Interview mit Weltbild-Geschäftsführer Sikko Böhm

"Wir wollen in Augsburg wieder Steuern zahlen"

22. Oktober 2015
von Börsenblatt
Turbulente Monate liegen hinter Weltbild – erstmals äußert sich Geschäftsführer Sikko Böhm in einem ausführlichen Gespräch mit dem Börsenblatt zum Status Quo im Unternehmen und gibt Einblicke in seine Strategie. Die Fragen stellte Christina Schulte, stellvertretende Chefredakteurin des Börsenblatts.

Weltbild hat in den vergangenen Monaten für reichlich Schlagzeilen gesorgt. Seit rund 15 Monaten gehört das Unternehmen zur Droege Group – wo steht Weltbild heute?
Wir sind weiterhin in der Neuausrichtung begriffen und haben das vergangene Geschäftsjahr mit rund 400 Millionen Euro Umsatz in der Weltbild-Gruppe abgeschlossen. Nach einem Jahr der Restrukturierung 2014 / 2015 befinden wir uns im laufenden Geschäfts­jahr in der Konsolidierungsphase und wachsen in unserem Kerngeschäft bereits in diesem Jahr organisch. Wir peilen ein leicht positives Ergebnis an – erste Zahlen zeigen, dass wir gut unterwegs sind. Ab 2016 / 2017 werden wir dann auf Wachstum schalten. Unser Ziel ist es, in Augsburg wieder Steuern zu zahlen.

Wie wollen Sie das erreichen?
Unsere Strategie ist überschrieben mit dem Leitsatz: Weltbild ist der Multichannel-Händler im Bereich Buch und Medien, ergänzt um Non-Books. Multikanal ist dabei das entscheidende Schlagwort. Wir denken, leben und arbeiten in den vier Kanälen Online, Direktmarketing, Filialen und Social Media. Dabei ist es uns wichtig, den Weltbild-Vorteil klarer und offensiver als bisher zu kommunizieren. Bei Weltbild gibt es das gute Buch zum günstigen Preis, das ist der Vorteil unserer Lizenzausgaben für die Kunden. Weltbild ist nach dem Ende des Clubs das einzige Unternehmen am Markt, das das für das Produkt Buch auf diese Weise kann. Mit optischen Signalen machen wir unsere Kunden auf allen Kanälen darauf aufmerksam, dass er hier einen Mehrwert von Weltbild bekommt: Eine rote Klammer weist auf die Vorteile hin. Im Weihnachtsgeschäft etwa ist Ken Follett unser Zugpferd. Wenn Sie gleiche Inhalte mit einem Preisvorteil von 35 bis 40 Prozent anbieten, dann brauchen Sie dafür keine weiteren Verkaufsargumente.

Beim Direktmarketing haben Sie in den letzten Monaten eher kleinere Brötchen gebacken und die Frequenz des Katalogs zurückgefahren …
Das stimmt, aber mit dem Start des neuen Geschäftsjahrs im Juli sind wir wieder bei zwölf Ausgaben pro Jahr, mit dieser Anzahl fühlen wir uns wohl. Wir erreichen damit über 18 Millionen Adressaten pro Jahr. Und wir machen nicht mehr nur einen Katalog wie früher, sondern haben ab jetzt drei zielgruppenspezifische Varianten parat, die genau auf die Kunden zugeschnitten sind, deren Kaufverhalten wir detailliert analysiert haben: ein Katalog mit dem Schwerpunkt Non-Media, eine Medienvariante mit einem ausgedehn­ten Buch-, E-Book-, CD- und DVD-Angebot sowie als Basisvariante die hälftig gemischte Ausgabe.

Das Non-Book-Angebot von Weltbild hat in der Vergangenheit manchmal kuriose Blüten getrieben. Mobil­telefone, Kräuterblumensamen – der reinste Gemischtwarenladen. Haben Sie den Wildwuchs eingedämmt?
Im Non-Media-Bereich sind wir schon sehr weit. Klar finden Sie punktuell noch Sünden der Vergangenheit, aber diese Produkte laufen aus und werden abverkauft. Wir arbeiten hart daran, dass Preis und Qualität stimmen und die Angebote eine Ratgeberfunktion erfüllen. Das ist der Mehrwert für unsere Kunden. Die Geschenkewelt zu Weihnachten beispielsweise gibt ein völlig anderes Bild ab als noch vor einem Jahr, die Sortimente und unsere neuen Themenwelten sprechen eine andere Sprache als vorher. Wir sehen uns als Shoppingcoach, der für seine Zielgruppe das passende Programm selektiert. Wir wollen nicht die komplette, sondern die richtige Auswahl bieten. Das gelingt uns im Buchbereich schon immer, im Non-Media-Segment gelingt es uns immer besser.

Sie haben sich auf die Fahnen geschrieben, dass Weltbild zu einem Marktplatz wird. Was genau heißt das?
Wir möchten Partner mit Produkten, die zu uns und der Marke Weltbild passen, schnell und effektiv an unsere neue Marktplatz-Plattform anschließen und streben vertiefte Kooperationen bis hin zu strategischen Partnerschaften an. Das können auch Bereiche sein, in denen wir heute noch nicht aktiv sind. Dazu bauen wir gerade die IT auf und definieren die Prozesse. So können die unterschiedlichsten Produkte in einem einheitlichen Warenkorb zusammengeführt werden – und Weltbild wird für die Kunden zur Shopping-City.

75 Prozent Ihres Umsatzes erwirtschaften Sie bereits im Netz. Wie wollen Sie das Internetgeschäft weiter ankurbeln?
Wir entwickeln unseren Shop kontinuierlich weiter und arbeiten an einer Multikanal-Shopping-App, die wir im nächsten Jahr freischalten werden. Auch der Social-Media-Bereich wird weiter forciert und an Bedeutung gewinnen. Er ist zwar noch kein Umsatzbringer, aber der Kommunikationskanal der Zukunft. So wie der Katalog das Onlinegeschäft heute stimuliert, werden die Social-Media-Kanäle das künftig tun. Außerdem wird es zu Weihnachten TV-Spots geben. Wir investieren ab sofort wieder in Reichweitenwerbung online und im TV. Letztes Jahr haben wir auf Fernsehspots verzichtet, jetzt legen wir wieder los.

All das kostet Geld, erfordert Investitionen. Wo kommen die finanziellen Mittel her?
Die Finanzierung der anstehenden Großprojekte, etwa im Bereich IT, ist gesichert. Wir sind durch unsere Gesellschafter solide durchfinanziert für das, was wir vorhaben. Auch die Logistik ist gesichert, entgegen dem, was man so liest.

Es heißt, das Weihnachtsgeschäft bei Also Logistics soll erst einmal gesichert sein. Aber was passiert danach?
Wir als Weltbild unterstützen die Logistik im Rahmen unserer Möglichkeiten. Wir sind ein finanzielles Commitment eingegangen, über dessen Höhe ich nicht rede, aber über diese Vereinbarung und die Mitwirkung unsererseits ist die Belieferung unserer Kunden im Weihnachtsgeschäft und darüber hinaus bis auf Weiteres sichergestellt. Auch über das Weihnachtsgeschäft hinaus stützen wir die Logistik. Es liegt allerdings in unserer unternehmerischen Verantwortung, dass wir eine performante und preislich wettbewerbsfähige Logistik haben. Dass wir uns nach Optionen umschauen und vorbereitet sein müssen für Eventualitäten, die heute aufgrund des Insolvenzverfahrens von Also Logistics noch nicht vorhersehbar sind – das ist doch völlig klar.

Im stationären Geschäft soll es auch bald wieder auf Expansionskurs gehen. Welche Pläne haben Sie da?
Bei Jokers haben wir schon zwei neue Standorte eröffnet, bis Ende des Jahres werden noch bis zu drei weitere hinzukommen, und das Netz soll zügig weiterwachsen. Bei den Weltbild-­Filialen, die stärker von der Neu­strukturierung der Sortimente betroffen sind, verfügen wir jetzt durch den Verkauf der unrentablen Filialen an Lesensart über den gesunden Kern, den wir angestrebt haben. Dementsprechend positionieren wir die Filialen gerade neu, die Umsatzentwicklung ist im Moment sehr stabil, hat aber noch nicht die Wachstumsdynamik, die bei Jokers zu erkennen ist. Wir werden aber auch bei den Weltbild-Läden wieder auf Wachstum umschalten.

Wenn Sie den wahrscheinlich kompletten Rückbau von Lesensart betrachten – was denken Sie dabei?
Das Konzept von Lesensart hat nicht nur uns überzeugt – sonst hätten wir nicht an Rüdiger Wenk verkauft –, sondern auch die Arbeitnehmer­vertreter und die Mitarbeiter. Es gab eine äußerst geringe Zahl von Widersprechern beim Betriebsübergang. Und ab dem Zeitpunkt ist das ein Thema von Lesensart und nicht mehr von Weltbild.

Sie hängen aber noch mit diversen Mietverträgen drin …
Lesensart hat von uns 67 Filialen gekauft, einer Übertragung der Mietverträge muss der Vermieter zustimmen. Wir sind aber auf einem guten Weg, dass Weltbild bald nicht mehr Mieter von Filialen ist, die es nicht betreibt; wir arbeiten in dieser Sache konstruktiv mit Lesensart und den Vermietern zusammen.

Hat sich Investor Walter Droege sein Engagement bei Weltbild möglicherweise einfacher vorgestellt?
Das müssen Sie bitte Herrn Droege fragen. Weltbild ist ein tolles Unternehmen, mit tollen Mitarbeitern, die über eine hohe Motivation verfügen. Und Weltbild hat eine Stellung am Markt, die so kein anderes Unternehmen hat. Weltbild ist durch eine schwierige Zeit gegangen, wir sind aber mit dem Fortschritt der Neuausrichtung zufrieden. Wir arbeiten mit enger Einbindung unserer Gesellschafter, die sich über unseren Beirat einbringen. Mit unserem Beirat besprechen wir die strategische Ausrichtung, die Finanzierung und erhalten wichtige Impulse.

Bei Investoren stellt sich immer die Frage, wie lange sie in einem Unternehmen bleiben. Wie sieht das bei Droege im Falle Weltbild aus?
Das ist ein Thema, das ich nicht für die Droege Group beantworten kann. Schaut man sich aber das Portfolio der Droege Group über die Jahre an, sieht man, dass es kein Unternehmen ist, das kurzfristige Investments tätigt, sondern ein langfristig ausgerichteter Investor.

Die Mitarbeiter von Weltbild haben Zeiten der Entlassungen, der Unsicher­heiten hinter sich. Wie geben Sie ihnen Vertrauen, dass der eingeschlagene Weg dieses Mal der richtige ist?
Wir in der Geschäftsführung investieren viel Zeit in zwei Dinge: Wir bringen uns täglich ins operative Geschäft ein, haben die Hände ganz tief im Teig und kommunizieren intensiv mit unseren Mitarbeitern. Und es gibt in regelmäßigen Abständen Mitarbeiterversammlungen, wir erstellen Newsletter und es existiert eine durchgetaktete Kommunikationskaskade über das Führungsteam hin zu den Mitarbeitern.

Seit Monaten schon befassen sich die Gerichte mit einem Abbau von 50 weiteren Stellen bei Weltbild. Wie sieht der derzeitige Stand aus?
Es gibt keinen neuen Stand. Die Einigungsstelle ist noch nicht abgeschlossen. Wir sind jederzeit zu konstruktiven Gesprächen mit dem Betriebsrat bereit und führen diese aktuell fort.

Die Verlage haben Weltbild in den turbulenten Zeiten nicht hängen lassen und sind offenbar selbst erleichtert, dass es mit dem Unternehmen wieder nach oben gehen soll …
Wir sind froh und dankbar, dass unsere wichtigen Partner uns auch in den schwierigen Zeiten die Treue gehalten haben. Wir stehen in regelmäßigem und engem Austausch, treffen uns nicht nur auf operativer, sondern auch auf Management-Ebene. Wir haben den Verlagen detailliert unsere Strategie dargelegt, kommunizieren offen und transparent, gewähren sogar Einblick in unsere Zahlen. Jede Insolvenz hat ihren Grund, teilweise sind früher Umsätze erkauft worden, das war dann irgendwann wirtschaftlich nicht mehr darstellbar. Wir müssen und wollen gemeinsam mit den Verlagen gesunden Umsatz machen.

Interview: Christina Schulte

Weltbild im Überblick

  • Geschäftsführung: Sikko Böhm (Markt, Vertrieb), Patrick Hofmann (Kaufmännisches, Operations)
  • Mitarbeiter: ca. 1 300
  • Umsatz: ca. 400 Millionen Euro
  • Marken: Weltbild, Jokers, Kidoh, Weltbild Editionen, Buecher.de, Tolino, Avus
  • Filialen: 67 Weltbild-Läden, 18 Jokers-Filialen in Deutschland, 52 Geschäfte in Österreich und der Schweiz
  • Marktposition: einer der Top-3-Buchhändler in Deutschland, im Onlinebuchhandel Nr. 2, im E-Book-Markt Platz 3
  • Markenbekanntheit: 83 Prozent der Bevölkerung kennen Weltbild