Deutscher Verlagspreis 2019

Ausgezeichnet und ausgelassen

19. Oktober 2019
von Börsenblatt

Independent-Verlage zeichnen sich durch einen gewissen kreativen Eigensinn aus - für diesen Charakter wurden 67 von ihnen am Messefreitagabend von Kulturministerin Grütters ausgezeichnet. Dabei zeigte sich, dass die Unabhängigen auch protokollarisch unzähmbar sind. 

In Indie-Kreisen weiß man nicht erst seit gestern, dass der sicherste Weg zu einem kleinen Vermögen in der Gründung eines Verlags besteht – vorausgesetzt, man fängt mit einem großen Vermögen an. Denis Scheck, Jurysprecher beim erstmals ausgereichten Deutschen Verlagspreis, macht den latenten Zug zum Prekären schon bei der Familie Fontane aus. „Sicherheit ist nicht“, schrieb Theodor 1870 seiner Frau Emilia, als er die Festanstellung bei der Zeitung zugunsten einer freien Schriftstellerexistenz kündigte. Und weiter: „Du wirst dich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass wir eine arme, unsichere Existenz zu führen haben.“ Später wird er seinen Sohn vergeblich bestürmen, keinen Verlag zu gründen – Fontane jr. macht Pleite, die Rechte des Vaters landen beim damaligen Startup S. Fischer. Rund 150 Jahre später ist die Lage weiterhin ernst: Die KNV-Insolvenz hat Wunden geschlagen, die Lagerbereinigung bei Libri trifft gerade viele Indie-Verlage ins Mark. Sicherheit ist nicht, und mit der Sichtbarkeit ist es auch nicht weit her.  

Gerade um die ist es Kulturstaatsministerin Monika Grütters zu tun gewesen, als sie - in ziemlich rekordverdächtiger Zeit nach dem seit 2015 vergebenen Deutschen Buchhandlungspreis – einen neuen Preis für Verlage klarmachte. Ein Erfolg, zweifellos. Für Grütters ist der Deutsche Verlagspreis nicht nur eine „Liebeserklärung“ an die „Gärtnerinnen und Gärtner einer prosperierenden Buchkultur“ – sondern auch eine Rückendeckung für Verlegerinnen und Verleger in Zeiten zunehmender Markt-Konzentration, ein Zeichen „gegen die Degradierung des Buchs zur bloßen Handelsware“. Grütters ist durchaus bewusst, dass bei der ersten Ausschreibung „nicht alles gleich glatt“ laufen kann – und sie signalisiert ihre Bereitschaft, da „nachzujustieren“, wo es nötig ist. Sie will sich jedoch die Freude darüber nicht kleinreden lassen, „dass es gelungen ist, diesen wichtigen Preis überhaupt auf die Beine zu stellen“. 

Wer sich am Messefreitagabend in den Frankfurt Pavilion auf der Agora aufmacht, weiß ziemlich genau, warum er das tut: In zirka 90 Minuten sollen etwas mehr als eine Million Euro möglichst würdevoll unter 63 Verlage gebracht werden; zudem verlangt der Vorgang symbolträchtige Dokumentation im Bilde. Rainer Moritz führt als Zeremonien-Meister angemessen ironisch durch die Prozedur; die 60 Verlage mit 15.000-Euro-Preisen werden in sechs Zehnergruppen aufgerufen („bitte von rechts auftreten, nach links abtreten“). 

Eigentlich sieht das Protokoll nur sechs gemeinsame Gruppenfotos mit der Kulturstaatsministerin vor, doch nachdem sich Sebastian Guggolz ein Einzelfoto mit Grütters erkämpft hat, geht der schöne Plan über die Wupper – eigentlich ist jetzt alles erlaubt, inklusive Victory-Zeichen, gereckte Fäuste und spitze Schreie wie beim Rock-Konzert. Die Stimmung ist ausgelassen, irgendwo zwischen Flash-Mob, Bescherung und Staffellauf. 

Moderator Moritz schickt sich, grinsend, ins Unausweichliche: „Von diesen Szenen hat mir niemand etwas gesagt.“ Grütters spielt souverän mit, die Fotografen haben Schwerstarbeit zu absolvieren. Und ja, die ausgezeichneten Verlage im Pavilion spiegeln tatsächlich die ganze Bandbreite und Kreativität unserer Branche wider, ihren unternehmerischen Einfallsreichtum und ihre Vielfalt.

Es folgen – perfekter Spannungsbogen – die drei mit je 60.000 Euro auszuzeichnenden Verlage der Spitzenkategorie – Verlage, die, so Laudator Denis Scheck, besonderen Mut bewiesen haben – „jenen Mut, den Captain Kirk, Erster Kommandant der Enterprise, in die Worte fasste: To boldly go where no man has gone before.“ Es sind dies der seit mehr als 100 Jahren inhabergeführte Hädecke Verlag (Weil der Stadt), in Schecks Worten „eine Oase in der Wüstenei der Kochbuchszene“, der von Daniela Seel und Andreas Töpfer gegründete Verlag kookbooks (Berlin), der „die Literaturlandschaft wie kein anderer Verlag in den letzten 20 Jahren von Grund auf und anhaltend verändert“ habe und Spector Books (Leipzig), ein „Kunstbuchverlag mit klarem Konzept und internationaler Ausstrahlung“.

Klar, wer 63 Verlegerinnen und Verleger mit der Sicherheit einlädt, bereits einen 15.000-Euro-Scheck in der Tasche zu haben, riskiert, neben der Freude der Hauptpreis-Gewinner auch Enttäuschung und längliche Gesichter zu produzieren – zumal bei jenen der 312 Bewerber, die heuer gar nicht zum Zug kamen. Bei der anschließenden Party im Saal „Europa“ – die bis zum frühen Morgen bei der Indie-Party im Literaturhaus fortgesetzt wurde - zeigte sich in hundert Facetten, dass die Szene eher von freundschaftlicher Anteilnahme und Empathie statt von Konkurrenzneid und Eifersucht geprägt ist. Liegt es, wie Denis Scheck mutmaßte, an den „zwei großen Trost-Ressourcen“, die der liebe Gott für genau solche Fälle geschaffen hat, dem Wein und der Literatur? Der Chef-Juror reichte zum Ende noch ein Diktum von Emily Dickinson aus: „To multiply the harbours does not reduce the see.“ Mehr Häfen zu bauen nimmt dem Meer nichts von seiner Größe. Lasst uns also zusammen feiern. Und dann, mit wieder klarem Kopf, gemeinsam überlegen, mit welchen Instrumenten die Arbeit unabhängiger Verlage auf lange Sicht gefördert werden kann.