Der Vorsitzende Richter Professor Büscher ließ in seinem Einführungsvortrag zur heutigen Verhandlung nicht durchblicken, zu welcher Entscheidung das Gericht tendiert. Man wird also erst am 21. April wissen, ob der Eindruck der Prozessbeobachter, das Verfahren könnte dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt werden, richtig war.
Was man dann in den mündlichen Vorträgen im Gerichtssaal zu hören bekam, war die hohe Kunst der juristischen Auslegung. In seinem mündlichen Vortrag unterstrich Rechtsanwalt Winter, Vertreter der VG Wort, dass schon eine genaue Lektüre der europäischen Urheberrechts-Richtlinie (der sogenannten InfoSoc-Richtlinie) beweise, dass nicht nur der Urheber, sondern auch der Verleger als (abgeleiteter) Rechteinhaber gemeint ist. Es gebe zudem weitere europäische Rechtsnormen und Entscheidungen, die dies bestätigten, unter anderem die Richtlinie über Verwertungsgesellschaften aus dem Jahr 2014 und das Urteil zu elektronischen Leseplätzen (Paragraf 52 b Urheberrechtsgesetz). Das Reprobel-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) reiche nicht aus, um die Frage der Verlegerbeteiligung an den Ausschüttungen der VG Wort zu klären. Rechtsanwalt Rädler, Vertreter des Beck Verlags, schloss sich dieser Einschätzung an und meinte, das Verfahren sei „noch nicht für die Endentscheidung reif“.
Der Vertreter des Klägers Martin Vogel, Rechtsanwalt von Plehwe, trug das auch früher schon vertretene Argument vor, Verlegern stünde deshalb keine Beteiligung an den Kopiervergütungen zu, weil sie im Sinne des Urheberrechtsgesetzes keine „Berechtigten“ seien. Verlegte Werke und damit verbundene Rechte würden zwar nicht angemeldet, aber eine pauschale Vergütung durch die VG Wort ausgeschüttet. Dies stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung und benachteilige die Urheber.
Gegen Ende der Verhandlung hatte Hans Dieter Beck, Verleger des Streithelfers C. H. Beck, Gelegenheit, vor den Folgen eines Urteils zuungunsten der Verlegerbeteiligung zu warnen. Es träte ein doppelter Schaden ein: zunächst ein wirtschaftlicher, der gerade kleinere Verlage in ihrer Existenz gefährde, und zweitens ein Schaden, der die VG Wort träfe und diese künftig daran hindern würde, ihre ursprünglichen Aufgaben zu erfüllen. Nach der Reprobel-Entscheidung des EuGH hätten Gerätehersteller angekündigt, ihre Geräteabgaben zu halbieren. Auch die Folgen für die Kulturwirtschaft seien negativ, befürchtet Beck. In der Politik trete niemand für eine Schwächung der Verlegerposition ein – wie zuletzt das Schreiben von Bundesjustizminister Heiko Maas und Kulturstaatsministerin Monika Grütters an EU-Kommissar Günther Oettinger gezeigt habe.
Robert Staats, Geschäftsführer der beklagten VG Wort, wies abschließend auf die Bedeutung des Verfahrens hin: „Es geht um ein jahrzehntelang funktionierendes System einer Solidargemeinschaft.“ Es sei daher wichtig, das Verfahren noch einmal dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, um zu verhindern, dass dieses intakte System zerstört wird.
Der Vorsitzende Richter Professor Büscher bekräftigte in seinem Schlusswort, man werde „keine wirtschafts- und rechtspolitische Entscheidung treffen“. Am 21. April, wenn die Entscheidung verkündet wird, wird man mehr wissen.
Chronik der Ereignisse
Februar 1958
Die VG Wort wird als gemeinsame Verwertungsgesellschaft von Autoren und Verlagen gegründet. Ihre Satzung sieht vor, dass die ihr übertragenen Rechte gemeinsam ausgeübt werden. Ihre Auftraggeber sind etwa 400.000 Autoren und rund 11.000 Verlage.
Dezember 2011
Martin Vogel klagt gegen die VG Wort. Der Jurist und Wissenschaftsautor hält die Verteilungspraxis aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen zwischen Urhebern und Verlagen für unrechtmäßig.
Mai 2012
Das Landgericht München folgt dem Kläger Martin Vogel und erklärt die Verteilungspraxis der
VG Wort für unvereinbar mit dem Leistungsprinzip.
Oktober 2013
Das Oberlandesgericht München folgt der Argumention in der Berufungsinstanz.
Oktober 2013
Die VG Wort legt gegen diese Entscheidung Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) ein.
Dezember 2014
Mündliche Verhandlung des Vogel-Falls vor dem Bundesgerichtshof. Das Verfahren wird ausgesetzt bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache Hewlett Packard / Reprobel.
März 2015
Die VG Wort entscheidet, die Ausschüttungen an Verlage wegen der beim BGH und beim EuGH anhängigen Verfahren auszusetzen. Bereits die Zahlungen von 2012 und 2013 stellte die VG Wort wegen des schwebenden Verfahrens nur noch unter Vorbehalt.
12. November 2015
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sein Urteil verkündet – und Verlage darin nicht als Rechteinhaber im Sinne der wichtigsten europäischen Urheberrechtlinie (InfoSoc-Richtlinie 2001/29/EG) eingestuft.
10. März 2016
Der BGH verhandelt die Klage von Martin Vogel; der I. Zivilsenat kündigt die Verkündung einer Entscheidung für den 21. April 2016 an.
Das Konstrukt stand schon immer auf tönernen Füßen. Solidaritätsgeschwurbel ist ja recht und schön, aber warum hat man nicht einfach Art. 20 (3) GG solide in einem Gesetz abgebildet?
Wenn es so ausgeht wie bei Reprobel, bekommen die Autoren zukünftig weiterhin so viel wie bisher, die Verlage gar nichts mehr, die Gerätehersteller zahlen nur noch die Hälfte und dem Verlagswesen fehlt knapp 200 Millionen Euro pro Jahr. Dass dann etliche Bücher keine Finanzierung mehr finden, ist klar.
Herr Dr. Vogel sollte aber wenigstens eine Rechnung in Millionenhöhe an HP, Ricoh, Xerox und Co. schicken und uns alle auf eine mondäne Abrissparty einladen.
Lieber Herr Tempel, Sie gehen aber reichlich blauäugig an das Problem heran, das muss ich schon so sagen. Druckkosten hat ein Verlag auch, o ja. Aber da kommen andere Ausgaben hinzu: Miete für Geschäftsräume sowie Nebenkosten, Lagerhaltung, Werbung, Buchversand, Versicherungen, Vergütung für Mitarbeiter, Beiträge für Verbände, und, und, und. - Suchen Sie sich einfach einen Verlag, der Ihrer Meinung nach für Sie am günstigsten arbeitet oder vertreiben Sie Ihre Bücher im Selbstverlag, vielleicht auch nur als Internet-Ausgabe. NIemand wird Ihnen dies verwehren, aber grämen Sie sich bitte nicht, wenn kaum jemand Ihr Buch findet, Sie nirgendwo zitiert werden und Sie auch keine nennenswerte Literaturliste vorlegen können.
Lieber Herr Dabisch,
Ihnen mag blauäugig vorkommen, was für mich eine (politische) Position als Autor darstellt. Blauäugig war ich, als ich zum ersten Mal einem Verlag ausschließliche und unbeschränkte Verwertungsrecht übertragen habe, ohne mich zu erkundigen, was das eigentlich bedeutet. Die Kalkulation des Druckkostenzuschusses enthielt damals auch Gemeinkosten (insofern ist "Druckkostenzuschuß" ein irreführender Begriff), und nicht vergessen sollte man, daß der Verlag über den Verkauf von Exemplaren auch Einnahmen erzielt, deren Zweck - wie bei jedem Dienstleister im produzierenden Gewerbe - teils der Deckung von Kosten, teils der Gewinnerzielung dienen. Im konkreten Fall dürfte damals allein "Druckkostenzuschuß" und einer Pflichtabnahme von 100 Exemplaren die Gewinnzone jedenfalls längst erreicht gewesen sein. Teure Positionen wie Lektorat, Korrektorat und Satz oblagen dem Autor.
Daher bleibe ich dabei: Die Verleger wissenschaftlicher Literatur mögen ihre Dienstleistungen so kalkulieren, wie sie es müssen, aber gern ohne das VG-Wort-Honorar, da sie nicht die Urheber sind. Und Autoren mögen entscheiden, wofür sie Verlage brauchen und was ihnen welche Dienstleistungen wert sind.