Constanze Kleis über die Doktorkittelflut auf Buchcovern

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3. April 2019
von Börsenblatt
... ich bin Arzt! So ruft es im Moment von vielen Buchcovern. Aber ist das eigentlich gesund? Eine Glosse von Constanze Kleis.

Es ist schon erstaunlich: Da braucht sich jemand nur einen weißen Kittel anzuziehen, und schon steigt uns Deutschen vor lauter Aufregung der Blutdruck. Dieser wissenschaftlich nachgewiesene "Weißkittel-Effekt" setzt sich vermutlich zu gleichen Teilen aus der Furcht zusammen, dass da jetzt etwas sehr ernst werden könnte, und aus der Begegnung mit einer der letzten unangefochtenen Autoritäten.

Vielleicht liegt es an vertrauensbildenden Maßnahmen wie Dr. House, "Emergency Room" und Dr. Brinkmann. Jedenfalls ist es wie Weihnachten oder Ostern schon fast Tradition hierzulande, dass Ärzte regelmäßig gemeinsam mit Feuerwehrmännern und Piloten Spitzenplätze beim Imageranking einnehmen.

Ein Phänomen, das sich seit einiger Zeit auch die Verlage zunutze machen, indem sie verbinden, was beim Leser – aber vor allem bei der Leserin – anscheinend ähnliche Reflexe auslöst wie die Klingel auf den pavlovschen Hund: das Thema Gesundheit mit einem Doktortitel und einem weißen Kittel.

In einem solchen sehen wir etwa Prof. Dr. Andreas Michalsen auf dem Cover seines Buchs "Mit Ernährung heilen. Besser essen – einfach fasten – länger leben" (Insel), auch Dr. med. Petra Bracht auf "Meine Gesundheitsformel. Gesund, schlank, glücklich" (GU) oder die Dermatologin Dr. med. Yael Adler auf "Darüber spricht man nicht". Letzteres ist umso bemerkenswerter, als die Bestsellerautorin auf dem Vorgänger-Megaseller "Hautnah" (Droemer) noch im deutlich vorteilhafteren türkisen Blazer zu sehen war.

Aber ganz in Weiß läuft's einfach besser, scheinen sich die Verlage zu denken. Und setzen dem Ganzen dann gern noch mit dem Gipfelkreuz des Mediziner-Eindrucksmanagements – dem Stethoskop – die Krone auf. Bei "Ran an das Fett. Heilen mit dem Gesundmacher Fett" trägt es Dr. med. Anne Fleck keck um den Hals. Ebenso wie Prof. Dr. Thomas Kurscheid bei "Low Carb. Neuester Stand" (Becker Joest Volk).

Warum eigentlich? Damit man den Arzt oder die Ärztin nicht mit dem Reinigungspersonal verwechselt? Ganz sicher ist "neuester Stand" im Zusammenhang mit einer Optik (die ungefähr so hip und trendy und modern wirkt wie das Filmplakat zu "Sauerbruch. Das war mein Leben" von 1954, als Götter in Weiß noch Ohrfeigen verteilten) eine ziemlich gewagte Behauptung.

Überhaupt wirken die Accessoires aus der tiefsten Mediziner-Klamottenkiste ähnlich raffiniert und kreativ wie die Gesundheitspolitik Jens Spahns. Laut Studien sind die weißen Kittel übrigens wahre Dreckschleudern. Man fand an ihnen nämlich die verschiedensten Krankheitserreger – darunter auch den berüchtigten MRSA-Keim. Schon weil laut einer Umfrage mehr als die Hälfte der Ärzte ihre Kittel nur einmal im Monat reinigen lässt – wenn überhaupt.

Das wurde zwar in den USA erforscht, aber hier dürfte es nicht viel anders sein, wenn man bedenkt, dass in Europa jährlich 33.000 Menschen an Krankenhauskeimen sterben.  

Je weniger weiße Kittel, umso erfreulicher für alle also. Das gilt für die Patienten, für mehr Demokratie im Medizinbetrieb – und vor allem auch für Buchcover.

Constanze Kleis schreibt Kolumnen für Magazine – und Bestseller mit Susanne Fröhlich.

Mehr zum Thema (gesunde) Ernährung finden Sie in der aktuellen Printausgabe des Börsenblatts, im Spezial Essen & Trinken.

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