Presseschau

Quim Monzós Brief aus Barcelona, "Der Gotteswahn"

19. September 2007
Redaktion Börsenblatt
Der katalanische Schriftsteller Quim Monzo, der am 9. Oktober als Festredner die Frankfurter Buchmesse eröffnen wird, schreibt für die Frankfurter Rundschau aus Barcelona. Ebenfalls Thema: das Buch Der Gotteswahn von Richard Dawkins.
"Mark Anton war schwul" - Quim Monzó schreibt in seinem Brief aus Barcelona für die "Frankfurter Rundschau": Sie wird angepriesen als die typischste Straße Barcelonas, doch eigentlich hat die Tourismusindustrie ihren Charakter gänzlich verändert. Ich schwöre Ihnen, bei einem Kiosk vor dem Wachsfiguren-Kabinett stehen, Händchen haltend, ein Mann und eine Frau in kurzen Hosen und Muskelshirts, die sage und schreibe Polyestersocken und Hausschuhe anhaben: er blaue und sie welche mit rosa Blümchen. Vor dem Sex-Shop an der Rambla Santa Mónica geht die Putzfrau mit ihrem Schrubber auf und ab. Ab und zu bleibt sie vor einem Kinderwagen stehen und schwatzt mit dem Baby. ... Kein einziger Kunde ist zu sehen; sie haben gerade erst geöffnet. Um zehn Uhr morgens ist die Rambla noch ziemlich verschlafen. Beim Arc del Teatre bauen die Maler, Zeichner und Karikaturisten ihre Staffeleien auf. Eine Hure lehnt an dem Geländer des U-Bahnhofes Liceu. Alles läuft mit halber Kraft, doch das Easyeverything ist schon brechend voll. Im Easyerverything stehen vierhundertfünfzig Computer und vor den meisten sitzen Touristen, die ihre E-Mails empfangen und verschicken. Mit dem routinierten Schritt dessen, der auf dem Weg zu seiner täglichen Arbeit ist, marschiert der Mann mit dem Ball die Rambla hinunter. Stundenlang kickt er ihn vor sich her. Er hat das Trikot der katalanischen Liga an, in der Hand eine schwarze Sporttasche. Wenig später kommt der Junge mit den Bongos. Die lebenden Statuen nehmen ebenfalls ihre Plätze ein. Eine scheint die Maske aus "Scream" im Sinn gehabt zu haben, doch die Finger sind von Freddy Krueger. Ein paar Jungs fuchteln mit einem tragbaren Ventilator unter ihrer Nase herum, aber sie rührt sich nicht. Sie bleiben auch vor der nächsten Statue stehen: Kolumbus. Auf dem Podest steht die Internetadresse: www.galeon.com/colon. Anstatt mit dem Ventilator unter seiner Nase herumzufuchteln, fragen sie ihn: - Sagen Sie, wo ist Amerika? Und brüllen dann los vor Lachen. "Atheistischer Missionar" - Thomas Kroll hat für das Deutschlandradio Richard Dawkins' Buch "Der Gotteswahn" (Ullstein) rezensiert: Das Thema "Religion" hat Hochkonjunktur, insbesondere nach dem 11. September 2001. Von daher wundert es nicht, dass die deutsche Ausgabe des amerikanischen Bestsellers "Der Gotteswahn" von Richard Dawkins im Umfeld des sechsten Jahrestages der Terroranschläge auf das World Trade Center erscheint. Mit dieser Streitschrift erweist sich der Dawkins einmal mehr als Missionar: Atheist zu sein, ist in seinen Augen ein erstrebenswertes, "noch dazu ein tapferes, großartiges Ziel" - denn als Atheist, so seine Erfahrung, kann man "glücklich, ausgeglichen, moralisch und geistig ausgefüllt sein." Missionare sind Eiferer. Nicht nur der Umfang von Dawkins Streitschrift spricht für diese These. Rasch gewinnt man den Eindruck, dass der in Oxford lehrende Evolutionsbiologe mit seiner Mission zumindest in den USA zahlenmäßig noch auf verlorenem Posten steht, von Kreationisten und allzu bibeltreuen Christen umzingelt. Folglich möchte er den Kreis derer vergrößern, deren Weltbild und Lebenspraxis nicht auf die "Gotteshypothese" angewiesen ist, sondern auf nachweisbaren Fakten basiert. Um Atheist zu sein, bedarf es des rechten Bewusstseins. Daher ist der Autor von gut 500 Textseiten zum einen bemüht, all das zu destruieren, was die großen monotheistischen Religionen tradieren und lehren. Ein allwissender Gott etwa, der Gebete erhört, Sünden bestraft und Wunder vollbringt, ist für den Naturwissenschaftler weder experimentell noch intellektuell nachvollziehbar, ja ein Ärgernis ebenso wie der "Gott des Alten Testaments", in seinen Augen "ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker", ein "ethnischer Säuberer" und "frauenfeindlicher, homophober, ... launisch-boshafter Tyrann."