Großes Interview mit Zeitfracht-CEO Wolfram Simon-Schröter

"Optimierungspotenzial bei der Transportlogistik"

4. Dezember 2019
von Börsenblatt
KNV Zeitfracht kommt ab Januar 2020 mit neuen, variablen Preismodellen, auch andere Belieferungsrhythmen sind denkbar. Punkten will der Logistiker mit dem ersten Tracking-System der Branche. Zeitfracht-CEO Wolfram Simon-Schröter im Interview.

Zeitfracht ist seit rund vier Monaten neuer Eigentümer von KNV. Was war das wichtigste Projekt, das Sie in dieser Zeit bewältigt haben?
Wir haben eine umfangreiche Bestandsaufnahme im Unternehmen vorgenommen, die sich über mehrere Wochen hingezogen hat. Wir haben heute ein sehr klares Bild über die Prozesse bei uns und unseren Kunden. Dabei haben wir Optimierungspotenzial erkannt. Nun schärfen wir die Prozesse. Ab Januar 2020 gehen wir in die Umsetzung. Jetzt im Weihnachtsgeschäft hat es wenig Sinn, Prozesse komplett zu ändern, auch wenn das in einigen Fällen nötig sein wird.

Ihre Buchhandelskunden beklagen Unzuverlässigkeiten in der Belieferung und fehlerhafte Lieferungen. Können Sie das nachvollziehen?
Ja. Unsere Bestandsaufnahme hat gezeigt, dass wir ein sehr starkes Optimierungspotenzial bei der Transportlogistik haben. Das ist in den vergangenen Jahren nicht mit dem dafür erforderlichen Augenmerk betrachtet und umgesetzt worden. Wir wollen weg von einer pauschalen und hin zu einer verursachergerechten Erfassung und Steuerung der Logistik. Unser Ziel ist es, Leer- und Fehlfahrten wesentlich zu reduzieren. Wir fragen uns natürlich auch, ob es aus ökologischen Gründen sinnvoll ist, Bestellungen, die sehr kurzfristig rausgehen und dann noch im normalen Tagesablauf sortiert und verarbeitet werden, selbst auszufahren, oder ob sie nicht besser an einen Express-Dienstleister übergeben werden sollten. Das hätte den Vorteil, dass die Kunden dann möglicherweise eine spätere Cut-off-Zeit hätten, bis zu der sie noch bestellen können.

Wird das mit einer Erhöhung der Preise für Ihre Dienstleistungen einhergehen?
Wir werden unseren Kundinnen und Kunden ab Januar neue, variable Preismodelle anbieten und mit Ihnen gemeinsam das für sie optimale Modell auswählen. Momentan ist es so, dass die Logistikdienstleistungen im üblichen Dienstleistungsbereich abgebildet sind. Wir werden mehr Transparenz schaffen.

Steht damit für den einen oder anderen Kunden die Übernachtlieferung zu den bisherigen Konditionen zur Disposition?
Es könnte für manche Kunden eine Option sein, sich nicht mehr jeden Tag, sondern an festen, zu definierenden Tagen mit einer größeren Menge beliefern zu lassen, so wie es Amazon seinen Prime-Kunden anbietet. Wir werden die Kosten verursachergerecht zuordnen. Wo wir eine hohe manuelle Fertigungstiefe oder besondere Anforderungen haben, werden die Kosten entsprechend weitergegeben. Insofern kann es in gewissen Bereichen zu Kostensteigerungen kommen, nicht unbedingt aber bei den Standardangeboten.

Sind auch neue Dienstleistungen geplant?
Eine weitreichende Innovation für uns und die Branche ist das Tracking. Wir werden unseren Buchhandelskunden künftig sehr genau sagen können, wo ihre Lieferung gerade ist und wann sie verbindlich zu ihnen kommt. Die Buchhändler können den Stand der Sendungen dann in ihrer App oder in ihrem Portal verfolgen. Damit werden wir ein viel höheres Maß an Kunden­service und Kundenzufriedenheit erreichen, denn unsere Kunden sagen uns, dass es oft gar kein Problem darstellt, wenn eine Lieferung zu spät kommt. Sie wüssten nur gern, wo die Ware gerade ist und wann sie genau eintrifft. Bislang rufen sie dafür beim Kundenservice an, für den es aufwendig oder gar nicht möglich ist, die genaue Position zu bestimmen. Unsere Zeitfracht-Lkw fahren bereits mit der Telematik-Technik, die dafür benötigt wird. Künftig werden wir diese technischen Voraussetzungen auch von unseren Unternehmern verlangen. Im ersten Halbjahr 2020 soll das Tracking komplett und flächendeckend funktionieren. Wir werden damit zum Vorreiter in der Branche.

Wie steht es mit den Kooperations­gesprächen in Sachen Bücherwagendienst? Die Geschäftsführer aller drei Barsortimente wünschen sich Kooperationen, aber offenbar tut sich nichts.
Lassen Sie sich überraschen. Vielleicht wird eine ökologische und ökonomische Lösung gefunden, die etwas anders aussieht als das, was man sich bislang vorgestellt hat.

Wo haben Sie bei KNV weiteren Verbesserungsbedarf identifiziert?
Wir haben uns die Lagerhaltung sehr genau angeschaut und werden ab Januar die Beschaffungsprozesse automatisieren und standardisieren. Das ist bisher noch nicht in dem Umfang gemacht worden, wie es sinnvoll gewesen wäre. Dazu bedienen wir uns einer Software, die auch Eigenentwicklungen enthält. Unser Ziel ist es, eine bessere Verfügbarkeit im Sortiment zu haben und vor allem jene Titel vorrätig zu haben, die gerade am Markt gefragt sind. Wir werden mit Algorithmen arbeiten und damit auch Titel, die laufen werden, identifizieren und unseren Kunden anbieten können.

Im KNV-Vertrieb hat es in den letzten Wochen ziemlich rumort: Es gab personelle Veränderungen und ­Entlassungen. Warum?
Wir haben festgestellt, dass sich im Vertrieb einiges ändern muss. Wir sind noch nicht optimal aufgestellt. Das muss man selbstkritisch sagen. Wir müssen kundenorientierter werden, Kunden­service und Servicebereitschaft ausbauen. Wir haben Schwachstellen und müssen das Serviceerlebnis für unsere Kunden steigern. Das haben wir mit den Vertriebsmitarbeitern, die ein sehr motiviertes Team bilden, besprochen. Nichtsdestotrotz ist es in Einzelfällen zu Trennungen gekommen. Dafür sind neue Kolleginnen und Kollegen zu uns gekommen, die sehr gern an den Veränderungen teilhaben.

Veränderungen hat es auch in Ihrem Kundenportfolio gegeben. Beim Büchersammelverkehr haben Sie mit Osiander und der Stein'schen Buchhandlung zwei große Kunden verloren. Konnten Sie das mit neuen Kunden kompensieren?
Wir haben aber auch einige Neuzugänge zu verzeichnen. Wir sind sehr zufrieden damit, wie es läuft. In unserem Port­folio befinden sich rund 6.000 Kunden, die ganz unterschiedliche Spezifika aufweisen. Das macht die Vielfalt unseres Kundenstamms aus.

In den vergangenen Monaten wurden einige Ihrer Buchhandlungskunden von Thalia oder Osiander geschluckt. Wie stark trifft Sie die zunehmende Konzentration im Handel?
Inwieweit die Konzentrationsprozesse Auswirkungen auf unser Geschäft haben, kann keiner genau voraussagen. Es eröffnen ja auch neue Buchhandlungen. Das Marktvolumen verschwindet ebenfalls nicht, weil auch Thalia und Co. unsere Dienstleistungen oder die eines Wettbewerbers in Anspruch nehmen. Die Buchhandlung bleibt als Verkaufsstelle erhalten. Sie firmiert jetzt nur anders und hat eine andere Organisationsstruktur. Klar ist aber auch, dass Sie sich in einem so konzen­trierten Markt nur behaupten können, wenn Sie bei Servicequalität und -angebot sowie bei der Kundenzufriedenheit zu den führenden Anbietern gehören.

Für Thalia / Mayersche betreuen Sie den zentralen Wareneingang. Wird das nach dem Zusammenschluss der beiden Buchhändler künftig so bleiben, zumal Thalia in Hörselgau über ein eigenes großes Lager verfügt?
Es obliegt mir nicht, über die Geschäftsstrategie unserer Kunden zu spekulieren. Aber die Kunden wissen um die Qualität, die wir bieten. Wir sind jederzeit bereit, unsere Dienstleistungen entsprechend auszuweiten.

Um Überkapazitäten in Erfurt abzubauen, wollen Sie branchenfremde Kunden gewinnen. Haben Sie bereits welche gefunden?
Wir sind sehr optimistisch. Im Januar werden wir wahrscheinlich schon erste Erfolge vermelden können.

Verraten Sie schon, aus welchen Bereichen die Neukunden kommen?
Lassen Sie sich positiv überraschen.

Mit dem Weihnachtsgeschäft steht Ihnen nach dem Schulbuchgeschäft eine weitere Bewährungsprobe bevor. Sind Sie gerüstet für den großen Ansturm?
Gut gerüstet zu sein, ist ein sehr subjektives Empfinden. Wir haben aus den Daten der vergangenen Jahre unsere Kapazitätsplanung gut abgeleitet. Die bisherigen Umsatzzahlen für dieses Jahr lassen ein starkes Weihnachtsgeschäft erwarten. Wir sehen von unserer Seite in der Logistik keine wesentlichen Einschränkungen. Allerdings ist es schwer, sich gegen unvorhersehbare Staus oder Verkehrsstörungen zu rüsten. Denn solche Ereignisse haben natürlich auch Einfluss auf unsere Lieferfähigkeit und die Laufzeiten.

Ihre Performance im Weihnachts­geschäft muss auf jeden Fall besser werden als die im Schulbuchgeschäft …
Das Schulbuchgeschäft fand direkt in der Phase der Übergabe statt. Im Nachhinein sind die Schwierigkeiten, mit denen wir zu kämpfen hatten, ein Stück weit nachvollziehbar, denn Insolvenzen und Übernahmen sind für die Mitarbeiter, aber auch für Prozesse, sehr schwierig. Wir bedauern, dass nicht alles glattgelaufen ist. Aber wir hätten es nicht anders machen können. Wir reden immer über die bedauerlichen Einzelfälle, wo es nicht gut gelaufen ist, denn die bleiben uns ja im Gedächtnis. Sie sind auch für die Betroffenen besonders schmerzlich. Wir reden nicht über die 96 Prozent, die völlig ohne Beanstandungen über die Bühne gegangen sind.
 
KNV sieht sich als starker Partner, der den mittelständischen Buchhandel fördern will. Was werden Sie nächstes Jahr tun, um Ihre Kunden in dieser Hinsicht zu unterstützen?
Wir werden die Marketingprozesse unserer Kunden während der digitalen Transformation verbessern. Wir treiben die Digitalisierung bei den Katalogen voran und entwickeln die Webshops weiter, damit das Handling erleichtert wird. Diese Themen standen in den vergangenen Jahren nicht so sehr im Fokus. Außerdem werden wir unser Seminarangebot erweitern und auch betriebswirtschaftliche Seminare ins Programm nehmen. Wichtig ist uns, Referenten von außerhalb der Branche zu gewinnen, um einen anderen Blick auf Kundengewinnung, -bindung und -begeisterung zu erhalten.

Was wird die KNO-VA gegenüber ihren Verlagskunden anders machen?
Wir wollen die Durchlaufzeiten im ersten Halbjahr 2020 wesentlich verbessern. Dazu gehört, die Lagerhaltung weiter zu zentralisieren und nicht mehr so viele Außenlager zu haben. Das verkürzt die Beschaffungszeit für die Kunden. In dieser Hinsicht haben wir einen hohen Verbesserungsbedarf und sehr viel Potenzial.

Als Zeitfracht-Geschäftsführer waren Sie in diesem Jahr erstmals an allen Tagen auf der Buchmesse. Welche Wünsche haben die Kunden an Sie herangetragen?
Der Wunsch nach Stabilität ist allumfassend gewesen. Und es ist klar herausgekommen, dass der Bedarf an logistischen Lösungen, die vielleicht branchenfremd sind, durchaus vorhanden ist. Die Kunden verschließen sich dem nicht. Im Gegenteil, sie schätzen neue Ideen und Überlegungen, wie man bestimmte Prozesse aus dem Blickwinkel eines branchenfremden Logistikers anders angehen kann. Natürlich gehörte aber auch ein Stück Vergangenheitsbewältigung dazu. Das war aber auch gut so, denn es war ein Stück weit auch Mahnung, wie man es nicht machen sollte. Auch die Themen Kundenservice und Servicebereitschaft haben breiten Raum eingenommen. Wir haben alles aufgenommen und sind nun dabei, die Punkte mit den Kunden zu konkretisieren und aufzubereiten.

Wie wurden Sie als "Branchenfremder" aufgenommen?
Ich fühle mich sehr gut aufgenommen und habe mich gar nicht so sehr als branchenfremd gesehen. Eher als Neuling, der ganz begierig ist, Dinge zu lernen. Ich habe sehr viele nette Gespräche geführt, oft ging es dabei gar nicht um die Branche, sondern um politische Themen oder Dinge des täglichen Lebens. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, diese Vielfältigkeit kennenzulernen – und ich glaube, dass sie es letztlich auch ist, die unsere Branche und am Ende auch unsere Gesellschaft auszeichnet.

Sie haben einige Baustellen von KNV aufgezählt. Haben Sie sich das bei der Übernahme so vorgestellt, oder haben Sie die Herausforderungen unterschätzt?
Was das Investitionsvolumen angeht, haben wir die Sache richtig eingeschätzt. Bei der Allokation der Investitionen haben wir durch die Prozessbeob­achtung Erkenntnisse gewonnen, die wir vorher so nicht vermutet hatten. Das sind vor allem auch innerbetriebliche Themen wie Kundenorientierung. Insofern ziehen wir manches, wie etwa das Tracking, vor und stellen anderes hintan. Der Arbeitsaufwand, den wir vor uns haben, liegt durchaus im Rahmen des Erwarteten. Nur die Stoßrichtung ist jetzt zunächst eine andere.

Sind Sie noch glücklich mit Ihrem Kauf?
Meine Frau und ich sind sehr zufrieden. Wir wissen auch qualifizierte und motivierte Mitarbeiter hinter uns, die auch den schwierigen Wandlungsprozess mit uns gehen. Wir stehen vor vielerlei Herausforderungen und ich mache immer Werbung für und Lust auf das Neue. Das Neue ist nicht bequem, aber wenn man erst einmal mittendrin ist, macht es doch sehr viel Spaß.