Protest gegen Einschränkung der Meinungsfreiheit in Polen

Offener Brief der Kulturvermittler: "Es reicht!"

28. Februar 2018
von Börsenblatt
"Es reicht!", haben Übersetzer und Vermittler polnischer Literatur einen Offenen Brief unter anderem an das polnische Kulturministerium überschrieben, in dem sie der PiS-Regierung vorwerfen, "die Demokratie auszuhöhlen und die Zivilgesellschaft zu entmündigen".

Den Brief richten die Unterzeichner, zu denen Olaf Kühl, Martin PollackMichael Krüger, Jo Lendle und Patricia Klobusiczky gehören, an die Botschaften der Republik Polen in Berlin, Wien und Bern, das polnische Kulturministerium, das polnische Außenministerium und den Senat der Republik Polen. Der offene Brief erschien bereits am Samstag in der zweitgrößten polnischen Tageszeitung, der "Gazeta Wyborcza".

Hintergrund ist der seit fast zwei Jahren tobende Kulturkampf im Nachbarland, der sich immer wieder an neuen Gesetzesentwürfen und Dekreten der amtierenden rechtskonservativen Regierung entzündet: Zuletzt hatte der polnische Senatspräsident Stanisław Karczewski per Brief die im Ausland lebenden Polen aufgefordert, den polnischen Konsulaten und Botschaften vermeintliche "antipolnische Äußerungen" zu melden. Kritiker sehen darin einen Versuch der Geschichtsklitterung, etwa im Bezug auf antisemitische Verbrechen durch polnische Bürger vor, während und nach dem Terror durch die Nationalsozialisten.

Im Wortlaut heißt es in dem Offenen Brief:

"Es reicht!

Noch vor wenigen Jahren genoss Polen als Leader der postkommunistischen Transformation in Osteuropa international große Achtung und Ansehen. Heute wird es von vielen als 'kranker Mann Europas' wahrgenommen, politisch und vor allem moralisch. Es ist der PiS-Regierung gelungen, innerhalb kurzer Zeit die Errungenschaften eines Vierteljahrhunderts  zu verspielen und das Ansehen Polens in der freien Welt nachhaltig zu beschädigen.

Ein Ende ist nicht abzusehen. Ungeachtet aller Proteste im In- und Ausland setzt die rechts-populistische Führung ihre Bemühungen fort, die Demokratie auszuhöhlen und die Zivilgesellschaft zu entmündigen und einzuschüchtern. Unabhängige kulturelle Institutionen und Medien geraten ebenso unter Beschuss wie unliebsame Autoren und Künstler. Der neue 'Literaturkanon' für polnische Schulen, dem Werke von Joseph Conrad, Bruno Schulz, Witold Gombrowicz oder Ryszard Kapuściński zum Opfer fielen, ist dafür ein trauriger Beweis.

Die offizielle Politik setzt zunehmend auf einen rabiaten Nationalismus und versucht, die nationale Geschichte und historische Erinnerung für ihre kurzfristigen Ziele zu instrumentalisieren. Jüngste Auswüchse dieser Politik sind das umstrittene Gesetz, wonach mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden soll, wer 'dem polnischen Volk oder Staat öffentlich und wahrheitswidrig' eine Mitschuld an NS-Verbrechen, vor allem dem Holocaust, zuschreibt, und der Aufruf des Senatspräsidenten an die Polen im Ausland, alle 'antipolnischen Äußerungen' zu melden. Die Denunziation als patriotische Pflicht! Schändlicher geht’s nicht mehr. Wir, die wir uns eng mit Polen verbunden fühlen, wollen nicht länger schweigend mit ansehen, wie sein Image durch diese Politik in ein Zerrbild verwandelt wird. Als Übersetzer und Publizisten, die wir uns seit Jahren für die Präsenz der vielstimmigen polnischen Literatur und Kultur in unseren Ländern engagieren, sind wir es auch unseren Freunden in Polen schuldig, dagegen zu protestieren und zu rufen: Es reicht!"

Schließlich folgt ein Liste der Unterzeichner: 

Übersetzerinnen und Übersetzer: Martin Pollack (Bocksdorf), Olaf Kühl (Berlin), Lisa Palmes (Berlin), Marlis Lami (Wien und Krakau), Dorota Stroińska (Berlin), Gabriele Leupold (Berlin), Benjamin Voelkel (Putlitz), Hans Gregor Njemz (Kiel), Thomas Weiler (Markkleeberg), Martin Sander (Warschau), Peter Seraphim (Krakau), Andreas Volk (Warschau), Peter Oliver Loew (Darmstadt), Bernhard Hartmann (Duisburg), Marta Kijowska (München), Renate Schmidgall (Darmstadt) Joanna Manc (Frankfurt am Main), Lothar Quinkenstein (Berlin).

Vermittlerinnen und Vermittler polnischer Literatur: Michael Krüger (1986-2013 Verleger des Hanser Verlags München), Jo Lendle (Hanser Verlag München), Herbert Ohrlinger (Paul Zsolnay Verlag Wien),  Katharina Raabe (Suhrkamp Verlag, Berlin), Dorothea Rein (Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main),  Andreas Rostek (Edition Fototapeta), Janika Rüter (Suhrkamp Verlag, Berlin), Markus Weber (Moritz Verlag, Frankfurt am Main), Jörg Becken (KLAK Verlag), Sabine Baumann (Lektorin, Schöffling Verlag Frankfurt am Main), Klaus Schöffling (Schöffling Verlag Frankfurt am Main), Manfred Sapper (Chefredakteur der Zeitschrift OSTEUROPA), Uwe Rada (Buchautor, Redakteur der "taz"), Jürgen Jakob Becker (Deutscher Übersetzerfonds), Patricia Klobusiczky (Vorstandsvorsitzende des Verbands deutschsprachiger Übersetzer, VdÜ), Hinrich Schmidt-Henkel (Vorstand des Verbands deutschsprachiger Übersetzer,VdÜ), Katrin Segerer (Vorstand des Verbands deutschsprachiger Übersetzer, VdÜ) Martin Jankowski (Autor, Berliner Literarische Aktion), Ewa Maria Slaska (Journalistin, WIR-Verein zur Förderung der Deutsch-Polnischen Literatur e.V. (1994 – 2012), Städtepartner Stettin), Emilia Smechowski (Autorin). "

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