MARKT UND MACHT: Interview mit Alexander Skipis

Am Scheideweg

22. Oktober 2019
von Börsenblatt
Geht der Konzentrationsprozess ungebremst weiter, wird es am Ende viele Verlierer geben. Das meint Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins. Die Branche, so sein Appell, muss sich auf ihr Ethos besinnen: Qualität und Vielfalt.

Vor allem im Buchhandel hat sich der Konzentrationsprozess rasant beschleunigt. Hätten Sie gedacht, dass das Bundeskartellamt die Fusion zwischen Thalia und der Mayerschen so ohne jeden Vorbehalt durchwinkt?
Ja, denn der Konzentrationsgrad im Buchhandel erreicht mit dem Zusammenschluss keine Dimension, die aus kartellrechtlicher Sicht relevant wäre. Das Kartellrecht ist ein ökonomisches Instrument. Es soll den Verbraucher vor einer Marktkonzentration schützen, die zu Missbrauch bei der Preisgestaltung führen könnte. Es ist nicht dafür da, kulturelle Vielfalt zu gewährleisten. Das ist ein wesentlicher Unterschied.

Steht das nicht im Widerspruch zu anderen Regelungen wie dem Preis­bindungsgesetz, das ja gerade Vielfalt sichern soll?
In der gesamten Wirtschaftsordnung gibt es einen gewissen Widerspruch zwischen dem Wunsch nach Qualität und Vielfalt auf der einen Seite und Rahmenbedingungen und Marktmechanismen auf der anderen. Aber: Hier reicht es nicht, nur den Gesetzgeber in die Pflicht zu nehmen. In erster Linie ist es unser aller Job, diesen Widerspruch aufzulösen. Für mich steht die Branche am Scheideweg: Treiben wir den Konzentrationsprozess, die Wettbewerbsspirale weiter an und folgen anderen Branchen wie dem Lebensmittelhandel? Oder nehmen wir lieber einen anderen Abzweig, indem wir uns auf das Ethos besinnen, das uns bislang zusammenhält – nämlich durch Qualität und Vielfalt zum Gelingen einer demokratischen, freiheitlichen, ja auch ästhetisch anspruchsvollen Gesellschaft beizutragen?

Der Börsenverein kann zwar über die Pflicht zum Ethos reden – aber nachkommen müssen dieser Pflicht am Ende vor allem die Großen der Branche. Wie wollen Sie das erreichen?
Der deutsche Buchmarkt gehört vor allem dank besagter Qualität und Vielfalt zu den größten und wichtigsten der Welt. Viele beneiden uns darum. Das Ethos der Branche hochzuhalten, ist deshalb auch ein Garant für ökonomischen Erfolg. Wir brauchen einander! Das müssen wir im Verband durch Überzeugungs- und Vermittlungsarbeit immer wieder deutlich machen. Wir müssen unsere Regelwerke wie die Verkehrsordnung neu diskutieren und schärfen, vor allem aber müssen wir den Konsens in der Branche erneuern. Wohin soll sich der Buchmarkt entwickeln? Wie wollen wir ihn gestalten? Was müssen wir dafür tun? Genau dieses Interessenclearing ist Aufgabe des Börsenvereins.
 
Manchmal wirkt es allerdings so, als würde das Interessenclearing im Verband vor allem darauf abzielen, das Sichtbarwerden von Konflikten zu vermeiden. Müssten Reizthemen wie die Rabattspreizung nicht offener diskutiert werden?
Das kann man auch anders sehen: Interessenclearing im nicht öffentlichen Raum verhindert den Gesichtsverlust von Beteiligten und ist deshalb unter Umständen erfolgreicher. Wichtig ist, dass die Ergebnisse transparent gemacht werden.

Trotzdem dürften sich gerade kleinere Mitglieder fragen: Was tut der Verband konkret für uns, wenn ein Filialist mit einem Federstrich Konditionen angleicht oder ein Barsortiment Titel auslistet?
In Marktaktivitäten unserer einzelnen Mitglieder können und wollen wir nicht eingreifen. Jedes Unternehmen hat seine eigenen, durchaus nachvollziehbaren Interessen. Aber: Wir als Verband können und müssen zwischen den verschiedenen Positionen vermitteln – und das tun wir auch. Ich werbe dabei gern mit dem geflügelten Wort: Was immer du tust, handele klug und bedenke das Ende. Denn wenn der Konzentrationsprozess ungebremst so weitergeht, dann wird es am Schluss viele, viele Verlierer geben: Gesellschaft, Kunden, Marktteilnehmer – darunter vielleicht gerade die, die jetzt vorpreschen.

Die Preisbindung schützt die Kleinen vor ruinösem Preiswettbewerb – und sichert gleichzeitig den Großen Margen, die den Expansionskurs mitfinanzieren. Ein Dilemma?
Die Preisbindung ist ein hervorragendes Instrument, um Qualität und Vielfalt auf dem Buchmarkt zu schützen. Das zeigt auch ein Gutachten zur Buchpreisbindung, das wir im November vorstellen werden. Das Gift, das unseren Markt zersetzt, ist die Rabattspreizung. Wird eine kleine Buchhandlung übernommen, dann steigt die Profitabilität automatisch und ohne jede Investition um zehn Prozent und mehr – weil der umsatzstarke Käufer von den Verlagen bessere Konditionen fordern kann. Das wiederum ist eine Geldquelle für weitere Akquisitionen. Und verschlechtert die Situation der Verlage.

Die Großen bekommen die höchsten Rabatte – obwohl das Preisbindungs­gesetz festlegt, dass Konditionen nicht allein vom Umsatz abhängen dürfen. Ist das Gesetz hier deutlich genug?
Es gibt hier derzeit keinen Spielraum für gesetzliche Nachjustierungen. Wir können nur an die Vernunft der Marktteilnehmer appellieren. Fakt ist: Was im Moment auf dem Buchmarkt passiert, deckt sich nicht mit den Zielen des Preisbindungsgesetzes. Enorme Rabattspreizungen setzen nicht nur im Buchhandel, sondern auch auf Verlagsseite einen Teufelskreis in Gang, der vor allem die Kleineren trifft. Rückt eine Buchhandlung unter das Dach einer Kette, steigen die Rabattforderungen an Verlage – die froh sein können, wenn sie überhaupt noch zu den Lieferanten gehören. Sie verdienen weniger, schlimmstenfalls gar nichts mehr mit diesem Kunden.

Auch für den Börsenverein hat der Konzentrationsprozess finanzielle Folgen. Seit 2009 hat der Verband fast 1.300 Mitglieder und damit Beitragszahler verloren. Wäre es sinnvoll, die Beitragsdeckelung nach oben aufzuheben, um die Großen stärker zur Kasse zu bitten?
Die oberste der 56 Stufen ist mit 1,4 Mil­liarden Euro ohnehin schon sehr hoch angesetzt. Sinnvoller wäre es, die Sprünge zwischen den einzelnen Beitragsgruppen zu verkleinern. Wenn ein großes Unternehmen ein kleineres übernimmt, fällt in der Regel in den unteren Beitragsgruppen ein Beitragszahler weg – während der Käufer in seiner Beitragsgruppe bleibt. Würden wir das Stufensystem verfeinern, könnten wir solche Marktverschiebungen besser abbilden. Klar ist allerdings: Auch dafür brauchen wir einen Konsens in der Branche.

Nach der Buchmesse beginnt die Amtszeit des neuen, im Juni gewählten Börsenvereinsvorstands. Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs kommt aus einem kleinen Verlag, Schatzmeister Klaus Gravemann aus einer unabhängigen Buchhandlung. Erwarten Sie von diesem Vorstand Klartext?
Zuallererst: Ich bin mir sicher, dass sich die Neugewählten genauso wie ihre Vorgängerinnen und Vorgänger als Vertreter der gesamten Buchbranche verstehen – auch wenn beide durch ihren persönlichen Hintergrund ein vertieftes Verständnis für die Lage kleinerer Firmen mitbringen. Ebenso sicher bin ich mir, dass wir bei dem Ziel, das Branchenethos zu erneuern, an einem Strang ziehen werden. Eines aber will ich ganz deutlich machen: Der hier behandelte Kontext betrifft nicht nur die kleineren Unternehmen unserer Branche. Und es geht auch keineswegs um eine Konfrontation zwischen Kleinen und Großen, zwischen Buchhandlungen und Verlagen – sondern um die Chance, den Markt gemeinsam zu gestalten. Wir produzieren Inhalte, keine Waschmaschinen. Mit dieser Doppelrolle als Kultur- und Wirtschaftsgut ist ein besonderer Auftrag an uns alle verbunden.

Auf der Messe wird zum ersten Mal der Deutsche Verlagspreis vergeben, der auf geteiltes Echo stößt. Ganz kleine Verlage fühlen sich mit ihrer Arbeit nicht gewürdigt. Können Sie das verstehen?
Erst einmal freue ich mich, dass wir neben dem Buchhandlungspreis nun auch einen Verlagspreis bei der Kulturstaatsministerin anregen konnten. Die beiden Preise dürfen aus meiner Sicht aber nur ein Anfang sein und müssen in eine konsistente, strategische Literaturpolitik münden. Der kulturelle Reichtum, der Nährboden an Ideen und engagierten Menschen in der Buchbranche – all das darf gerade mit Blick auf die gesamt­gesellschaftliche Entwicklung nicht verspielt werden. Hier sehe ich ganz klar die Politik in der Pflicht.