Interview mit Sebastian Fitzek

"Das Opfer steht bei mir immer im Mittelpunkt"

1. Juni 2016
von Börsenblatt
Wenn es um die erzählerische Imagination von Ängsten geht, dann ist Sebastian Fitzek in seinem Element. Angefangen mit "Die Therapie" (2006) hat der deutsche Bestseller-Autor 13 Thriller (zumeist Psychothriller) und fünf Anthologien veröffentlicht. Im Herbst kommt die nächste Gruselstory, "Das Paket". Ein Gespräch mit dem Autor.       

Im Oktober kommt Ihr neuer Roman „Das Paket“, in dem es vermutlich sehr gruselig zugeht. Wollen Sie Ihren bisher zehn Thrillern, die den Lesern einiges abverlangen, noch eins draufsetzen?
Wenn Sie damit die Steigerung von Gewaltschilderungen meinen: Nein. So gehe ich an meine Stoffe nicht heran. Ich habe zunächst eine Idee, die ich eine Weile mit mir herumtrage, bis sie sich wieder meldet. Erst dann ist sie für mich relevant. Es sind Ideen, die ich aus dem Alltag schöpfe, auch im Fall des „Pakets“. Da kam ein Postbote und wollte bei mir ein Paket für einen Nachbarn abgeben, von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Sofort war ich in einer Story. Jede Geschichte erzeugt ihr eigenes Gewaltpotenzial – ohne dass es deshalb eine Leiche geben muss (wie in meinem ersten Roman „Therapie“). Bei „Noah“ gab es Hunderttausende von Leichen, ohne dass die Romanhandlung deshalb besonders gewalttätig war.

Manchmal überholt die Wirklichkeit die Imagination auch des abgebrühtesten Autors, man denke nur an das „Folter-Paar“ in Bossendorf oder an den mutmaßlichen Taunus-Ripper. Wie gehen Sie damit um?
Ich nehme die Realität und ändere sie ab, damit sie mir geglaubt wird. Es muss gar nicht mal Gewalt sein, die oftmals unvorstellbar ist. Es sind vielmehr Zufälle oder Kombinationen, die manchmal absurde Züge tragen: zum Beispiel ein Passagierflugzeug, das plötzlich vom Radar verschwindet und nie wieder gefunden wird. Das hätte einem vor fünf Jahren keiner geglaubt, zumal es doch möglich ist, das Nummernschild eines Autos aus dem Weltraum zu fotografieren. Als Autor mildere ich die Realität ab, weil ich sonst auf völliges Unverständnis stieße.

Sie müssen sich also in einem Korridor der Plausibilität bewegen …
Wenn es so einfach wäre: Das vermeintlich Plausible ist ja häufig gar nicht plausibel. Wenn ich eine Meldung in der Zeitung lese, dann gehe ich zunächst einmal nicht davon aus, dass ich angelogen werde. Auch wenn ich mir nicht immer sicher sein kann. Wenn jemand hingegen ein Buch liest, dann weiß er, dass es sich um Fiktion handelt. Der Leser würde es aber nicht akzeptieren, wenn die Handlung alle Gesetzmäßigkeiten über den Haufen würde. Er liest mit der Intention, dem Autor auf die Schliche zu kommen. Deshalb unterliegt man als Autor einer viel härteren Plausibilitätsprüfung als in „normalen“ Alltagszusammenhängen.

In Ihren Romanen kommt es nicht auf ausgeübte Gewalt an, sondern auf die Erzeugung virtueller Ängste oder das Nachvollziehen dieser Ängste …

Ich bin oft gefragt worden, was mich an Psychopathen fasziniert: Eigentlich gar nicht so viel. Was mich viel mehr interessiert, ist die Auswirkung von Gewalt und Grausamkeit auf das Opfer. Das Opfer steht bei mir immer im Mittelpunkt der Erzählung. Und sich in die Psyche des Opfers hineinzuversetzen, macht ja die Besonderheit des Psychothrillers aus.

Sie können auf eine längere Strecke von Thrillern zurückblicken. Haben Sie schon einmal mit dem Gedanken eines Genrewechsels gespielt?

Innerhalb des Spannungsgenres habe ich tatsächlich schon einiges ausgelotet – von Horror unter Pseudonym bis zum klassischen Thriller, der mit einem Psychothriller wenig zu tun hat. Weil ich von Ideen herkomme, denke ich manchmal auch: Das wäre doch jetzt eine Idee für etwas Lustiges. Ich habe früher in Unterhaltungsredaktionen von Radiosendern gearbeitet, da hätte es näher gelegen, dass ich auch mal etwas Lustiges schreibe. Doch wenn ich mich dann an den Schreibtisch gesetzt und 20 Seiten geschrieben habe, wurde es dann doch ein Psychothriller. Wahrscheinlich bleibe ich dem Spannungsgenre treu, weil ich es selbst immer gern lese.

Sie machen viele Lesungen in Buchhandlungen, auch auf dem Land. Suchen Sie den direkten Kontakt mit den Lesern?

Der Austausch mit ihnen ist mir sehr wichtig. Ich war ganz naiv, als ich 2006 meine E-Mail-Adresse in meinem Buch angab und damit rechnete, vielleicht 40 E-Mails zu bekommen. Es sind dann mittlerweile 40.000 geworden. Und was dann zurückkam, waren zum Teil höchstpersönliche Geschichten. Damit hatte ich nicht im Entferntesten gerechnet. Zehn davon sollen am Ende des „Pakets“ abgedruckt werden. Es war das Beste, was ich machen konnte: von Leserinnen und Lesern zu erfahren, bei welcher Reise ihres Lebens ich sie mit meinen Büchern begleiten durfte. – Wir Autoren vergessen irgendwann, weshalb wir angefangen haben zu schreiben. Und dass wir ein erheblicher Teil von demjenigen sind, der mit unseren Büchern seine Zeit verbringt.

Ist Ihr Lesepublikum überwiegend weiblich?

Ja. Das liegt zum einen daran, dass Frauen ohnehin mehr Bücher kaufen und sich überdurchschnittlich häufig für Spannungsliteratur interessieren. Man könnte daraus geradezu eine Faustformel machen: Je grausamer und blutiger die Handlung von Romanen, desto mehr Frauen lieben sie.

Haben Sie schon mal Probleme mit einem weiblichen Fan gehabt – Stephen King hat ja mit „Misery“ sogar einen Roman darüber gemacht?

Das habe ich tatsächlich nicht. Mich erstaunt es immer wieder zu hören, wenn Autorinnen schreiben, dass sie Probleme haben, wenn sie zu bekannt werden, und Leute dann auf einmal nicht mehr zwischen Fiktion und Realität unterscheiden können – und dann denken, dass alles, was die Frau niedergeschrieben hat, mit ihrem persönlichen Ich identisch sei.

Der Erfolg von Psychothrillern – auch der Ihren – ist ja erstaunlich. Befriedigen diese Bücher nicht das sehr alte Bedürfnis nach Katharsis?

Ja. Darüber habe ich auch mit Psychologen geredet. Und ich habe auch bei mir selbst festgestellt, dass man tatsächlich in einer Zeit, in der Meldungen über Gewalt, Grausamkeit und Terror zunehmen, nicht zu Literatur greift, die einem eine heile Welt vorspiegelt, sondern sich mit Hilfe der Thriller-Literatur in einem angstfreien Raum seinen Ängsten stellt, diese kathartisch durchlebt und gleichsam mit dem Buch ins Regal stellt. Eine andere Funktion der Thriller-Lektüre ist natürlich, in eine andere Welt zu entfliehen: Das Buch öffnet eine Welt, zu der man sonst keinen Zugang hätte, kann aber auch von eigenen Problemen oder Traumata entlasten, weil es die Möglichkeit bietet, sich in eine fremde Problemlage zu versenken. Manchmal hilft es, das Gehirn auf ein anderes Gleis zu setzen, damit sich Ängste nicht so eingraben, dass man nur schwer aus dem Krisenmodus wieder herauskommt.

„Das Paket“, Ihr nächster Thriller, ist schon so gut wie abgeschlossen. Was ist Ihr nächstes Projekt?

Vor mir liegen noch die Fahnen, mit Hunderten kleinen Änderungszetteln versehen. Außerdem habe ich die Angewohnheit, jedes Manuskript laut zu lesen, damit ich die Stellen bemerke, an denen es hakt. Seit kurzem arbeite ich am Exposé für einen neuen Roman, der sich ebenfalls mit besonderen Ängsten beschäftigt – in diesem Fall mit Flugangst. Aber aus einer ganz anderen Warte beleuchtet. Zentraler Ort der Handlung wird ein Flugzeug sein. Mehr will und darf ich nicht verraten.


Mehr zum Thema erfahren Sie in unserem Spezial Krimi & Thriller, das heute in Börsenblatt 22 / 2016 erscheint.

Sebastian Fitzek hat bisher 13 Thriller und fünf Anthologien veröffentlicht. Seine (in 24 Sprachen übersetzten) Bücher erscheinen bei Bastei Lübbe und Droemer Knaur und sind weltweit acht Millionen Mal verkauft worden. Am 26. Oktober erscheint bei Droemer im Hardcover sein neuer Psychothriller "Das Paket" (448 S., 19,99 Euro).
Zum zehnjährigen Jubiläum von Fitzek bei Droemer Knaur ist eine limitierte Sonderedition mit zehn Psychothrillern des Bestseller-Autors in neuer Cover- und Rückengestaltung erschienen. Die Fitzek Box umfasst insgesamt 3.952 Seiten und kostet 98 Euro.