Buchhandel in Corona-Zeiten: Kreis Heinsberg

"Die Situation erscheint mir manchmal unwirklich"

16. März 2020
von Börsenblatt
Der Kreis Heinsberg hat früher als andere Regionen in Deutschland erfahren müssen, was ein Stillstand des öffentlichen Lebens in Corona-Zeiten bedeutet. Für den Buchhandel ist dies eine Herausforderung, die er nicht ohne Finanzhilfen überstehen wird. Ein Lagebild.       

Auf den Landkreis Heinsberg sind seit Wochen die Blicke der Öffentlichkeit gerichtet, weil es dort, in der Gemeinde Gangelt vor den Toren der Kreisstadt zum ersten großen Ausbruch des Corona-Virus in Deutschland gekommen ist. Buchhändler Marcus Mesche, Inhaber der Buchhandlungen Gollenstede in Heinsberg und Mesche in Birgden, einem Ortsteil von Gangelt, bringt die Lage auf einen Begriff: "katastrophal". In der katholisch geprägten, beschaulichen Mittelstadt Heinsberg (rund 43.000 Einwohner) sei das öffentliche Leben zum Erliegen gekommen.

"Alle Schulen, Kindergärten und Büchereien sind geschlossen, und es sind erheblich weniger Kunden im Laden als sonst", sagt Marcus Mesche, "die Umsätze im Einzelhandel brechen massiv ein, in einigen Geschäften um 80 Prozent". Den Buchladen in Birgden hält Mesche nur noch nachmittags offen – weil kaum ein Kunde das Haus verlässt.

Das Geschäft ist etwas mehr als einen Kilometer vom Gangelter Ortsteil Langbroich entfernt, dem Ort, an dem eine Karnevalssitzung zum Ausgangspunkt für die bisher größte Ansteckungswelle in Deutschland wurde. In der gesamten Gemeinde sind nach wie vor viele Menschen in Quarantäne, einige an COVID-19 erkrankte Patienten liegen in den umliegenden Krankenhäusern in Heinsberg und Erkelenz. Im gesamten Landkreis sind rund 650 Personen als infiziert gemeldet, die Zahl steigt weiter.

Dass die Kunden in den Läden ausbleiben, hat vor allem zwei Gründe: Kaum jemand geht aus Vorsicht vor die Tür, und mit der Schließung der Schulen bleiben die Eltern aus, die häufig nach dem Abholen ihrer Kinder noch die Buchhandlung besuchen. Der Nachmittagsbummel, bei dem Mütter oder Väter mit ihren Kindern in der Buchhandlung gestöbert haben, findet nicht statt.

Schulmaterialien schickt die Buchhandlung per Post nach Hause, auf Wunsch werden Bestellungen auch kostenfrei vor die Haustür geliefert. Im Übrigen sorgt das Rechnungsgeschäft noch für Umsätze, doch seit Schulen und Büchereien auch geschlossen sind, gehen keine neuen Bestellungen mehr ein.

Was sich vor allem in Gangelt verändert habe, sei das Lebensgefühl, so Mesche: Fernsehteams durchstreifen den Ort, auf der Suche nach der nächsten Sensation oder nach einem O-Ton, laufen durch Privatgärten, versuchen Anwohner vor die Kamera zu bekommen. "Es werden bewusst leere Straßen gefilmt, um Panik zu verbreiten", sagt Mesche. "Dabei ist der Ortskern immer sehr still, und das Einkaufsleben spielt sich ohnehin auf der grünen Wiese ab." Die sonst so gefragten Restaurants hingegen sind fast leer, Reservieren ist nicht mehr notwendig.

Mesche erzählt, dass man als Heinsberger inzwischen stigmatisiert sei. Überall dort, wo man mit einem Heinsberger Autokennzeichen auftauche, beispielsweise in den grenznahen Einkaufszentren auf der niederländischen Seite, werde man gemieden oder schräg angeguckt. Boulevard-Presseberichte wie der über den zweiten deutschen Corona-Toten mit dem Ortsschild von Heinsberg im Hintergrund tun das ihrige dazu. Manchmal hat Mesche das Gefühl, in einem schlechten Film zu sein: "Die Situation erscheint mir manchmal unwirklich."

Der Heinsberger Buchhändler hofft nun auf unbürokratische Soforthilfen, die die bedrohten wirtschaftlichen Existenzen der Heinsberger Unternehmen sichern könnten. Stephan Pusch, der umsichtige und engagierte Landrat des Kreises Heinsberg, hat einen Härtefonds für den Kreis gefordert. Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Heinsberg und die IHK Aachen bieten Informationen und vermitteln Kontakte, beispielsweise zur NRW Bank. Für die Festangestellten hat der Bund eine Ausweitung der Kurzarbeiterregelung angekündigt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat unterdessen angekündigt, dass der KfW 20 Milliarden Euro für Kredite zur Verfügung gestellt werden sdollen. Die Verfahren sollen einfach und unbürokratisch durchgeführt werden, und es sollen Expressbürgschaften innerhalb von drei Tagen möglich sein. Marcus Mesche rät allen betroffenen Kolleginnen und Kollegen, sich möglichst schnell mit der Hausbank in Verbindung zu setzen – denn diese muss die Kreditvergabe abwickeln.

Wenige Kilometer östlich von Heinsberg liegen die Mittelstädte Hückelhoven (knapp 40.000 Einwohner) und Erkelenz (rund 44.000 Einwohner). Auch dort sind die meisten öffentlichen Einrichtungen – Schulen, Kindergärten und Stadtbücherei – geschlossen. In den beiden Buchhandlungen von Irmgard Wild ist weniger los als sonst, aber die Situation ist nicht so dramatisch wie in Heinsberg oder Gangelt. "Manchmal herrscht Totenstille, manchmal kommen mehrere Leute auf einmal in den Laden", sagt Irmgard Wild in Hückelhoven am Telefon und muss auflegen, um sich um die Kunden zu kümmern.

Seit die Schulen vor drei Wochen (Aschermittwoch) offiziell geschlossen wurden, steigt die Nachfrage nachLernhilfen. Die Eltern sorgen sich, dass ihren Kindern durch die Zwangsferien zu viele Defizite entstehen. Erheblichen Aufwand hat Irmgard Wild gerade mit Ticketbuchungen, denn beide Läden fungieren auch als Vorverkaufsstellen. „Ich muss gerade klären, wie die Buchungen für die zahlreichen Events, die jetzt abgesagt werden, wieder rückabgewickelt werden können.“