"Eine Form für literarischen Enthusiasmus" - Wiebke Porombka schreibt in der "taz" über das Berliner Literaturfestival:
Fast immer traf man auf Moderatoren, die nicht nur glänzend vorbereitet waren, sondern die den geladenen Autoren mit einer Emphase begegneten, als wären sie allesamt durch Schreibers Schule des enthusiastischen Gastgebers gegangen. Da konnte schon mal richtig große Abendunterhaltung herauskommen. Wie bei dem US-Kultautor Chuck Palahniuk, mit dem Moderator Bernhard Robben ein ebenso kluges und gagdurchsetztes Gespräch führte. (Wussten Sie, dass Palahniuks Telefonnummer auf -666 endet? Sagt Ihnen die Quote 104 etwas? So viele Leute mussten bei seiner letzten Buchvorstellung kotzen oder aus anderen Gründen rausgetragen werden.) Nur durch Palahniuks Lesung selbst wurde diese feine Literaturshow noch überboten. Sein neuer Roman "Das Kainsmal", der demnächst auf Deutsch erscheint, erzählt von einem Jungen, dessen liebstes Freizeitvergnügen es ist, seine Füße in irgendwelche Erdlöcher zu stecken, um sich von Schlangen, Skorpionen oder sonst einem Getier anknabbern zu lassen. Klingt übel, erzählt aber wie alle Romane des vor allem durch "Fight Club" bekannt gewordenen Palahniuk über den schmerzhaften Versuch seiner Figuren, ein körperliches Bewusstsein für die Gegenwart herzustellen.... Natürlich war nicht jeder Abend ein Treffer. Wenn man zum Beispiel aus Versehen beim Barden-Veteran Wolf Biermann landete. Oder bei Maxim Biller, der sich in seiner gewohnten Patzigkeit sonnte und reichlich wenig Auskunft über die Arbeit an seinen Texten, dafür umso bereitwilliger über seine Kollegen geben konnte: Ingo Schulze beispielsweise findet er einfach richtig schlecht. Ach, was solls. Die 20-jährigen Mädels, die an diesem Abend den Großteil des Publikums ausmachten, fanden den Maxim eh einfach nur total süß und ganz schön klug sowieso. Muss ja für jeden was dabei sein auf so einem Festival.
"Europa und die Schrift im Spiegelbild" - die "NZZ" porträtiert den Germanist und Historiker Karl Schmid:
Im politisch-intellektuellen juste milieu der Schweiz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verkörperte Karl Schmid Literaturwissenschafter, Historiker, Stratege schon bald das Gewissen einer unruhigeren Generation. Als nachdenklicher Germanist war Schmid zunächst hervorgetreten, mit Arbeiten über Hermann Hesse und Thomas Mann und über das Idyllische. Aber rasch wandte er sich auch politischen und allgemein kulturellen Themen zu, die ihm der Zeitgeist zu diktieren schien wobei er oftmals ebenso pointiert wie eigenwillig argumentierte. Karl Schmid war Patriot. Das hatte damals, in den vierziger und fünfziger Jahren, nichts Verdächtiges an sich. Zugleich dachte er europäisch, und er verstand es mit Brillanz, die Erkenntnisse und Theorien der Sozialpsychologie für seine Ideen zu nutzen. So wurde auch seine bekannteste Schrift, «Unbehagen im Kleinstaat» von 1963, zu einem teils analytischen, teils provokativen Traktat über schweizerische Eigenart im Verhältnis zur Weltgesellschaft. Man las diesen Essay damals wie einen kritischen Weckruf; während bürgerliche Geister zu denen sich der Autor selber zählte nach Gegenthesen suchten, glaubte sich mancher linke Intellektuelle in seiner Ahnung bestätigt. Dürrenmatt und Frisch, später Nizon und Muschg reflektierten nun ähnlich über den Diskurs in jener berggesäumten Enge, der das helvetische Bewusstsein einige Gefühle und Besonderheiten verdankte. Karl Schmid sah seine Aufgabe freilich mehr in therapeutischem Sinn. Nicht der polemische, hinterfragende und unterscheidende Gestus war das Ziel, sondern ein Bedenken und Erwägen der Lage, woraus Vorurteile bereinigt und neue Energien gewonnen werden sollten.