Jahrestagung der IG Digital 2019

"Das Mindset wird wichtiger"

6. Juni 2019
von Börsenblatt
Digitale Geschäftsmodelle, Skillsets für den digitalen Wandel, Online-Endkundenmarketing – auf diese und viele weitere Fragen sucht die Jahrestagung der IG Digital am 17. Juni im Berliner Hotel Ellington Antworten. Ein Interview mit den IG-Digital-Sprechern Michael Döschner-Apostolidis (Holtzbrinck Buchverlage) und Hermann Eckel (tolino media).      

Was sind die Topthemen im digitalen Publizieren, und was wird die Branche auf der diesjährigen Jahrestagung der IG Digital dazu hören?Hermann Eckel: On Top sind zwei Themen: Welche digitalen Geschäftsmodelle brauchen wir? Und welche Skillsets braucht man, um die digitale Transformation zu meistern. Für das Thema Geschäftsmodelle steht etwa der Vortrag von Marcus Stahl über den Erfolg der Tonies. Und welche Eigenschaften Mitarbeiter für die Digitalisierung des Verlags brauchen, wird uns Birte Hackenjos von Haufe näherbringen. Aber es gibt noch eine Reihe weiterer Fragen, die wir in Berlin diskutieren wollen: Wie schafft man eine digitale Organisationsstruktur für Verlage und Buchhandel? Welche Perspektiven hat der E-Commerce auf Verlags-Websites? Welche Chancen bietet die Verwendung von Metadaten?
Michael Döschner: Je weiter die Digitalisierung im Verlag voranschreitet, desto wichtiger wird das Mindset. Da ist es wichtig, den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten, denn der digitale Wandel ist ein andauernder Prozess. Bei vielen Themen kommen wir an einen Kipp-Punkt, an dem es entscheidend wird, die richtigen Mitarbeiter zu finden. Ein Beispiel ist der Vertrieb, der bisher klassisch strukturiert war, nun aber durch den E-Commerce, der inzwischen fast 35 Prozent ausmacht, in Frage gestellt wird. E-Commerce ist prinzipiell global, das setzt ganz andere Fähigkeiten voraus. Ein anderes Beispiel ist das Marketing: Durch VLB-TIX stellt sich die Frage, was aus der gedruckten Vorschau wird. Hinzu kommt, dass sich das reine Handelsmarketing zunehmend zum Endkundenmarketing hin verschiebt – und das ist zu 90 Prozent digital.

Was Verlage und Buchhändler umtreibt, ist die Frage der Sichtbarkeit von Büchern. Gibt es da neue Entwicklungen?Eckel: Um die Sichtbarkeit von Titeln in den digitalen Kanälen zu gewährleisten, werden Metadaten immer wichtiger. Wenn früher ein Lektor einen Titel für den Vertrieb verschlagwortet hat, dann macht dies heute ein Metadatenmanager. Und der muss zum Beispiel genau wissen, mit welchen Stichwörtern ein Online-Nutzer nach bestimmten Titeln oder Themen sucht. Das Aufgabenprofil verändert sich also und setzt ganz andere Kenntnisse voraus. Ein Metadatenmanager muss sich etwa mit Suchmaschinenoptimierung (SEO) und Data Analytics auskennen.

Digitales Lernen ist ein weiteres Thema der Jahrestagung. Welchen Stellenwert hat das in Verlagen und in der Bildungslandschaft allgemein?Döschner: Das ist zum einen im Bereich der innerbetrieblichen Fortbildung zu beobachten. Alle großen Verlagsgruppen haben heute E-Learning-Systeme oder bieten Webinare an, mit denen sie ihre Mitarbeiter schulen. Das gilt natürlich auch für alle anderen großen Unternehmen. Zum anderen hat sich auch im Schulalltag enorm viel verändert. Youtube ist zu einer riesigen Bildungsplattform geworden, wie eine aktuelle Studie soeben bestätigt hat.
Eckel: Hier besteht allerdings die Gefahr, dass sich die Großen und Schnellen in der Branche zunehmend vom Rest des Feldes absetzen, weil sie über entsprechende Ressourcen verfügen. Da ist es wichtig, dass es niedrigschwellige Einstiegsangebote gibt, die sich auch kleinere Verlage und Buchhändler leisten können.

Eine Sau, die gerade durchs Dorf getrieben wird, ist die Blockchain. Was ist wirklich dran?Eckel: Wir wollen in einer Session konkrete Anwendungsfälle vorstellen. Die Blockchain wird auch von Branchenunternehmen genutzt. So setzt zum Beispiel Calvendo diese Technologie ein, um eine hochautomatisierte Verteilung von Druckaufträgen zu erreichen.
Döschner: Die Blockchain eignet sich auch dafür, die bisherige Login-Lösung für Angebote im Netz, beispielsweise für das Digital-Abo einer Zeitschrift, durch ein schnelleres und sicheres Verfahren zu ersetzen. Auch bei Büchern, die von vielen Autoren verfasst werden, oder bei Texten, die prinzipiell fließend sind, kommt eine Blockchain-Lösung in Frage.

Ein starker Trend seit einiger Zeit sind Audio-Formate, die sogar das E-Book zu überflügeln scheinen ...Eckel: Da steckt ein Riesenpotenzial drin, vor allem die Nutzung von Podcasts ist enorm. Wie beim Selfpublishing muss man aber auch hier die Frage nach dem passenden Geschäftsmodell stellen. Vor allem gut kuratierte Angebote haben hier eine Chance, die bisherigen Angebote sind noch sehr unübersichtlich.
Döschner: Podcasts sind auch für Verlage eine Chance, die Reichweite ihres Marketings zu verbessern. Da ist noch ganz viel Luft nach oben.

Wird Hören nicht sowieso der Rezeptionskanal der Zukunft sein?Eckel: Ganz sicher kann man neben einer verstärkten Nutzung von Bewegtbild-Formaten wie Youtube einen übergeordneten Trend in Richtung Hören beobachten, der durch digitale Sprachassistenten wie Alexa befeuert wird. Im Rezeptionsverhalten vollzieht sich gerade eine fundamentale Veränderung. Die Nutzer wollen verstärkt kanalübergreifende Angebote und kürzere Formate – ein Beispiel sind die TED-Talks, die in Buchform nicht mehr als 150 Seiten umfassen. Und auch interaktive Angebote, wie sie Social-Writing-Plattformen bieten, sind im Kommen.

Welche Chancen hat das E-Book, das sich ja inzwischen als stabile Größe im Markt etabliert hat?Döschner: Das E-Book ist deshalb so interessant, weil man dank Reader Analytics sehr viel über das Leseverhalten der Nutzer erfährt. Das können sich Verlage für ihre gesamte Produktion zunutze machen. So kann man etwa verschiedene Lesertypen ausmachen: den viellesenden Unterhaltungsleser, der 700 Seiten am Stück liest, - oder den fachgetriebenen Leser, der Bücher kursorisch liest und schnell zum Punkt kommen möchte. Amazon, Kobo, Skoobe und andere E-Book-Verkäufer sammeln die Verhaltensdaten ihrer Nutzer und werten sie aus. Daraus werden Erkenntnisse gewonnen, die in die Produktion und Vermarktung der Produkte einfließen.

Sie verzichten in diesem Jahr weitgehend auf Frontalpräsentationen, weshalb?Döschner: Wir wollen mehr Interaktion und mehr Networking. Das ist mit einer One-to-Many-Kommunikation nicht möglich. So gibt es beispielsweise eine Fishbowl-Diskussion, bei der acht Stühle in einem Kreis stehen, von denen fünf mit den Diskussionsteilnehmern besetzt sind. Drei bleiben frei, damit jederzeit einer oder mehrere aus dem Publikum in die Runde hineingehen und mitdiskutieren können.
Eckel: In den Table Sessions am Nachmittag werden die Teilnehmer dann in kleinen Gruppen sehr konkrete Digitalisierungsthemen diskutieren – die im Bottom-up-Verfahren von den Peergroups vorgeschlagen wurden. Schon deshalb haben diese Themen für die Mitglieder der IG Digital eine hohe Relevanz.

Dem Sprecherkreis gehört neben Michael Döschner-Apostolidis und Hermann Eckel Carmen Udina (Leitung Business Development und Kooperationen, Verlagsgruppe Oetinger Service GmbH) an.

Das Programm der Jahrestagung finden Sie hier.