Ist die korrekte Schreibung von Texten ein zivilisatorischer Standard – oder ist es hip, darauf zu verzichten?
Das ist eine Frage der Balance. Lesen, Schreiben, Rechnen – dieser Dreiklang von Fähigkeiten hat tatsächlich etwas mit Zivilisation zu tun. Es sind Grundfertigkeiten, auf die wir nicht verzichten können, ganz gleich, wie digital unsere Welt werden wird. Wenn wir Computer oder Taschenrechner verwenden, müssen wir immer noch die Hoheit über das Ganze haben. Beim Taschenrechner etwa muss man einschätzen können, ob das Ergebnis überhaupt stimmen kann. Das geht nicht ohne die Kenntnis des Zahlenraums.
Hat die Rechtschreibleistung seit Einführung der neuen Regeln vor über 20 Jahren abgenommen?
Die Studien, die es dazu gibt, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen und zeichnen daher kein einheitliches Bild. Man muss bei jeder Studie sehr genau schauen, wie das Studiensetting gewesen ist, wer befragt oder getestet wurde, wie die Mindeststandards definiert werden. Relativ eindeutig scheint zu sein, dass die Leistungen von Grundschulkindern nachlassen. Das zeigen die Ergebnisse der kürzlich veröffentlichten Grundschulstudie für Berlin – übrigens nicht nur für das Schreiben, sondern auch für das Lesen. Nicht mehr ganz so dramatisch ist die Lage in den 9. Klassen, wie eine Studie des IQB (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen) in Berlin ergeben hat: Da erreicht die gleiche Zahl an Schülern die Mindeststandards wie in der Vorgängerstudie.
Hat die Rechtschreibreform zur Klärung oder zur Verunsicherung beigetragen – besonders bei Klein- und Großschreibung und bei Getrennt- und Zusammenschreibung?
Auch hier dürfte eine eindeutige Klärung nicht möglich sein. Es sind einfach zu unterschiedliche Einflussfaktoren, die auf die Rechtschreibung einwirken. Zu welchem Prozentsatz die Rechtschreibreform da hineinspielt, kann man kaum nachweisen. Zu Verunsicherung beim Schreiben hat sie allerdings geführt, bei Schülern wie bei Deutschlehrern. Die Generation, die nach der Reform eingeschult wurde, hat es sicher leichter gehabt, da sie die Rechtschreibung auf der Basis der neuen Regeln erlernen konnte. Kompliziert sind nach wie vor die Groß- und Kleinschreibung und insbesondere die Getrennt- und Zusammenschreibung. Warum wird beispielsweise das Verb „eislaufen“ klein- und zusammengeschrieben, „Ski laufen“ aber groß- und getrennt?
Wie sieht es bei der Zeichensetzung aus?
Das scheint nach Meinung von Experten und Wissenschaftlern derzeit der Bereich zu sein, der Schülern und jungen Erwachsenen die größten Schwierigkeiten bereitet. Die Kommasetzung wird eines der Felder sein, mit denen sich der Rat für deutsche Rechtschreibung befassen wird. Im Grunde geht es hier aber nicht um ein Orthographieproblem, sondern um einen Mangel an Grammatikkenntnissen. Wenn man nicht in der Lage ist, eine Satzanalyse vorzunehmen, kann man auch die Zeichensetzung nicht beherrschen.
Wird bei Medien und Verlagen aus Spargründen zu wenig auf die korrekte Schreibung geachtet? Viele haben ihre Korrektorate abgeschafft.
Bei der Presse ist das häufig der Fall, bei den Buchverlagen zeigt sich ein uneinheitliches Bild. Die namhaften Verlage sorgen in der Regel für korrekte Manuskripte, dramatisch sieht es allerdings auf Websites namhafter Zeitungen und Rundfunkanstalten aus – wobei gerade diese Medien eine Vorbildfunktion haben. Da würde ich mir in jedem Fall wünschen, dass stärker korrigiert wird.
Hat fehlende Rechtschreibkompetenz negative Auswirkungen auf die berufliche Laufbahn?
Rechtschreibung ist ja nicht nur ein Thema für die Schule, sondern für das gesamte Leben und die berufliche Laufbahn. Das beginnt schon mit Einstellungstests für den öffentlichen Dienst, bei denen es nicht nur bei der Rechtschreibung hapert, sondern auch beim Strukturieren von Texten. Es gibt so viele Bereiche im öffentlichen Leben, an denen jeder von uns teilnimmt, bei denen die Einheit von Inhalt und Form eine große Rolle spielt. Man nimmt den Inhalt einer Geschichte nicht wahr, wenn die Verpackung nicht stimmt.
Wie beurteilen Sie die Schreibweisen, die sich in sozialen Netzwerken herausgebildet haben?
Ich finde es nicht schlimm, wenn sich da eigene Regeln herausbilden, die dann in diesem Medium genutzt werden, beispielsweise Sätze, die nicht mit einem Punkt beendet werden. Man bedient sich da eines anderen Registers. Das funktioniert aber nur dann, wenn man die allgemeinen Regeln auch beherrscht.
Was kann man tun? Sind Diktatwettbewerbe wie jüngst in Frankfurt ein probates Mittel, um die Akzeptanz und Attraktivität des Themas Rechtschreibung zu erhöhen?
Bei Diktaten kommt ja in der Regel keine Stimmung auf, deshalb finde ich es toll, was in Frankfurt stattfindet. Da spielt natürlich auch der Wettkampfgedanke eine wichtige Rolle. Mit unserem Buch wollten wir vor allem Anstöße für die Diskussion geben und gucken, was man wirklich tun kann. Beeindruckend finde ich, was im Bereich Lesen in den letzten Jahren entstanden ist - wenn man sich die Stiftung Lesen anguckt, den Vorlesewettbewerb, den Vorlesetag. Auf das Lesen ist ein gesamtgesellschaftliches Augenmerk gelegt worden. Wenn uns so etwas für das Schreiben und Rechnen gelingen würde, dann wäre schon viel gewonnen.
Das Buch
"Warum es nicht egal ist, wie wir schreiben" dokumentiert eine Podiusmdiskussion, die Duden-Redaktionsleiterin Kathrin Kunkel-Razum am 30. Oktober 2017 in der Dudenredaktion in Berlin moderiert hat. Teilnehmer waren der Schauspieler und Hörbuchsprecher Burghart Klaußner, die Lehrerin, Hochschulplanerin und Schulentwicklerin Ulrike Holzwarth-Raether sowie der Sprachwissenschaftler Peter Gallmann.
Das Buch ist im Februar 2018 im Dudenverlag erschienen, hat 64 Seiten und kostet 8 Euro.