Podiumsdiskussion

Wie verkaufe ich Heimat?

20. Oktober 2016
von Nicola Bardola
Die Interessengruppe Regionalia im Börsenverein will Literatur „von nebenan“ fördern. Ziel ist es, die Buchhandlungen als regionale Identifikationsorte zu etablieren. Bei einer Podiumsdiskussion wurden verschiedene Wege aufgezeigt, wie das gehen könnte.

Wissen, wo man ist

„Die konsequente Ausrichtung auf den Hessen-Gedanken hat zum Erfolg geführt“, sagte Hans Sarkowicz, Kulturchef Wort beim Hessischen Rundfunk (HR). Hans Sarkowicz hat weit über hundert Bücher vorwiegend zum Thema Hessen veröffentlicht. Er skizzierte die Geschichte des HR, der sich dank der Konzentration auf Regionales vom Schlusslicht der Landessender ins Spitzenfeld vorgearbeitet habe. „Die Hessenschau ist heute die meistgesehene Sendung im HR. Wir wollen Gefühle vermitteln. Wenn man uns einschaltet, soll man wissen, wo man ist. Und das gilt doch besonders auch für Buchhandlungen. Man muss die regionale Kulturvermittlung aufbauen und die Zuhörer, Zuschauer und Leser daran gewöhnen. Bei uns ist das messbar- und diesen Erfolg könnte es auch im Buchhandel geben. Ich finde, Bestsellerstapel vermitteln wenig Gefühl. Bestseller kann man auch an der Tankstelle kaufen."

Erfolgreiche Regionalmärkte

Der HR sei heute einer der wichtigsten Kulturveranstalter in Hessen, so Sarkowicz, und organisiert schon seit zehn Jahren die Veranstaltung ‚Literaturland Hessen‘, die bewusst nicht auf die großen literarischen Institutionen beschränkt ist. Während der Regionalbuchtage finden innerhalb von 14 Tagen möglichst viele Lesungen auch in sehr kleinen Buchhandlungen statt. „Wir sind hier auf der Buchmesse, um den Buchhandel anzusprechen. Die IG Regionalia hat sich zum Ziel gesetzt, dass Regionalliteratur in den Buchhandlungen ihren Platz findet. Der Buchhandel hat da eine große Chance, noch sehr viel mehr Umsatz zu machen“, sagte der Moderator der Diskussion Jürgen Kron, der Programmleiter des Düsseldorfer Droste Verlages ist. Dort und in Köln sind die Regionaliamärkte große Erfolge. Dass das auch in Frankfurt geht, beweist Norbert Rojan, der Geschäftsführer des B3 Verlages, der den Hessen-Shop erfunden hat.

 

Die Wurst in der Dose läuft immer

„Als wir vor sechs Jahren aus der Not heraus den Hessen-Shop gegründet haben, wollten wir neue Absatzmärkte für unsere Bücher schaffen. Mit dem traditionellen Buchhandel schien uns das nicht mehr möglich. Wir haben inzwischen 16 Verkaufsstellen“, erklärte Norbert Rojan. In den Hessenshops findet man Lebensmittel, hessische Utensilien und vieles mehr aus der Region, was zwar prinzipiell erhältlich ist, aber eben verstreut. „Der vollständige Namen unserer Hessen-Shops ist Programm: ‚Kult und Kultur von Daheim‘. Wir verkaufen Emotionen und die Verbundenheit zur Region, in der wir leben. Wir sind kein Souvenirladen. Wir verkaufen einen Bezug zur Region.“ Rund 25 Prozent des Sortiments machen Bücher aus, oft regionale Kochbücher, regionale Krimis und Romane. „Die Wurst in der Dose läuft immer. Die Wurst habe ich gegessen und will eine neue. Beim Buch bietet sich leider nicht immer sofort eine Ergänzung.“ Norbert Rojan räumte ein, dass der Markt schwierig ist: „Aber Regionalia ist eine ernst zu nehmende Sparte, wo es auch um Literatur geht. Wir arbeiten weiter eng mit dem Buchhandel zusammen.“

 

Heimat und Herzblut

 „Als Verleger ist man buchhandelsaffin. Warum haben Sie keine Buchhandlung gegründet?“, wollte Moderator Jürgen Kron vom B3-Verleger wissen. „Wir bieten bewusst einen Mix an. Ich würde eine Buchhandlung nicht Buchhandlung nennen und kein allgemeines Sortiment in die vier Wände stellen. Eine Buchhandlung würde ich z.B. ‚Herzblut‘ nennen, was ja Romane, Kinderbücher oder Gedichte auch sein können. Und dazu würde ich auch Wein, Pralinen oder Blumen anbieten. Etwas, das über die Bücher hinausgeht.“

Jürgen Kron zitierte Martin Walser, Heimat sei der netteste Begriff für Provinzialität und verwies auf einen gegenläufigen Trend: In Berlin und in Frankfurt gebe es inzwischen Kneipen für junge Leute, die ‚Heimat‘ heißen. „Wir sprechen trotzdem von Hessen. Der Begriff Heimat allein taucht bei uns nie auf. Er ist immer verbunden mit Heimatliteratur, Heimatfilm usw.“, entgegnete Hans Sarkowicz. Allerdings tauche der Begriff Heimat mit zunehmendem Erfolg bei den Popsendern auf. „Hier wird die Generation bis dreißig angesprochen, die keine Probleme mit dem Begriff hat“, so Sarkowicz.

Mehr Aroma

Die buchaffine Runde war sich einig, dass sie noch viel von der anspruchsvollen Landwirtschaft mit individuellem Angebot lernen könne. Andreas Schneider ist Inhaber des Obsthofs am Steinberg. „Arbeiten in der Natur und für die Natur und für die Region“ ist sein Motto. Er baut rund 125 historische Apfelsorten an. Diese neigen allesamt zum mehlig werden. „Früher wurden mehlige Sorten bevorzugt. Wegen der zahnmedizinischen Versorgung waren Birnen zartschmelzend, Äpfel waren mürbe. Heute sind Bissfestigkeit und Knackigkeit Qualitätskriterien. Wir kümmern uns aber um das weiche Obst, weil wir finden, dass es mehr Aroma hat.“

Darum gehe es auch der IG-Regionalia: Heimat- auf originelle Weise mit Traditionsbewusstsein im Buchhandel zu verbinden, sagte Jürgen Kron, und Hans Sarkowicz wünschte sich Bücher über besonderes Obst. Schließlich gebe es auch Bestseller über Bäume.