"Fifty Shades of Grey" von E L James

Der vorprogrammierte Skandal als Massenphänomen

5. Dezember 2019
von Börsenblatt
Ein Fortsetzungsabdruck im Börsenblatt, der Sie inspirieren könnte: Wie wäre es mit einem Skandal-Bücher-Tisch in Ihrer Buchhandlung? Clemens Ottawa hat die öffentlichen Diskussionen von 61 "Skandalbüchern" nachgezeichnet, zehn daraus lesen Sie hier!

Da Hollywood nichts unversucht lässt, einen Blockbuster zu produzieren, der die Massen ins Kino treiben soll, war eine Verfilmung dieses Stoffs bald ausgemachte Sache. Ein wahrer Wettlauf um die begehrten Hauptrollen setzte ein und Dakota Johnson, Tochter von Don Johnson und Melanie Griffith, wurde auserkoren, den weiblichen Hauptpart zu spielen. Bis 2018 wurden auch die weiteren Teile verfilmt, immer eine sichere Bank für den Titel: Schlechtester Film des Jahres. Die Kinokassen klingelten, aber ein Skandal ließ sich bei der doch recht züchtigen, dagegen hoffnungslos romantisch verkitschten Hollywoodversion keiner finden. Immerhin wurden alle drei Teile Fixkandidaten bei den Goldenen Himbeeren, die alljährlich die schlechtesten Filme des Jahres kürten.

Der katholische Weltbild Verlag, verkaufte das Buch, das Grundlage der Filme gewesen war, nicht. Und man wunderte sich dort, warum es keinen größeren gesellschaftlichen Aufschrei deshalb gab. In den Filialen der Buchkette war und ist James’ Buch bis heute nicht zu finden. Das tat dem Erfolg der Trilogie im deutschsprachigen Raum allerdings keinen Abbruch.

In dem Sadomaso-Roman-Dreiteiler, dessen Skandalträchtigkeit in erster Linie überzogen und klug vermarktet wurde, geht es um die unschuldige 21-jährige Studentin Anastasia Steele und ihren dominanten wie schwerreichen 27-jährigen Geliebten und Meister Christian Grey, der vom zärtlichen »Liebe machen« so gar nichts hält. Ursprünglich soll Steele nur ein Interview mit dem erfolgreichen Grey führen, doch sie verfällt gleich dem Charme und dem Charisma des Millionärs, was dieser natürlich merkt, ebenso wie die Tatsache, dass Steele nicht allzu viel Selbstbewusstsein zu haben scheint, und so beginnt der reiche Unternehmer, die Studentin nach seinen Vorstellungen zu »formen«. Die beiden schönen jungen Menschen – wenn schon Klischee, dann richtig – beginnen ein Verhältnis, bei dem Grey den Ton angibt. Er mag extremere sexuelle Praktiken, die von seiner Vorliebe zu Bondage, Dominanz und Sadismus getrieben sind. Ana gerät rasch in eine Spirale der emotionalen Abhängigkeit zu ihm und versucht, ihn mit ihrer Liebe aus seinem Kindheitstrauma, das der Ursprung seiner sexuellen Vorlieben ist, zu erretten. Natürlich gelingt ihr das zum großen Teil und dem Happy End mit Hochzeit, Haus, Kindern und nur noch gelegentlichen lustvollen BDSM-Sessions steht nichts mehr im Wege.

Die Autorin, die Britin Erika Leonard James, 1963 nahe London geboren und bis 2011 in der Literaturszene ein unbeschriebenes Blatt, begann mit der Verarbeitung des Stoffes eigentlich als Fan-Fiction, nachdem sie die Twilight-Saga von Stephenie Meyer gelesen hatte und zur glühenden Anhängerin wurde. E. L. James gab ihren ersten Romanentwürfen, die auf einer Fanseite im Internet erschienen, den Titel Masters of the Universe. Als der Roman zu wachsen begann, richtete sie sich eine eigene Seite mit der Adresse fiftyShades.com ein. User und Userinnen der Seite, andere Twilight-Fans, lasen und gaben Feedback. Es herrschte der allgemeine Tenor, dass die detailliert beschriebenen Schilderungen von SM-Techniken, Lustschmerz und Fesselspielchen etwas zu drastisch waren. Dennoch war James von dem Potential ihrer Geschichte überzeugt und änderte die Namen der Figuren in Christian Grey und Anastasia Steele, löschte ihre Internetseite und überarbeitete den Roman, ehe sie ihn als E-Book im Januar 2011 selbst herausbrachte. Einige Monate später erhielt sie ein Schreiben des kleinen australischen Verlags The Writer’s Coffee Shop, der Fifty Shades of Grey gerne als Taschenbuch herausbringen wollte, was im Mai 2011 auch passierte. Die weiteren zwei Teile, die die Autorin auch schon in schneller Abfolge abgetippt hatte, wurden im September 2011 und im Januar 2012 veröffentlicht. The Writer’s Coffee Shop hatte ein geringes Budget für Vertrieb und Marketing, der Verkauf der Romane wurde jedoch durch die einsetzende Mundpropaganda verstärkt. Im April 2012 verkaufte der Verlag die Lizenzrechte in die USA an den Knopf Verlag und die Nachfrage wuchs. Der amerikanische Verlag ließ nun 950.000 Stück drucken – die Woche, wohlgemerkt, denn nie zuvor war die Nachfrage nach einem Buch derart enorm gewesen wie in diesem Fall, ja, selbst Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling erreichte nicht diese Nachfrage. Bis Ende 2012 wurden auf diese Art und Weise über zehn Millionen Exemplare der Trilogie verkauft, bis Juni 2012 sogar rund 20 Millionen. Unvorstellbar, auch für die Autorin, die ihr Talent selbst als mittelmäßig bezeichnete – aber der literarische Wert des Buches spielte sowieso eine recht sekundäre Rolle.

Mittlerweile wurden die drei Shades-Teile weltweit über 130 Millionen Mal verkauft, ein Geldsegen für die Autorin, die ursprünglich bei der National Film and Television School arbeitete. Ihr Ehemann Niall Leonard, Drehbuchautor, schrieb die Drehbücher für die Verfilmungen. Ende 2012 zählte die Times E. L. James schon zu den einhundert einflussreichsten Menschen des Jahres. Der immense Erfolg der Bücher sorgte vielerorts für Ratlosigkeit und Kopfschütteln. Salman Rushdie sagte: »Ich habe noch nie etwas so Schlechtes gelesen, das dennoch publiziert wird.« Und die Metro News Canada-Kritikerin meinte in ihrer Rezension: »(...) sich durch die 500 Seiten des inneren Monologs der Heldin zu quälen, war Folter, aber nicht in der beabsichtigten, erotischen Art und Weise.«

Die deutsche Ausgabe erschien bei Goldmann. Auch hier waren die Kritiken durchwegs negativ, die Literaturszene schüttelte den Kopf über dieses neue Phänomen. Und für die britische Presse waren die Bücher nichts weiter, als »Fantasie- Exzesse von Frauen für Frauen«, eine zugegeben sehr einseitige Sicht, auch wenn es nicht von der Hand zu weisen ist, dass vor allem weibliche Leser sich das Buch kauften. Wie auch immer, Fifty Shades of Grey, ein dezentes Skandalbüchlein, von geringem literarischen Wert, wurde ein weltweiter Verkaufsschlager und das muss man auch erst einmal schaffen.

Literarisches Genre: Roman (2012)
Herkunftsland: USA

Dieser Text stammt aus dem Buch "Skandal. Die provokantesten Bücher der Literaturgeschichte! von Clemens Ottawa. 

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