Auslandsmärkte

Kleine Märkte wollen über sich hinaus wachsen

21. Juli 2016
von Börsenblatt
Die Sommerakademie der Frankfurter Buchmesse in Kiew (6. bis 9. Juli) brachte Verleger kleiner und nationaler postsowjetischer Märkte zusammen. Etwa 50 Teilnehmer kamen und vertraten Verlage aus der Ukraine, Georgien, Belarus, Armenien, Kasachstan und Russland.

Der Fokus der Sommerakademie lag auf dem Verkauf von Übersetzungsrechten sowie Verlags- und Marketingstrategien. Die Referentinnen Pia Götz (Ullstein Buchverlage), Sabine Schubert (Kirchner + Robrecht) und Andrea Luck (Harper Collins Germany) gestalteten ihre Vorträge so, dass sich Präsentationen und interaktive Workshops abwechselten. 

Während der Tagung diskutierten die Teilnehmer die wichtigsten Expansionshindernisse auf den nationalen Märkten. Sie suchten nach Wegen, neue Absatzmärkte zu erschließen, sprachen darüber, wie sie ihre Kenntnisse der Branche bei Strategieplanungen nutzen können, sowie über Synergieeffekte beim Zusammenwirken von Wirtschaft und Kultur. 

Die in Kiew lebende Beraterin Iryna Baturevych hat für die Zeitschrift Publishing Perspectives und das Börsenblatt die Veranstaltung besucht und fasst die Diskussion zu Länderporträts zusammen:

Ukraine. 2015/16 zeigte sich, dass die Ukraine unter dem Einfluss der kulturellen Expansion Russlands ihren Kurs radikal veränderte, um weiterhin auf den in- und ausländischen Märkten bestehen zu können.  

Vertreter von Medien und Verlagen befinden sich in einer neuen Phase der ukrainischen Geschichte. Sie sind nun wirklich unabhängig und gehen in ihrer Unternehmensführung neue Wege. Die kulturellen und historischen Erfahrungen schlagen sich in den Veröffentlichungen nieder, mit denen die Ukraine auf dem internationalen Markt vertreten ist - in der Belletristik ebenso wie mit Sach- und Fachbüchern. 

Viele Verleger haben heute den starken Wunsch, sich auf den ukrainischsprachigen Markt zu konzentrieren und ihn auszubauen: "Etwa siebzig Prozent aller Bücher auf unserem Markt sind Übersetzungen. Selbstverständlich ist es einfacher und finanziell attraktiver, in Russland Rechte einzukaufen: Damit entfallen beispielsweise die Kosten für das Lektorat und den Aufbau eines Vertriebsnetzes. Das wäre tatsächlich lohnender, als den ukrainischsprachigen Markt auszubauen, aber es ist keine langfristige Perspektive. Es wäre im Gegenteil unser größter Fehler", sagte Anton Martynov (Leiter der Verlags Nash Format, Kiew).

Der Marktanteil ukrainischsprachiger Titel ist konstant geblieben - er beträgt knapp 14000 im Jahr. Im ersten Halbjahr 2016 erschienen elf Prozent mehr Neuerscheinungen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, der Umsatz stieg um 77 Prozent. Die Zahlen für die russischsprachigen Publikationen hingegen sinken, bei Neuerscheinungen wie beim Umsatz (4002 Titel im Jahr 2015 gegenüber 5629 im Vorjahr, die Verkaufszahlen haben sich halbiert).

Trotz eines schrumpfenden Marktes (2015 sank die Zahl der Veröffentlichungen in der Ukraine auf das Niveau von 2008, konkret wurden in der Unterhaltungsliteratur etwa 15 000, bei Bestsellern etwa 35 000 Exemplare verkauft), steigender Buchpreise und der sinkenden Kaufkraft der Leser ist das Interesse an Büchern konstant geblieben. Lesen ist ein großes Bedürfnis und in gewisser Weise sogar eine öffentliche Gegenreaktion auf die kulturelle Expansion und die aggressiven Medienberichte in Kriegszeiten. Das internationale „Book Arsenal Festival“ in Kiew hatte in diesem Jahr 93 000 Besucher.

Die Ukraine unternimmt wichtige Schritte zur Aufhebung der Zensur. Früher lösten Verlage Buchverträge mitunter wegen ihres Inhalts wieder auf, das hat sich seit den Bürgerprotesten, dem „Euromaidan“, verändert. Jetzt sind Bücher über den Krieg und die Revolution sogar im Ausland gefragt – Andriy Lesivs und Romana Romanyshyn Kinderbuch „Als der Krieg Rondo veränderte“ (Stary Lev Verlag) beispielsweise wurde auf der Buchmesse in Bologna ausgezeichnet und in viele Sprachen übersetzt.Aufgrund der kulturellen und politischen Situation des Landes war die Akademie für die ukrainischen Teilnehmer von besonderer Bedeutung; die Ukraine ist zurzeit nicht nur für die Medien, sondern auch für westeuropäische Unternehmen von größtem Interesse. Vielversprechend für den ukrainischen Markt war, dass Tobias Voss (Stellvertretender Direktor der Internationalen Abteilung der Frankfurter Buchmesse) im Vorjahr das „Book Arsenal Festival“ in Kiew besucht hatte, woraus sich eine weiterführende Zusammenarbeit zwischen der Frankfurter Buchmesse und dem großen Bücher- und Literaturfest ergab. Zudem haben sich ukrainische Verleger in diesem Jahr stark auf internationalen Buchmessen engagiert. Diese Schritte haben allerdings noch nicht zu einer befriedigenden Präsenz im Ausland geführt. Daher wurde die Sommerakademie der Frankfurter Buchmesse nicht nur für die Ukraine zum Zeichen eines positiven Trends.

Gegenwärtig ist die Ukraine der am schnellsten wachsend IT-Markt Europas, E-Book-Verleger sind dabei, ins Ausland zu expandieren. Gutenbergz beispielsweise ist einer der ersten digitalen Verleger, der in den letzten fünf Jahren in Europa interaktive Bücher für Mobilgeräte produziert hat. Apple vertrieb Gutenbergz-Bücher in 30 Ländern, in zehn standen sie an der Spitze der Bestseller-Listen. Ein durchaus inspirierendes Beispiel für Verlagshäuser der 'kleinen nationalen Märkte'.

Russland. Der russische Markt ist ziemlich groß und übt einen ungeheuer großen Einfluss auf die Nachbarmärkte aus. Die Krise von 2014/15 (die Zahl der veröffentlichten und verkauften Bücher sank auf den niedrigsten Stand in sieben Jahren, die Prognosen für 2016 sind sehr schlecht), sowie der Verlust eines der wichtigsten Exportmärkte (die Buchexporte in die Ukraine sind auf ein Viertel geschrumpft) haben dazu geführt, dass Russland auf dem ausländischen Buchmarkt weniger präsent ist, die Stellung auf dem heimischen Markt konnte hingegen gestärkt werden. Neue Zensurmaßnahmen (wie das „Yarovaya Gesetz”) beschneiden die Nische für unabhängige Verlage weiter.

 

Belarus. Sehr gut vertreten ist Russland nach wie vor in Belarus, eine harte Konkurrenz, die die dortigen Verlage bedroht: "Ein russisches Buch ist viel billiger als ein weißrussisches von gleicher Qualität, weil unsere Auflagen nicht so hoch sein können", erläutert der Teilnehmer Miraslau Lazouski, stellvertretender Leiter von Belaruski Knihazbor. "Russland verdrängt uns mit seiner massiven Marktpräsenz; in jeder Sparte gibt es eine russische Entsprechung. Russland kann auf dem weißrussischen Markt ohne jede Einschränkung agieren. Die einzigen zusätzlichen Kosten, um Bücher aus Russland zu importieren, verursachen deren Transport über 700 Kilometer."

Ein weiteres Problem in Belarus ist die Zensur. Für eine Verlagsgenehmigung muss der Cheflektor im Informationsministerium eine Prüfung bestehen. Das gelingt nicht immer, und der Grund hierfür ist nicht unbedingt Inkompetenz. Ein Verlag kann seine Lizenz verlieren, weil er "ungeeignete" Literatur veröffentlicht (von verbotenen Autoren oder über aktuelle politische Themen). Manche Verleger haben dieses Problem gelöst, indem sie ihren Geschäftssitz nach Litauen verlegen, was aber zu Schwierigkeiten beim Import der Bücher führen kann (deren Inhalt geprüft wird). Das dritte Problem ist die Propaganda: Progressive, zeitgenössische Autoren werden in den Staatsmedien als "nicht-progressiv" bezeichnet, nicht-zeitgenössische Autoren hingegen immer als "progressiv". "Das ergibt keinen Sinn, es verzerrt das Bild völlig. Daher sind manche Autoren in Belarus verboten, die im Ausland erfolgreich und bekannt sind. Sie sind halblegal", sagt Zmicier Vishniou, Leiter der Verlags Halijafy. "Das ist eine ruinöse Situation, die der Beliebtheit von Büchern schadet."

 

Kasachstan. Auch in Kasachstan ist die Situation der Verlage schwierig: "Wir haben keine literarische Tradition; unsere Literatur existierte bislang nur in Form volkstümlicher Überlieferungen", erläutert Aigerim Raimbekova, Marketingmanagerin beim Verlagshaus Aruna. Auch die Expansion des Marktes mit Büchern in der Landessprache ist kompliziert, da er mit russischsprachigen Büchern überschwemmt ist. Aber die Verleger begegnen dieser Herausforderung mit Optimismus. "Ich sehe das nicht als nachteilige Konkurrenz. Natürlich ist es für uns schwerer, weil wir finanziell selten in der Lage sind, so hohe Auflagen zu drucken. Aber es ist für uns immer ein Anreiz, kreativer und sogar wählerischer zu sein."

 

Georgien. Der georgische Markt ist sehr aktiv, aber die Expansion bereitet noch Probleme. Eine Konkurrenz mit russischen Verlagen gibt es nicht, aber es ist schwierig, sich gegen den georgischen Medienmonopolisten Palitra Media zu behaupten.

Ein anderes Problem sind neue Gesetze. Der Diogene-Verlag in Tbilisi beispielsweise befindet sich wie einige andere Verlagshäuser jetzt in finanziellen Schwierigkeiten, weil ihm seine einzige "ertragreiche" Verlagssparte - Schulbücher - genommen wurde. Dort konnte seriöse, aber schwer verkäufliche Literatur gedruckt werden. Nun aber hat die Regierung ihre Politik in diesem Bereich abrupt umgestellt, sie wird diese Bücher (Diogenes geistiges Eigentum) künftig unabhängig vom Verlag drucken. Das wirft nur zehn Prozent Gewinn ab und ist eine ernste Bedrohung für dessen Existenz. Diogene und drei weitere Verlage versuchen sich mithilfe des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dagegen zu wehren.

Wie für die meisten osteuropäischen Länder gilt auch für Georgien, dass der Mangel an statistischen Informationen eine Strategieplanung nahezu unmöglich macht. Tamar Lebanidze, Leiter des Diogene-Verlags, sagte, es sei wegen fehlender Daten nun die Hauptstrategie, nur noch englischsprachige Bestseller einzukaufen. Das könnte den wirklich wichtigen belletristischen Werken schaden und sogar die georgischen Autoren bedrohen: "Finanziell erfolgreiche Verleger in Georgien kümmern sich nicht um Marktforschung, sie schauen sich die ersten Plätze bei Goodreads an, kaufen die Rechte und warten dann, welche Bücher hier zum Bestseller werden."

Die laufenden Vorbereitungen für Georgiens Auftritt als Gastland der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2018 hat zur Gründung des Georgian Book Centre geführt, das die Übersetzung georgischer Literatur fördert. Grundsätzlich kann man sagen, dass der georgische Markt im Vergleich zu anderen postsowjetischen Märkten solide ist - das Sprachenproblem spielt hier keine Rolle. Dank der starken Stellung der georgischsprachigen Bücher haben russischsprachige Bücher auf dem Markt kaum eine Chance.

Armenien. Obwohl der armenische Markt extrem klein ist, bemüht man sich um internationale Zusammenarbeit. Das ist an erster Stelle der Zugang zum russischen Markt, aber jetzt richtet sich der Blick auch nach Westen. Die Verlage haben die gleichen Schwierigkeiten wie die meisten Verlage in den kleinen postsowjetischen Staaten - ein schwaches Vertriebsnetz, kaum Bibliotheksankäufe, kleine Auflagen (in der Belletristik im Durchschnitt 500 Exemplare). 

"Wir halten nach neuen Märkten Ausschau", sagt Khachik Grigoryan, Verlagsleiter von Ankyunacar, und ergänzt: "Ich habe nicht gedacht, dass ich hier neue Partner finden könnte, aber jetzt sehe ich, dass das wirklich möglich ist."

Das war der Sinn des Treffens von Kiew - die Anbahnung internationaler Geschäfte. "Internationale Geschäfte bedeutet nicht, mit Amerika oder Italien zu arbeiten. Ich denke an internationale Geschäfte hier, in der Region - eine Zusammenarbeit mit Nachbarn, mit Menschen, die ohnehin schon eine große kulturelle Nähe zueinander haben", erklärte Niki Théron, Managerin für Internationale Projekte bei der Frankfurter Buchmesse.

Selbstverständlich waren die anwesenden Verleger auch offen für internationale Kontakte. Jeder dieser nationalen Märkte erfüllt hierfür die Voraussetzungen: Sie haben bekannte Autoren, die sich schon im Ausland einen Namen gemacht haben, ausgezeichnete Illustratoren und Buchgestalter sowie eine neue Generation von Kulturmanagern, die Bücher, Autoren und Künstler ihrer Nation fördern und ihnen helfen wollen, jenseits ihrer Grenzen sichtbar zu werden. Alles ist zum Beginn bereit - also los! 

Iryna Baturevych ist Miteigentümerin und Koordinatorin des Literaturportals chytomo.com media project (Ukraine). Sie beobachtet den Buchmarkt und ist Leiterin der Vereinigung ukrainischer Kleinverlage sowie Beraterin. Ihr Text wurde aus dem Englischen übersetzt von Ebba D. Drolshagen.