Rainer Groothuis im Interview

"Wir sind nicht Media Markt"

25. Oktober 2018
von Börsenblatt
Der Buchgestalter Rainer Groothuis über die Kraft von Kampagnen, den Wert des Immergleichen und die Wichtigkeit von Marken. Ein Interview von Holger Heimann.

Im Börsenblatt haben Sie unlängst gefordert, doch nicht immer darauf zu starren, dass es über sechs Millionen weniger Buchkäufer gibt, sondern sich darüber zu freuen, dass 30 Millionen lesen – also alles halb so schlimm?
Nein, das ist schon eine sehr bittere Zahl, zumal wir als Branche noch nicht wissen, wie wir darauf reagieren sollen. Aber jenseits aller Aufgeregtheit ist es wichtig, das Positive festzuhalten – es ist nicht gut, dass wir als 'niedergehende Branche' dastehen.

Thalia will "Lesen populärer machen". Es soll nicht nur "Luxushobby des Bildungsbürgertums" sein ....
Entschuldigung – Lesen, das 'Luxushobby' einer kleinen Klientel, die ohnehin als ausgestorben gilt? Welch ein Nonsens. Wäre Lesen ein 'bildungsbürgerliches Vergnügen', hätten wir einen völlig anderen Branchenumsatz. Bei uns können alle Menschen nach ihren individuellen Bedürfnissen lesen, nach ihrer Lust und Laune, nach den Möglichkeiten ihres Portemonnaies. Und wir haben für alle und alles ein Angebot. Das ist großartig.

Wie aussichtsreich ist überhaupt der Überredungsgestus von Kampagnen?
50 Prozent der Bevölkerung lesen gar nicht, diese Hälfte erreichen wir nicht. Einen überzeugten Nicht-Leser machen wir mit keiner Kampagne zum Leser – mich überzeugt auch niemand von der atemwohltuenden Qualität von Knoblauch. Sicher agieren wir bei der derzeitigen öffentlichen Wahrnehmung zunächst aus einer Position der Schwäche und gehen in eine Aufholjagd. Eine Kampagne muss positive Anstöße geben, über etwas nachzudenken und entsprechend zu handeln. Sie ist ein Prozess, sie braucht Zeit, Kontinuität, Budget, sie muss sympathische Aufmerksamkeit schaffen.

Was schlagen Sie vor?
Wenn wir eine Kampagne verantworten würden, dann wäre unser Ziel, zunächst die 30 Millionen zu stabilisieren und nicht auf Krampf den sechs Millionen hinterher zu laufen. Ein Teil dieser 'Abgänge' kommt eh zurück, denn wer einmal am Manna Buch geleckt hat, wird es nicht auf immer vergessen. Eine Kampagne wird umso erfolgreicher, je stärker sie ein Bedürfnis aufnimmt. Wir sollten die 30 Millionen in ihrem Lesen, ihrem Festhalten am Buch bestärken. Wir würden das Buch auch nicht gegen digitale Angebote stellen – das wird inzwischen als maschinenstürmerisch belächelt und der damit oft verbundene 'pädagogische Zeigefinger' nervt. Wir würden schließlich die Stärke des Buches betonen. Und diesen Ansatz mit dem Dasein von Verlagen und Buchhandlungen, ihren Leistungen und Angeboten, verknüpfen. Klar ist: Wenn wir den kulturellen, gesellschaftlichen 'Trend', von dem die Studie spricht, diese 'Abkehr vom Buch' auch nur eindämmen wollen, dann müssen wir uns unbedingt auch öffentlich wirksam äußern.

Muss darüber hinaus Werbung lauter, bunter werden, um aufzufallen?
Lautstärke wird bei unseren Zielgruppen allein keine Akzeptanz schaffen – wir sind nicht Media Markt. Wir sollten all jenen, die Lesen und Print lieben, besondere Erlebnisse bieten, am besten exklusive Branchenangebote. Ein Beispiel: Menschen suchen Welterfahrung, sie sind gern unterwegs – der Reise- und Touristikmarkt boomt. Da können wir anknüpfen und ein besonderes Reise-Welterfahrungsmagazin entwickeln, das natürlich mehr sein muss als ein bunter Prospekt. Die wunderbaren Inhalte haben wir doch.

Ein Verleger sagte mir: "Lesen muss für Teenager cool sein." – Wie schafft man das? Coole Bücher, coole Buchhandlungen – gibt es die?
Coole Bücher, sicher, die gibt es. Gerade im Kinder- und Jugendbuch hat sich doch sehr viel getan. Die meisten Buchhandlungen sind für Kinder zwischen acht und 14, 16 Jahren allerdings nicht so richtig cool, fürchte ich.

Ändern sich die Wünsche der Verlage an die Buchgestalter?
Spontan: Es soll möglichst viel möglichst viel weniger kosten.

Haben die Verlage Wichtiges versäumt?
Die Welt hat sich verändert, das Medienangebot ist uferlos – doch kein Tag ist länger geworden. Auf den Wettbewerb um die Zeit reagieren wir sehr spät. Wir haben die Werte unseres Produktes nicht intensiv kommuniziert. Dürfen wir uns wundern, wenn Menschen beispielsweise fragen: Warum sind Bücher so 'teuer'? Denselben, die ohne Murren 18 Euro für zwei Gläser Wein ausgeben, ist dieser Betrag für ein Buch zu teuer. Nochmal: Es gibt einen erheblichen selbstbewussten Erklärungsbedarf zur Rolle des Buches und seiner Anbieter.

Es wurde vielfach gefordert, das Buch stärker zu emotionalisieren, es positiv aufzuladen. Doch bislang fehlen die konkreten zündenden Ideen.
Kluge Worte sind auch leicht gesprochen und oft kaum mehr als Hülsen: Jedes Cover, jede Anzeige, jeder Auftritt versucht doch längst, den Inhalt zu 'emotionalisieren'.

Aber gibt es nicht zu viel vom Immergleichen?
Das Immergleiche ist wertvoll. Es gibt Leser, die lieben das, was vom Feuilleton als 'Schmonzette' nicht beachtet wird – und es ist gut, dass wir auch für sie Angebote haben. Das  Immergleiche macht Umsatz, den Verlage und Buchhandel brauchen. Und gute Verlage realisieren mit dem Umsatz aus dem Immergleichen das Neue. Schlimmer ist, dass der Eindruck vom vielen Immergleichen auch dadurch entstanden ist, dass die Verlage den Lesern die Orientierung nach Marken völlig entzogen haben.

Interessiert es denn wirklich, ob ein Buch von Rowohlt oder Fischer kommt?
Den Verlag als Marke kenntlich zu machen, heißt, Orientierung zu bieten, einen Fokus zu setzen, ein positives Vorurteil von Buch zu Buch zu schaffen und von Programm zu Programm. Nutzen wir doch die Funktion von Wiedererkennbarkeit und Profil. Attraktives Profil schafft Profit. Warum gilt etwas bei uns nicht, was in der ganzen Warenwelt als zentrale Aufgabe gesehen wird?

Ob jemand ein Buch gut oder schlecht findet, unterhaltsam oder langweilig – das entscheidet doch nicht der Umschlag. Wie wichtig ist Gestaltung überhaupt?
Die Bedeutung der Gestaltung hat sich durch die Veränderung der Bedürfnisse grundlegend gewandelt.  Solange Sie Hunger haben, ist es Ihnen egal, wie ein Brot geformt, seine Verpackung gestaltet ist. Wir aber sind alle satt, haben eher zu viel. Gestaltung unterscheidet die Anbieter voneinander, sie offeriert Genuss, Distinktion, Selbstbelohnung. Etwas Bestimmtes zu kaufen, zeigt meine Haltung als Kunde. In allen Märkten ist Design zu einem zentralen Baustein des Erfolgs geworden. Und wir fragen uns das immer noch?

Rainer Groothuis ist einer der bekanntesten deutschen Buchgestalter. 1998 gründete er in Hamburg seine Agentur Groothuis und Consorten, die heute unter dem Namen Groothuis. Gesellschaft der Ideen und Passionen firmiert.