Wer war eigentlich aufgeregter am Montag?
Julia Franck: Es wurde ein Name verlesen, den ich nicht hörte, aber Jörg guckte mich ganz aufgeregt an. Bei mir schlug sich das eher bleiern nieder.
Jörg Bong: Mich hat die Aufregung auf dem Weg vom Verlag zum Römer erwischt. Das Ganze ist dramaturgisch gut inszeniert. Es dauert eine Stunde, bis man den Gewinner erfährt.
Was ist es für ein Gefühl, den besten Deutschen Roman geschrieben zu haben?
Franck: Ich bin so im Rythmus des Arbeitens gefangen, dass ein richtiges Glücksgefühl nicht so stark aufkommt.
Ist das Buch Buchpreis-kompatibel, wie es ihr Kollege Glavinic ausgedrückt hat?
Franck: Ich glaube ein Buchpreis-kompatibles Buch gibt es so nicht. Ein komplexer Roman hat ganz unterschiedliche Lesarten.
Bong: Das sind so unterschiedliche Unternehmungen, diese Texte, die sich nur schwer untereinander vergleichen lassen.
Glauben Sie, dass Autoren auf den Preis hin schreiben und Verlage das auch ganz gerne sehen?
Bong: Ich glaube, dass wäre ganz fürchterlich. Da kann nur ganz Schlechtes entstehen. Ich glaube, es ist immer ein Glücksfall, wenn ein Buch beides sein kann: Gegenstand eines literaturwissenschaftlichen Oberseminars und zugleich ein Buch, mit dem man sich abends auf ein Sofa setzt und einfach Lust hat, es zu lesen, und in der Lektüre untergeht.
Franck: Ich habe an dem Buch über vier Jahre gearbeitet. Da gab es anfangs den Preis noch gar nicht und also konnte ich mir auch keine Gedanken darüber machen. Ich habe mich mit dem Preis erst beschäftigt, als die Longlist erschienen ist.
Ihr Buch hat die Kritik stark polarisiert: sehr viel Lob, aber auch viel Kritik. Hat Sie das verunsichert?
Franck: Es ist natürlich so, dass ein Buch sehr verschiedene Resonanz erfährt. Diesmal wurde von Anfang an sehr verschieden gelesen. Das hat mich am Anfang auch erschrocken, auch die Heftigkeit, mit der die Feuilletons aufeinander reagieren. Aber in den letzten Wochen hat sich über die Shortlist-Titel eine Art öffentliches Gespräch entwickelt. Das finde ich ein sehr spannendes Phänomen. Man hat natürlich auch viele Bücher, die nicht auf dieser Shortlist waren, für eine längere Zeit unsichtbar gehalten. Ich hoffe, dass die jetzt auch noch entdeckt werden. Das Thema bei der "Mittagsfrau" ist erst einmal schwer. Das Buch ist eigentlich nicht sehr kompatibel, im Gegenteil: Es steht einer Lektüre zunächst mal einiges im Wege.
Wie entwickelt sich die Auflage jetzt nach dem Preis?
Bong: Die Wirkung ist immens, großartig. Der Preis vermag ein Buch ganz offenbar zu einem großen Ereignis zu machen. Der Preis wurde Montag um 19 Uhr vergeben. Dienstag um 10 Uhr hatten wir 37.000 Bestellungen aus dem Buchhandel. Bis heute sind es rund 60.000. Ich kann mich an Ähnliches bei S. Fischer nicht erinnern.
Wie sieht es international aus?
Bong: Auf der Buchmesse ist es jetzt nicht mehr so, dass spontane Abschlüsse gemacht werden. Aber ich bin sicher, der Preis wird das Interesse im Ausland potenzieren.
Ihr erster Roman bei S. Fischer, vorher waren Sie bei Dumont. Wieso haben Sie gewechselt?
Franck: Sehr wichtig ist mir die Sicherheit bei einem Verlag. Die ist bei S. Fischer sehr groß - auf Grund der Breite des Programms, auf Grund auch der Größe des Verlages. Da weiß ich, es gibt eine Kontinuität der verlegerischen Arbeit. Insgesamt ist es ein Wechsel, der aus Sympathie heraus und aus dem Sicherheitsbedürfnis heraus resultiert. Ich weiß nie: Was wird aus meinem nächsten Buch? Gelingt es? Welchen kommerziellen Erfolg erringt es? Das ist für mich, die ich vom Schreiben lebe, alles nicht ganz unwichtig.
Wieso lassen Sie sich nicht von einer literarischen Agentur vertreten?
Franck: 1996 tauchte die erste Literaturagentin für deutsche Literatur auf. Da hatte ich meinen ersten Roman schon geschrieben. Da wusste ich noch nichts von Agenten und von den Möglichkeiten, die ein Agent hat. Natürlich gibt es auch schwierige Situationen, wo man bei einem Verlag merkt, hier kann ich jetzt über bestimmte Dinge nicht so klar sprechen, als wenn das eine dritte Person für mich tun würde. Ich hatte gute Erfahrungen mit einer Agentur bei Drehbuchverhandlungen gemacht. Aber für meine Bücher scheint mir das überflüssig. Agenten entscheiden sich immer für das meiste Geld. Ich kann mich dafür entscheiden, was mir verlegerisch am besten erscheint.
Bong: Viele deutsche Autoren haben keine Agentur, manche haben eine. Verlage tun gut daran, wenn sie immer einem einzigen Kriterium folgen: nämlich der Berurteilung des Textes.
Ihr Buch erzählt die Geschichte von der Mutter Helene, die ihren Sohn Peter auf dem Bahnhof im Stich lässt. Die Figur des Peter lässt sich in der Biografie Ihres Vaters wiederfinden.
Franck: Ähnlich wie bei nächtlichen Träumen funktioniert es auch beim Schreiben. Sie haben immer einen autobiografischen Fundus darunter. Ich habe nie die Sorge gehabt, dass Ideen fehlen oder der Impuls zum Schreiben versiegen könnte.
Ist Schreiben für Sie grundsätzlich so etwas wie die Antwort auf eine Verstörung?
Franck: Ja, das stimmt. Manchmal vielleicht auch ein Reflex auf eine Verstörung.
Genießen Sie den Trubel?
Franck: Ganz konkret bin ich sehr froh, wenn ich jetzt am Wochenende meine Kinder wiedersehe. Dahin komme ich jetzt aus ganz anderen Welten. Ich komme wegen der vielen Gespräche jetzt und in nächster Zeit gar nicht dazu, still zu reflektieren. Wenn ich abends auf mein Hotelzimmer komme, bleibt dazu keine Zeit mehr. Dann schlafe ich binnen einer halben Stunde ein.
Morgen geht es im BÖRSENBLATT-Café um den Rechtehandel im Reich der Mitte. Über das Lizenzgeschäft in China diskutieren die BÖRSENBLATT-Redakteurinnen Sabine Cronau und Sabrina Gab mit Bettina Breitling (Verlagsgruppe Random House), Markus Hartmann (Verlag Hatje Cantz), Claudia Kaiser (Frankfurter Buchmesse), Alexander Melzer (Evangelisches Verlagshaus Leipzig) und Gaelle Toquin (Patmos Verlag).
Die Berichte über die bisherigen Diskussionen im BÖRSENBLATT-Café lesen Sie unter folgenden Links: