvoll und gut eingesetzt zu werden. Es ist zudem ein technisches Problem. Denn wie nutzt man die Stärke eines größeren Unternehmens im Hinblick auf die Logistik so, dass man einem unabhängigen Händler Freiraum und Inspiration erlaubt? Das ist gewiss nicht einfach – das Pendel schwingt mal zur einen, mal zur anderen Seite – und es erfordert eine ständige Wachsamkeit, damit sich die Zentrale nicht zu sehr durchsetzt, obwohl sie gleichzeitig über die Kontrollmechanismen verfügt. Grundsätzlich läuft das gut, aber manchmal auch nicht: Man muss das Schlechte wie das Gute zulassen, um am Ende mehr Gutes als Schlechtes zu haben.

Welche Folgen könnte der Brexit für Waterstones und die britische Buchbranche generell haben?
Der Brexit ist politisch, moralisch, sozial und wirtschaftlich eine Katastrophe, aber innerhalb der engen Welt der Bücher ist es in jeder Hinsicht unglücklich. Ich bin ein großer EU-Anhänger, und auch wenn die EU nicht perfekt ist, halte ich sie für einen Beschützer von Minderheitsinteressen.

Waterstones
  • Eigentümer: Elliot Advisors (seit Mai 2018)
  • CEO: James Daunt
  • Filialen: mehr als 280
  • Mitarbeiter: mehr als 3.000

James Daunt, der CEO von Waterstones, wechselte 2011 von seinem eigenen Buchhandelsunternehmen an die Spitze des britischen Filialisten.