Interview mit Foodautor Christian Seiler

"Du wirst merken, dass du an der Angel hängst!"

13. November 2019
von Börsenblatt
Foodautor Christian Seiler hat Küchen rund um den Globus erkundet – und kennt die wahre Währung kulinarischer Erlebnisse: das Nicht-Vergessen.

Was hatten Sie gestern zum Abendessen  – und wie war's?
Gestern Abend hab' ich etwas Besonderes, zumindest für mich Besonderes, gehabt. Ich war in der Frankfurter Ebbelwoi­wirtschaft Kanonesteppel – und hab’ dort Grüne Soße mit harten Eiern gegessen. Es war sehr, sehr gut.

In Ihrem aktuellen Buch "Alles Gute. Die Welt als Speisekarte" schreiben Sie, dass Sie bei Ihren Reisen nur zu 30 Prozent an die "Weisheit der Vielen", also die Schwarm­intelligenz, glauben. Wie finden Sie denn in der Fremde spannende kulinarische Orte?  
Ich verlasse mich auf die Hilfe von Freunden, dazu kommen Freunde von Freunden und Gewährsleute vor Ort. Erst wenn all diese Dinge überhaupt nicht funktioniert haben, konsultiere ich die einschlägigen Guides. Allerdings muss man schon recht gut lesen können, um aus Trip-Advisor-Bewertungen oder Gault-­Millau-Rezensionen wirklich etwas zu erfahren. Viele euphorisch angepriesene Orte erweisen sich bei näherer Betrachtung als Vorhölle. 

Sie scheinen Ihre Küchenbesuche ­akribisch zu planen ...  
Die Zeit ist immer beschränkt! Man ist mal drei, mal fünf, mal sieben Tage unterwegs. Das ist zu kurz, um einen langen Anlauf zu nehmen, bis man endlich an den richtigen Orten ist. Manchmal hat man überhaupt keine Chance, wenn man nicht von langer Hand reserviert. Neulich waren wir in Tokio, da haben wir drei Monate vor der Abreise mit den Reservierungen begonnen. Improvisieren kann ich aber immer noch: Ich bin mal für ein paar Tage nach Südfrankreich gefahren, nach Saint-Paul-de-Vence, und hatte im Hotel Colombe d'Or Quartier genommen, einem der schönsten Orte der Welt. Zuvor hatte ich einige Superlokale in der Nähe ausgesucht. Am Ende war’s in der Colombe d'Or so schön, dass wir einfach jeden Tag dort gegessen und alles andere abgesagt haben. Kann auch passieren! Aber umgekehrt funktioniert’s nicht.  

Dass ich Ihr Buch verschlungen habe, muss nicht zuletzt an der Sprache gelegen haben. Was machen Sie anders? 
Mein sprachliches Handwerkszeug kommt aus dem Kulturjournalismus; ich sehe sehr große Verwandtschaften im Schreiben über Musik mit dem Schreiben über Essen und Trinken. In beiden Fällen muss man Gegenstände, die man nicht direkt wahrnehmen kann, für die Leserinnen und Leser übersetzen. Das ist etwas, was mir offenbar liegt - und was mir große Freude macht. Inzwischen habe ich den Mut gefunden, es mit Bildern zu tun, die mal deftig, mal poetisch ausfallen können – in jedem Fall aber radikal subjektiv sind.

Im kulinarischen Fach wird ja häufig versucht, die Sprache gleichsam zu objektivieren: Da weist der Wein schon mal "Anklänge an durchgerittenen Ledersattel" auf ...
Genau das will ich nicht! Ich glaube, dass man Bilder finden muss, die im Leser ein bestimmtes Gefühl wachrufen. Diese Emotion kann man dann mit einer Speise und einem Glas Wein in Zusammenhang bringen.

Wie wichtig ist das Drumherum, die Inszenierung, die Bühne für Gerichte?  
Enorm wichtig! Wenn wir reisen, steuern wir ja nicht einen Teller an, auf dem zwei Birnen liegen. In der Regel geht es um einen Ort, der besonders ist – und den wir auch deswegen ausgesucht haben. Das Erlebnis kann schon unterwegs beginnen, schon da sammelst du deine ersten Eindrücke! Wie du begrüßt wirst, wie es dort aussieht, wie es riecht, wie die Menschen auf dich reagieren. Ob du mit einem Lächeln oder mit Panik empfangen wirst: Vorsicht, neue Gäste! Ob das Besteck schön ist, ob zu viel davon auf dem Tisch liegt. Das hasse ich nämlich. Oder ob merkwürdige Gläser auf dem Tisch stehen – hasse ich auch! Und wie die Leute mit dir umgehen: Ob sie dich als Partner betrachten oder dir einfach nur Zeug verkaufen wollen. Das sind lauter Dinge, die unglaublich auf das Erlebnis einzahlen. Das Essen selbst ist manchmal das Wichtigste, manchmal ist's völlig wurscht.

Sie machen sich beim Essen keine Notizen mehr – warum?  
Weil ich finde, dass die größte Herausforderung für Gastronomen darin liegt, Gerichte herzustellen, die man nicht mehr vergisst. Es gibt einige großartige Gerichte, an die ich mich seit vielen, vielen Jahren erinnern kann: Ich hab' den Geschmack buchstäblich auf dem Gaumen! Aber es gibt auch 18-Gänge-Menüs, bei denen ich mir schon am Ende des Abends nicht mehr sicher bin, was ich gegessen habe.

Lesen Sie viel über Essen und Trinken – und was sind Ihre Favoriten?  
Es gibt fantastische Kochbücher, die ­literarischen Anspruch haben. Fergus Hendersons "Nose to Tail" (Echtzeit) ist so ein Buch. Das kannst du lesen, du wirst lächeln, du wirst die Pointen genießen können. Und du wirst merken, dass du an der Angel hängst! Und dass du sofort Lust bekommst, zu kochen oder in seinem legendären St. John Restaurant zu essen. Das ist eines meiner Lieblingsbücher. Fast ebenso sehr liebe ich die Gemüse- und Obstkochbücher von Nigel Slater (DuMont) – eine erzählerische, ja poetische Annäherung an Essen und Trinken. Ich kann das lesen wie einen Roman.  

Wenn man Ihnen hinterherreisen und -essen möchte, braucht man gut gefüllte Konten. Sind Sie ein Snob?
Mag sein, bis zu einem gewissen Grad. Und okay, Sie haben recht: Es ist manchmal teuer! Aber ich bin nicht der Reisende, der automatisch die teuersten Spots ansteuert, wenn sie mich nicht aus irgendeinem Grund wirklich interessieren. Wenn es diese Orte gibt, dann muss man halt in den sauren Apfel beißen und auch mal Geld ausgeben. Die meisten Restaurantrechnungen, die man sich so zusammenreimen kann in diesem Buch, sind von mir selbst bezahlt worden. Die Frage ist doch: Will ich für gutes Essen Geld ausgeben? Will ich darauf verzichten, schlechte Lebensmittel einzukaufen? Es ist eine Frage der Prioritäten. Dafür habe ich keinen Fernseher mehr.

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Zur Person

Christian Seiler, Jahrgang 1961, war Kulturredakteur der "Weltwoche", Chefredakteur von "Profil" und "Du" und ist Autor zahlreicher Bücher. Seit vielen Jahren ist der in Wien lebende Autor und Journalist weltweit auf der Suche nach Mahlzeiten, die nicht nur satt, sondern glücklich machen. Seine Kolumnen und Reportagen erscheinen im "Magazin" des "Tagesanzeigers", im "Alacarte Magazin" und in diversen anderen deutschsprachigen Zeitschriften.

Sein Buch "Alles Gute. Die Welt als Speise­karte" ist bei Echtzeit erschienen (Illustrationen von Markus Roost und Roland Hausheer, 816 S., 43 Euro).

Mehr zum Food- und Kochbuchmarkt im aktuellen Börsenblatt-Spezial Essen & Trinken, das frisch erschienen ist.