Unabhängige Sortimente in der Schweiz

Mut zur Persönlichkeit

9. Mai 2018
von Börsenblatt
Indie-Buchhandel in der Schweiz: kein einfaches Geschäft, aber ein einfallsreiches. Denn auch auf dem Land gibt es sehr spezielle Konzepte. Ein Besuch bei den deutschsprachigen Nachbarn

In der Schweiz gibt es nicht nur gute Zugverbindungen überallhin, sondern auch ein weitverzweigtes Netz von Buchhandlungen bis in jeden Winkel des Landes. Besondere Konzepte oder kleine Design-Tempel sind dabei ­keineswegs nur auf die großen Städte beschränkt. So führt zum Beispiel Carol Forster in ihrem bücherladen in Appenzell nahe der österreichischen Grenze nicht nur einen stilvollen Laden mit fünf Mitarbeiterinnen, sondern stellt auch noch alle zwei Jahre das Literatur­festival "Kleiner Frühling" auf die Beine.

Forster offeriert wundersame Dinge wie einen vom Appenzeller Künstler Roman Signer gestalteten Plastikbeutel für die Einkäufe – und Ideen, die den buchhändlerischen Horizont buchstäblich erweitern. So liefert sie neuerdings zwei Mal wöchentlich Bücher an umliegende Orte, die keine Buchhandlung haben. Ihre Partner sind Dorfläden, Bäckereien und Cafés. Die Bücher werden via Internet bestellt, hübsch eingepackt, mit einem Bändchen und dem Namen versehen.


Auch in den Hügeln und nicht hinter dem Berg ist Bücher Dillier in Sarnen: Der junge Buchhändler Alban Dillier führt in der Zentralschweiz eine elegante und im wahrsten Sinne des Wortes bewegliche Buchhandlung. Die Bücherregale lassen sich nämlich zur Seite schieben, damit eine Bühne für Veranstaltungen entsteht, wie sie hier besonders gepflegt werden. "Lesen und lesen lassen" heißt es auf der Schaufens­terscheibe. Die Veranstaltungen können im Jahresabonnement gebucht werden – mit dem Beitritt in einen Verein ­namens IG Buch.

Bevor die Reise weitergeht zu weiteren innovativen Buch­orten in der Schweiz, zunächst ein Blick auf die allgemeine ökonomische Wetterlage: In den vergangenen zehn Jahren ist der Umsatz mit Büchern in der Deutschschweiz um ein Viertel zurückgegangen, hauptsächlich infolge gesunkener Buchpreise durch den starken Franken. Der Abwärtstrend beim Umsatz ließ sich auch 2017 nicht stoppen: Die Sortimente mussten im vergangenen Jahr ein Minus von 2,9 Prozent verkraften. Der Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband (SBVV) schätzt, dass seit 2007 ca. 30 Prozent der unabhängigen Buchhandlungen in der Schweiz vom Markt verschwunden sind.

Doch gerade in diesen Tagen mehren sich die Anzeichen dafür, dass immerhin bei der Buchhandelsdichte der Turn­around geschafft ist. Viele alteingesessene Buchhandlungen haben Nachfolger gefunden und in den vergangenen zwei Jahren haben zudem zehn neue Buchhandlungen eröffnet – in Rüti, Uster, Rapperswil, Weinfelden, Basel, Bern und Zürich. Geradezu ein Statement ist der neue Buchsalon Kosmos in Zürich direkt hinter dem Hauptbahnhof, der das Buch auf 300 Quadratmetern als Inspirationsquelle und Lebenselixier inszeniert. Die beiden Gründer Bruno Deckert und Monika Michel haben mit dem Mix aus Café, Treffpunkt und Buchhandlung, der schon ihre berühmte vormalige Zürcher Buchhandlung Sphères geprägt hat, erneut innovatives Gespür bewiesen, aber auf einer höheren Stufe. Warum? "Weil wir an das Buch glauben", sagen sie schlicht.

"Ich stelle fest, dass ein neuer Schub durch die Buchbranche gegangen ist", sagt Dani Landolf, Geschäftsführer des SBVV. Der Verband führt seit einigen Jahren gut besuchte Quereinsteiger-Kurse durch, die nun Früchte tragen. "Es ist auffallend, wie viele Branchenfremde dazugekommen sind und frischen Wind in den Buchhandel gebracht haben", stellt Landolf fest – eine Entwicklung, die auch in Deutschland zu beobachten ist.

Die Abschaffung der Buchpreisbindung vor elf Jahren hat in Verbindung mit dem starken Franken möglicherweise dazu beigetragen, dass sich neue Unternehmer ins Business wagten, weil sie die Preise etwas höher ansetzen konnten. "Dieser positive Effekt funktioniert allerdings nur dank der gebundenen Preise in Deutschland und Österreich", merkt Landolf an.

Auch dass die Digitalisierung nicht im befürchteten Umfang Kräfte aus der Branche abzieht, scheint für neue Zuversicht zu sorgen. Während das Verhältnis von Print- zu Digitalkäufen ­international bei 80:20 Prozent liegt, ist es im deutschsprachigen Raum ­niedriger: Hier liegt es im Schnitt bei 90:10 Prozent. Dass digitales Lesen bisher eine eher kleine Rolle spielt, ist insofern nicht nur eine Liebeserklärung an das gedruckte Buch, sondern auch an die Buchhandlungskultur. "Die unabhängigen Buchhändler haben in den vergangenen Jahren unglaublich viel in einen frischen Auftritt und neue Konzepte investiert", sagt Landolf.

Cornelia Schweizer und Heidi Häusler zum Beispiel haben ihre Buchhandlung am Hottingerplatz in Zürich nach 20 Jahren noch einmal neu erfunden: Sie wechselten die Straßenseite und holten sich für die neuen Räume die besten ­Designer und Ladenbauer. Die fachlichen Qualitäten blieben die gleichen: ein tiefes Sortiment, Kenntnis und Atmosphäre. "Buchhandlungen machen das Universum zu einem freundlicheren Ort", sagt Cornelia Schweizer. "Und seit es E-Books gibt, machen die Verlage auch wieder schönere Printausgaben." Mit dem Umsatz ist sie zufrieden, "nur die zu niedrigen Buchpreise sorgen für Probleme".

Auch eine Liebeserklärung an diese Buchhandlung: Es gibt zurzeit 30 Kunden, die sich über ein Bücher-Abo monatlich ein Überraschungsbuch zuschicken lassen. Dieses wird nach Profil des Kunden ausgewählt und mit einer handschriftlichen Karte versehen. "Man muss immer à jour sein", meint Schweizer, "wir sind Unternehmerinnen und nicht Unterlasserinnen."

Der nächste Zwischenhalt führt nach Frauenfeld zu Marianne Sax, deren Bücher­laden hier eine Institution ist. Für Sax ist offensichtlich, dass das persönliche Miteinander im Leben vieler Menschen zu kurz kommt und deshalb einer Buchhandlung als Herz der Ortschaft eine zentrale Rolle beim Zusammenleben zukommt. Sie schreibt wöchentlich kleine Buchrezensionen, die sie als Newsletter verschickt. Ebenfalls wöchentlich lässt sie sich von einer Floristin Blumen für den Laden bringen.

Die persönlichen Qualitäten des unabhängigen Buchhandels zu pflegen, ist für sie eine gute Geschäftsgrundlage. "Doch wir haben in der Schweiz zwei Umsatz­killer, die wir nicht beeinflussen können: die Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand bei den Bibliotheken und die Digitalisierung in Schule und Forschung."

Den momentanen Trend zum Kaffee-Ausschank, der in der Schweiz gerade weit oben auf der Agenda vieler Buchhandlungen steht, hat sie bereits vor 22 Jahren erprobt und wieder verworfen: "Bis sich ein Café rentiert, braucht man viel Geduld", resümiert Sax. "Will man es richtig machen, braucht man viel Platz, den man vielleicht doch besser für die ­Bücher verwendet."

Die Buchhandlung Schreiber in Olten verbindet in ihrem schönen Café beides miteinander: Mitten auf einem autofreien Platz in der Altstadt stehen die Tischchen, an denen jeweils ein Buch mit Kette befestigt ist. Inhaber Urs Bütler hält eine klare Positionierung für das A und O des unabhängigen Buchhandels. "Wir haben uns für ein großes Café im ­Innen- und Außenbereich der Buchhandlung entschieden, und es läuft sehr gut. Aber uns ist wichtig, dass es als Teil des Lesens und Bücherkaufens verstanden wird." Viele Kunden suchten das Besondere auch in kleineren Orten, so seine ­Erfahrung: "In der Schweiz gibt es viele mittelgroße Städte, die nah beieinanderliegen und autonom funktionieren", so Bütler. "Hier stellt sich die zentrale Frage, wie sich eine Region, eine Ortschaft weiterentwickelt, damit das Einkaufen attraktiv bleibt."

Wie vielfältig die Buchhandelslandschaft in der Schweiz ist, zeigt sich auch an weiteren Beispielen:

  • In Lachen am oberen Zürichsee führt der Spiel + Läselade neben einem allgemeinen Buchsortiment eine riesige Brettspiel-Abteilung. Die Buchhändler erproben in den Pausen neue Spiele, weil sie den Anspruch haben, dass nicht nur die Bücher gelesen, sondern ebenso die Spiele selbst getestet werden.
  • In Schaffhausen offeriert Bücher-Fass-Inhaber Georg Freivogel neben Lektüre auch Reisen – und führt einen lokalen Verlag.
  • In Zürich hat sich die Buchhandlung mille et deux feuilles mit Mittelmeer-Literatur positioniert, auf Deutsch und in den Originalsprachen.
  • Ein neuer Stern am Sortiments­himmel ist zudem Sandra Bellini, die nach einem SBVV-Quereinsteigerkurs ihre Buchhandlung Bellini in Stäfa eröffnet hat. "Ich merke, wie sehr ein schönes Ambiente geschätzt wird", sagt sie. "Viele Kunden kommen wieder, weil sie sich wohlfühlen." Ihr Geschäft ist hell, gepflegt, einladend – und auf dem Land. Sie sagt: "In allem ist es das Persönliche, das den Erfolg ausmacht."

Vielleicht ist das der Vorteil eines kleinen Landes wie der Schweiz: Es gleicht eher einen großen Stadt. Die Buchhandlungen werden, wohl auch dank der hohen Kaufkraft der Bevölkerung, vielerorts noch als Tor gesehen, durch das die richtigen Bücher zum Leser finden – trotz günstiger Angebote beim Discounter und im Internet. "Das ist immer wieder unsere Botschaft an die deutschen Kollegen in den Verlagen: Macht die Preise nicht zu niedrig", sagt SBVV-Geschäftsführer Dani Landolf. "Die Buchhändler müssen etwas bekommen für all das, was sie investieren." Und das ist unglaublich viel.