Michael Schikowski über die Begeisterung der Buchhändler

Bloß keine Begeisterungsschauspieler!

16. August 2017
von Börsenblatt
Niemand verkauft so gut Bücher wie ein überzeugter Buchhändler, der mit seiner Freude am Buch nicht hinterm Berg hält. Kann man das lernen? Fragt Michael Schikowski.

Die Liste der Voraussetzungen für einen erfolgreichen Buchverkauf ist lang, aber kaum einmal fehlt die Begeisterung für Bücher, ihre Schönheit und Wucht. Was ist Begeisterung? Sie ist immer nur in uns selbst. Und das so sehr, dass sie sich körperlich äußert, von kaum merklicher Gänsehaut, glänzenden Augen bis zum geröteten Gesicht. Begeisterung entsteht nicht durch eine von außen eintreffende Information oder Anweisung. Übertragen und gesteigert wird sie
im Gespräch.

Dass das buchhändlerische Urteil über Bücher im Unterschied zu dem des Kritikers (nicht ausschließlich, aber wesentlich) auf Begeisterung beruht, hat man vielleicht zu wenig berücksichtigt – bei der Abschaffung des Literaturunterrichts in der buchhändlerischen Ausbildung.
Kritik als Literaturgattung fußt auf einer asymmetrischen Kommunikationssituation von Kritiker und Leser, jener weiß mehr als dieser – Begeisterung mag es beim Kritiker geben, Analyse geht aber vor. Angehenden Buchhändlern dagegen müsste der Literaturunterricht ermöglichen, die eigene Begeisterung zu finden und sie befähigen, dieser Begeisterung Ausdruck zu verleihen. Vulgo: Bücher gut finden und sagen können, warum. Was ja die Basis aller Kultur ist und Analyse und Kritik keineswegs ausschließt.

Allerdings scheinen die persönliche und berufliche Seite des Lesens in unserer Branche längst entkoppelt, was zu der Auffassung führt, dass das Lesen ein bloßes Privatvergnügen der Angestellten sei, so wie ihr Musikgeschmack. In der Folge wird den Mitarbeitern das Rollenhandeln der Begeisterung antrainiert – wie Cheerleadern ihr Gehopse.

Dem kommt die verstärkte Blockbildung von deutlich von­einander abgegrenzten Genres und Subgenres auf der Produk­tionsseite entgegen. Diese beidseitige Positionierung – der Angestellten als bloße Begeisterungsschauspieler, des Produkts als Genre – lässt das Produktionssystem und Rezeptions­system nun direkt, ohne Umweg über Vermittler, miteinander in Kontakt treten. Damit sind sie an die digitalen Systeme anschlussfähig. Und solange das funktioniert, glaubt man die um sich greifende Entfremdung von der Begeisterung durch eigene Entdeckungen nicht weiter bedauern zu müssen. Dagegen haben viele im Buchhandel als leidenschaftliche Leserinnen und Leser begonnen. Es liegt zwar in der Natur der Sache, dass die Begeisterungsfähigkeit mit der Zeit nachlässt; fehlt die Leidenschaft fürs Lesen aber irgendwann ganz, glaubt man mitunter, den Beruf auch ohne Lektüre ausführen zu können.

Der Buchverkauf beruht aber auf einem ebenso authentischen wie lebendigen Leseerlebnis. Gewiss, der Buchhandel verwertet auch bloße Buchcover, die er auslegt wie Fallen. Aber im Kern verwertet er Leseerlebnisse. Da das Lesen nun zunehmend dem privaten Engagement anheimgestellt wird, als spiele es im beruflichen Alltag keine Rolle, wird das private Vergnügen am Lesen den Buchhändlern selbst nahezu verdächtig.

Das führt zu der paradoxen Situation, dass gelegentlich die Bitte um ein Leseexemplar aus schierer persönlicher Begeisterung fast entschuldigend vorgetragen wird. Aber das genau ist es ja: Indem wir unserem privaten Vergnügen folgen, sind wir zugleich in der Lage, beruflich erfolgreich zu sein.

Zum Buch vom Valentine Goby schrieb mir eine Buchhändlerin: "Ich habe 'Kinderzimmer' gelesen, und es hat mich mit Wucht erreicht." Lassen wir uns erreichen. Dann erreichen wir auch die Kunden.