Interview mit Harald Krewer und Klaus Sander

supposé und speak low: zwei Hörbuchlabel gewinnen den Verlagspreis

1. November 2019
von Börsenblatt
67 Verlage wurden mit dem ersten Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet, darunter zwei Hörbuchverlage: Klaus Sanders Label supposé und Harald Krewers speak low Verlag und Medienproduktion. Was bedeutet ihnen die Auszeichnung? Gespräch mit zwei Unabhängigen.

Unabhängig, vielfach ausgezeichnet, schon eine ganze Weile dabei – supposé und speak low haben einiges gemeinsam. Außerdem bezeichnen Sie beide Ihre Unternehmen nicht als Hörbuchverlag. Können Sie das erklären?
Klaus Sander: Gesprochene Sprache funktioniert anders als geschriebene und bedarf daher einer eigenen Form. Diese Form zu entwickeln, ist mein Hauptantrieb. Das ist eher eine Forschungstätigkeit. Das Verlegen steht am Ende, macht aber nur einen kleinen Teil meiner Arbeit aus.
Harald Krewer: Wir vertonen nicht nur Bücher, sondern wir machen eigen­ständige Audioproduktionen. Deshalb positionieren wir uns auf der Frankfurter Buchmesse auch bei den unabhängigen Verlagen und nicht im Hörbuch­bereich. Einerseits fühlen wir uns zum Buch hingezogen, andererseits gehören wir zum Tonträgermarkt.

An welchen Projekten arbeiten Sie gerade?
Sander: Im Erscheinen begriffen ist eine Produktion mit dem Philosophen Dieter Henrich, auf der sich persönliche Lebenserinnerungen und spontanes Philosophieren die Waage halten. Henrich wird im Januar übrigens stolze 93 Jahre alt. Im Schnitt befinden sich gerade Aufnahmen mit dem Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann, der von seiner Kindheit und Jugend im Kloster erzählt, sowie mit dem Literaturwissenschaftler und Mystikforscher Alois M. Haas. Darüber hinaus versuche ich derzeit, mir meine neue Wahlheimat Wyk auf Föhr, ihre Natur, Kultur und Geschichte in einer Art Feldforschung durch Gespräche und Aufnahmen mit Einheimischen und Experten erzählen und näherbringen zu lassen.
Krewer: Im nächsten Jahr werden wir unsere Anthony-Powell-Reihe abschließen, zwölf Teile werden es insgesamt. Außerdem wird es wieder ein Projekt mit Sefan Weiller geben, dessen »Deutsche Winterreise« wir im letzten Frühjahr herausgebracht haben. Das neue Projekt heißt »Letzte Lieder« und beschäftigt sich mit Menschen im Hospiz und der Musik ihres Lebens. speak low hat in diesem Jahr mit »Bodentiefe Fenster« von Anke Stelling zum ersten Mal einen populären Titel im Programm; ihren Roman »Schäfchen im Trockenen« wollen wir ebenfalls produzieren, vielleicht aber nur digital.

Was meinen Sie, warum haben Sie den Verlagsstaatspreis verdient?
Krewer: Wir denken das Medium Audio eigenständig – und das wurde offenbar gewürdigt.
Sander: Es gibt keinen Verlag, der ähnliche Produktionen macht. Sonst würde ich es auch nicht machen. Ich habe meine Arbeit stets mehr als Auftrag empfunden, denn als Wahl.

Welche Bedeutung hat der Preis für Ihre Arbeit?  
Sander: Er ist eine Riesenfreude, ein Motivationsschub, ein Ansporn weiterzumachen. Alle meine Projekte haben nach dieser Auszeichnung neuen Schwung bekommen!
Krewer: Wir bewegen uns ja ebenso wie supposé innerhalb des Hörbuchmarkts in einer absoluten Nische. Dass wir über diesen Preis als Verlag wahrgenommen werden, bedeutet uns wahnsinnig viel.

Wofür verwenden Sie die 15 000 Euro Preisgeld?
Krewer: Das wird natürlich in den Verlag investiert, für den bauen wir gerade ein zweites Tonstudio.
Sander: Das Preisgeld ermöglicht es mir unter anderem, ein schwieriges Langzeitprojekt weiter vorantreiben und hoffentlich bald abschließen zu können. Hierbei kommen Menschen zu Wort, die ansonsten so gut wie gar keine Stimme haben: psychisch erkrankte Mütter, die unter – teils schweren – Depressionen leiden, erzählen von ihrem Muttersein. Trotz aller Düsternis Mut machende Aufnahmen starker Frauen.

Ihre beiden Verlage würdigen das Eigenständige im Hörbuch, die Preis­jurys honorieren das: supposé und speak low tauchen regelmäßig in der hr2-Hörbuchbestenliste, den Feuilletons der Zeitungen und bei dem Deutschen Hörbuchpreis auf.
Krewer: Der Hörbuchmarkt wird zunehmend durchökonomisiert. Es wird sehr viel auf Masse produziert. Ich rechne damit, dass Audiobooks bald von künstlicher Intelligenz eingelesen werden. Da ist es gut, dass es noch ein paar Verlage wie uns gibt, die andere Aspekte des Mediums abbilden. Und ich glaube, genau das gefällt den Preisjurys und Rezensenten. Womit ich natürlich nicht sagen will, dass die Kollegen nicht auch gute Hörbücher machen würden.
Sander: Höchste Auszeichnung ist eigentlich immer, wenn alle an einer Produktion Beteiligten rundum zufrieden sind und auch Jahre später noch das Gefühl haben, das hätten wir nicht besser machen können. Ehrun­gen von außen sind schön, reichen aber an dieses Glück nicht heran.
 
Können Sie von Ihrer Arbeit leben?
Krewer: Wir sind mittlerweile fünf Leute, und ja, es läuft. Mit unseren Hörbüchern gelingt uns keine Mischkalkulation, aber zusammen mit den Produktionen für andere Verlage sind wir gut aufgestellt.
Sander: Vor 15 Jahren, in meinem ersten Interview mit dem Börsenblatt, hat mir Ihr Kollege Nils Kahlefendt die gleiche Frage gestellt. Damals habe ich geantwortet: Ich bin auf dem Weg dahin. Und das gilt eigentlich immer noch.

supposé wurde 1996 gegründet, speak low zehn Jahre später. Sie sind also beide schon ziemlich lange im Geschäft. Was hat sich positiv verändert?
Krewer: Als wir anfingen, haben Leser und Buchhändler das Hörbuch noch als minderwertiges Buch betrachtet. Das hat sich grundlegend geändert. Hörbücher sind angekommen, sie haben ihren Platz im Buchmarkt. Das zeigt auch die Auszeichnung mit dem Verlagspreis.
Sander:  Die Zeiten sind für supposé trotz aller Aufmerksamkeit für Audio und Podcast nicht unbedingt einfacher geworden. Als Motivationsschub kommt der Verlagspreis deshalb für mich genau zum richtigen Zeitpunkt.

Und auf welche Entwicklung hätten Sie verzichten können?
Krewer: Auf den Rückgang der CD vielleicht, aber das lässt sich nicht aufhalten. Früher haben wir unsere Titel mit einer Startauflage von 2 000 Exemplaren auf den Markt gebracht, jetzt sind es noch 1 000. Bis vor einem Jahr war der literarische Buchhandel unser Hauptvertriebsweg. Das ändert sich gerade.
Sander: Der Vorteil der digitalen Plattformen ist, dass alle Titel verfügbar bleiben. Die entgangenen CD-Verkäufe von vor zehn Jahren können mit den Downloads und Streams aber nicht aufgefangen werden.

Speak Low Verlag und Medienproduktion, Berlin

speak low wurde 2006 von dem Regisseur Harald Krewer und der Produzentin und Literatur- und Sprachwissenschaftlerin Vera Teichmann gegründet, Verlagssitz ist Berlin. Interviewsequenzen, historische und neue Originalaufnahmen, von Schauspielern interpretierte Texte: Die Produktionen von speak low fügen akustisches Material zu einer Gesamtkomposition zusammen. 45 Hörbücher sind bisher erschienen, darunter »Nelly Sachs. Schriftstellerin. Berlin / Stockholm«, »Versuche dein Leben zu machen« von Margot Friedländer, der Briefwechsel zwischen Peter Handke und Siegfried Unseld, »Requiem für Ernst Jandl« und die Anthony-Powell-Reihe.

Supposé, Wyk auf Föhr

Der Audioverlag wurde 1996 von Klaus Sander gegründet und hat seinen Sitz seit 2017 in Wyk auf Föhr. Der Verlagsname geht zurück auf den Philosophen Vilém Flusser, mit dessen letzten Vorträgen der Literatur- und Medienwissenschaftler Klaus Sander sein Hörbuchprogramm startete. Schwerpunkt des Verlags sind historische Originaltonaufnahmen und eigene Produktionen mit zeitgenössischen Forschern und Denkern. Die Audio-Erzählungen basieren auf Interviews und Gesprächen, die Sander allein oder mit Co-Regisseuren führt. 100 Hörbücher sind bisher erschienen,  darunter Produktionen mit dem Ornithologen Peter Berthold, der Nobelpreisträgerin Herta Müller, Aleida und Jan Assmann, Peter Kurzeck und vielen anderen.

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