Interview mit Verleger Michael Wienand

"Kunst muss sich stets in der Sphäre der Unabhängigkeit bewegen"

6. November 2019
von Börsenblatt
Digitalisierung und Konzentrationsprozesse im Handel gehen auch am Kunstbuchmarkt nicht spurlos vorbei. Michael Wienand hat mit Börsenblatt Online über die aktuellen Herausforderungen gesprochen.

Macht die Digitalisierung das Kunstbuch auf Dauer überflüssig?
Ganz sicher nicht. Digitalisierung wird intelligente "Gebrauchstools" zur pragmatischen Erschließung von Information bieten und darin dem Buch deutlich überlegen sein. Zusätzlich wird sie spielerisch-unterhaltsame Tools zur Wissensvermittlung schaffen, die in Buchform so nicht möglich sind. Denken Sie an Youtube oder an die Gamerwelten. Hier werden wir als Verlag natürlich auch dabei sein, sofern es sinnvolle Ergänzungen zu unseren Büchern sind. Die vertiefende Informationsvermittlung kann nur das inhaltlich wie gestalterisch anspruchsvolle Buch leisten, gegebenenfalls auch mit digitaler Ergänzung. Hierfür wird der Konsument meiner Ansicht nach auch bereit sein, einen angemessenen Preis zu zahlen, wenn die von uns gelieferte Qualität stimmt.

Hat das Kunstbuch nur noch im spezialisierten Buchhandel eine Chance oder könnte das allgemeine Sortiment mehr für diese Warengruppe tun?
Das allgemeine Sortiment kann dann mehr tun, wenn es das qualitativ hochwertige Buch als Umsatz- und Frequenzbringer für eine kaufkräftige, bildungsbürgerliche Kundschaft (die gibt es tatsächlich noch!) erkennt. Diese Kundengruppe kann durchaus auch jung und hip sein. Wenn man dieses Segment nicht im Core-Fokus hat und sich eher als "Discounter" versteht, wird das Angebot des Kunstbuches wenig sinnvoll sein. Es wird Verlagen wie dem unsrigen nur Remissionen bescheren. Genau da liegt die Chance des spezialisierten inhabergeführten Buchhandels: Er kann auf Grund seiner Beratungskompetenz diese Segmente, die oft aus einer gewissen Verzweiflung in den Online-Handel abwandern, für sich gewinnen und an sich binden.

Wie hat sich das Kataloggeschäft in den vergangenen Jahren entwickelt?
Das Kataloggeschäft hat sich grundsätzlich gut entwickelt. Aber auch hier werden sich künftig Polarisierungen zeigen: Einerseits gibt es mehr und mehr innovative Museumskuratoren/innen, die die zukünftigen Chancen des Katalogbuches im Miteinander von digitalen und analogen Medien sehen. Andere hingegen halten an vertrauten Mustern fest. Aus Verlegersicht müssen sich die Museen jedoch in beiden Fällen stärker an den Bedürfnissen des Buchhandels, d.h. der Verkaufbarkeit der Publikationen orientieren. Die weitaus größere Herausforderung für Museen und Verlage allerdings ist das an den Marktnotwendigkeiten vorbeigehende öffentliche Ausschreibungswesen. Diese Vergabepraxis nach der Vorgabe "der Billigste erhält den Zuschlag" führt zwangsläufig zu einer suboptimalen Qualität und damit langfristig zum Verschwinden des anspruchsvollen Buches. Hier wird oft wegen minimaler Preisunterschiede der "Einkaufserfolg" dem Markterfolg vorgezogen.

War das Bauhausjahr für Sie eine Erfolgsgeschichte?
Das Bauhausjahr war für uns ein Riesenerfolg! Wir konnten unsere diesbezüglichen Bücher bestens platzieren und verkaufen. Das von Ihnen angesprochene "spezialisierte Sortiment" war hier ein exzellenter Partner.

Profitieren Bücher zur Fotokunst vom Friedenspreis für Sebastiao Salgado?
Der Friedenpreis wird einem Autor bzw. Künstler und nicht einer Buchgattung verliehen. Insofern wird er immer die Bücher des Preisträgers, aber weniger das Genre, in welchem dieser sich bewegt, beflügeln. Wir können hier für unsere Fotobücher keinen messbaren Effekt feststellen.

Welche Perspektive hat ein unabhängiger Kunstbuchverlag im deutschsprachigen Buchmarkt?
Kunst muss sich stets in der Sphäre der Unabhängigkeit bewegen. Genau da liegen unsere Chancen: Mit einem unabhängigen Verlag lassen sich unkonventionelle Produkte kreieren und unkonventionelle Produktionswege beschreiten. Kunst kommt eben nicht aus dem Systembaukasten und kann nicht wie Systemgastronomie vermarktet werden. Wenn unabhängige Kunstverlage das verstehen, die diesbezüglichen Notwendigkeiten in allen Verlagsbereichen berücksichtigen und in die digitale Welt transformieren, dann haben sie eine sehr gute Perspektive. Wir arbeiten mit Leidenschaft daran!


Lesen Sie auch das Thema der Woche über den Kunstbuchmarkt im aktuellen Börsenblatt 45 / 2019!