Ein Jahr, nachdem der Schweizer Bundesrat die Preisbindung zu Fall gebracht hat, zeichnet sich nach Ansicht vieler eidgenössischer Buchhändler und Verleger die im Vorfeld befürchtete Entwicklung ab: Bücher sind teurer geworden, Bestseller werden zunehmend über Discounter verkauft. Gleichzeitig bauen die Filialisten Orell Füssli und Thalia ihre Marktpräsenz massiv aus und geraten sich dieses Jahr ernsthaft ins Gehege: in Winterthur, St. Gallen und Bern.
"Auf breiter Front werden Bücher in den Buchhandlungen teurer verkauft", sagte Andreas Grob, CEO des Schweizer Buchzentrum (BZ), auf dem internationalen Symposium »Vielfalt statt Einfalt« am vergangenen Freitag in Solothurn, das vom Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband (SBVV) in Kooperation mit dem Börsenverein organisiert worden war. Bei der Veranstaltung wurden die Auswirkungen des Bundesratsentscheids auf die Praxis unter die Lupe genommen. Außerdem wurde ein Blick auf andere Länder mit und ohne feste Preise geworfen: Unter anderen kamen der französische Ex-Kulturminister und "Vater der Preisbindung" Jack Lang, der britische Ökonom Francis Fishwick und der deutsche Preisbindungstreuhänder Dieter Wallenfals zu Wort.
Der neue Entwurf
Ende August wird sich entscheiden, ob es auf der Schussfahrt in den komplett liberalisierten Markt doch noch eine Ausfahrt zu einem Preisbindungsgesetz geben wird. Dann wird die Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) definitiv darüber entscheiden, ob ein bereits ausgearbeitetes Preisbindungsgesetz ins Parlament entlassen wird. Freilich, die Diskussion darüber hat in der Branche noch nicht stattgefunden, erklärte die neue SBVV-Präsidentin Marianne Sax auf dem Solothurner Symposium.
Fabio Amato, CEO der Orelli Füssli Buchhandels AG (OF), sieht der möglichen Implementierung eines Preisbindungsgesetzes gelassen entgegen wünscht sich aber, dass das Geschäft mit Großkunden (Bibliotheken) davon ausgeklammert werde: "Ich war aktiv an der Erarbeitung des am 23. April 2007 präsentierten Bandbreitenmodell beteiligt. Wenn ein solches Modell in ein Preisbindungsgesetz einflöße, könnten wir gut damit leben. Ein gewisser Spielraum beim Privatkundengeschäft müsste aber aus Kundenbindungsgründen bestehen bleiben. Meiner Ansicht nach wäre es ehrlicher für alle Akteure, wenn das Segment der institutionellen Kunden aus einem künftigen Preisbindungsgesetz ausgeklammert würde."
Mit dem Votum setzt Amato Eckpfeiler eines Gesetzes, das im Detail noch nicht beraten worden ist. Der Hintergrund ist klar: Seit dem Wegfall der Preisbindung hat OF massiv um die institutionellen Kunden geworben mit kolportierten, aber nie bestätigten Rabatten von 22 Prozent. Das zwang viele Buchhändler, mittlere und kleinere, ihre bislang im Sammelrevers festgeschriebene Rabattgrenze von fünf auf zehn Prozent zu erhöhen. Aber die Bibliotheken selbst werden auf der Basis dieser größeren Rabatte auch nicht froh: Den kommunal geführten Bibliotheken werden nun von den Gemeindeparlamentariern die Etats gekürzt, erklärten zwei Bibliothekarinnen, die namentlich nicht genannt werden wollen, auf dem Symposium in Solothurn.
Umsätze verschieben sich
"Deutliche Umsatzverschiebungen im Buchhandel stellte Diogenes-Geschäftsleiter Stefan Fritsch fest: "Mit den unabhängigen Buchhandlungen machen wir 40 Prozent weniger Umsatz, dafür haben wir massive Umsatzzuwächse bei Ex Libris", gab er in einer Podiumsdiskussion auf dem Solothurner Symposium bekannt. Fritsch ist sehr an einem "mittelständischen Buchhandel" interessiert. Und Sabine Dörlemann vom gleichnamigen Verlag erklärte: "Verlierer sind wir alle. Und ich wünsche mir, dass das Parlament das Buch als schützenswert und als Kulturgut anerkennt."
Die Buchhändlerin Cornelia Schweizer (Buchhandlung am Hottingerplatz, Zürich) schmerzen vor allem die Bibliotheksrabatte. Sie stellte fest, dass sie weniger Bestseller verkaufe. Die Konzentration schreite voran, und die Tendenz zum Mainstream sei spürbar, sagte die Buchhändlerin, die in der Vergangenheit die Buchpreise angehoben hat viel lieber hätte sie die Preisbindung zurück, denn diese wirke "preisdämpfend".
"Das Buch ist schon vor dem 2. Mai 2007 ausgesprochen günstig gewesen, deshalb darf man unter dieser Perspektive preislich nicht nachgeben", ergänzte Thalia-Schweiz-Geschäftsführer Hanspeter Büchler. Thalia hält im Gegensatz zu den anderen zwei "Großen" der Branche, OF und Buchhaus-Gruppe, an unverbindlichen Preisempfehlungen fest, denn "wir haben keinen Anlass, das günstige Buch noch günstiger zu verkaufen". Ein abschließendes Urteil könne allerdings erst in zwei bis drei Jahren gezogen werden.
"Bücher werden teurer. Das ist so." Knapper kann Grob die Entwicklung im Schweizer Buchmarkt nicht zusammenfassen. Die Umsätze seien "auf breiter Front am Steigen". Ursache dafür sind nicht allein die höheren Euro-Preise deutscher Verlage, "es werden mehr Exemplare verkauft und es wird auch in der Buchhandlung teurer verkauft", ergänzte der BZ-Chef. "Die Konsumenten haben das Nachsehen."
"Wir sollten jetzt die Chance ergreifen und das Buch trennen von der Ideologie des freien Marktes", sagte Dörlemann. Für den Diogenes Verlag bestehe auch eine Verpflichtung gegenüber seinen Autoren, die der Verlag in vielen Jahren aufgebaut hat. "Wir werden Terrain verlieren, wenn wir ökonomisch unter Druck geraten", warnte Fritsch. "Wir haben nun neun Jahre lang versucht Überzeugungsarbeit zu leisten jetzt bewahrheiten sich alle Argumente, die wir für den Fall der Preisbindung vorgetragen haben, auch wenn sie noch nicht so stark spürbar sind." Wichtiger indessen ist für Fritsch der Umstand, "dass die Preisbindung hilft, das Augenmerk auf die Qualität zu setzen."
Freilich, die Politiker selbst scheinen die Materie nur aus der Theorie begreifen zu wollen. "Wir bitten Politiker, einzelne Verlage zu besuchen und sich die Mechanismen zeigen zu lassen, nach denen der Markt funktioniert", meinte Fritsch. Und Dörlemann ergänzte: "Wir würden gerne Parlamentarier einladen und erklären, mit wie viel Herzblut und Selbstausbeutung wir arbeiten." Und auch Büchler forderte in Solothurn dazu auf, Mut zu haben und die Bücher zu öffnen. "Dann würden die Politiker verstehen, dass wir keine Pfründe zu retten versuchen." In der Konsequenz ist für ihn klar: "Ein Gesetz muss her."
Discountpolitik als Erfolgskonzept?
Vorläufig dank guter Konjunkturlage sind die Preise nicht der relevante Faktor beim Kunden: "Im stationären Buchhandel steht der Preis beim Kaufentscheid zumindest beim Schweizer Konsumenten nicht im Vordergrund. Da spielen andere Faktoren eine Rolle wie Lage, Ladenatmosphäre, Beratungsqualität und Grösse des Angebotes. Darum glaube ich nicht, dass eine reine Discountpolitik auf Dauer Erfolg haben kann", meint Orell Füssli-CEO Amato.
Dennoch: Die von den Filialisten eingeführten Rabatte auf Bestseller hinterlassen nicht nur Spuren bei den Verlagen, die eine Verschiebung bei den Verkaufskanälen feststellen. Sie führen in aller Regel bei den Großbuchhandlungen zu einem Nullsummenspiel, das allerdings knallhart kalkuliert wird. Laut Amato gab es kurz vor dem Fall der Buchpreisbindung Anzeichen dafür, dass Warenhäuser und andere Drittanbieter in den Bestsellermarkt eindringen wollten. "Für uns war es wichtig, sehr frühzeitig auch neuen Anbietern zu verstehen zu geben, dass wir den Bestsellermarkt nicht kampflos preisgeben, dass wir bereit sind, mit Preisaktionen zu arbeiten", sagt der OF-Geschäftsleiter.
Neue Großflächen
Während sich die schleichende Aushöhlung der Umsätze bei den kleinen und mittleren Buchhandlungen fortsetzt, weil preissensitive Kunden zu den Discountern abwandern, steht in diesem Jahr eine weitere Verschärfung des Wettbewerbs an: Wenn am 8. Oktober OF vor den Toren Berns eine Großfläche in dem von Daniel Liebeskind gebauten Einkaufszentrum (EKZ) Westside eröffnet, sieht sich Platzhirsch Thalia mit einem Mitbewerber konfrontiert, der die Klaviatur der Preise beherrscht immerhin hat OF im vergangenen Jahr ein Umsatzplus von fünf Prozent erzielt, mehr als die Mitbewerber im Markt. Erstmals also kommt es zu einer Überlappung der beiden Anbieter in regionalen Märkten.
Andererseits zieht Thalia im Juli in der Traditionsbuchhandlung Vogel in Winterthur ein und wird 2009 vor St. Gallen im EKZ Rheinpark eine Großfläche eröffnen, derweil OF in St. Gallen vom traditionellen Standort in eine noch bessere Lage wechselt.
Auf die Dauer, ist Amato überzeugt, wird der Markt kompetitiver. Entscheiden werde die Qualität des Ladenlokales, des Sortimentes und der Mitarbeiter. Und beim letzten Punkt startet OF derzeit eine Charmeoffensive und hält hier die besseren Karten in der Hand: Als SBVV-Mitglied respektiert OF den Tarifvertrag an den sich Thalia nicht gebunden sieht, weil kein Verbandsmitglied. Und für OF ist klar: Der Buchhändler benötigt in Bern lokales Personal, also gut ausgebildete Buchhändler, die das örtliche Idiom sprechen.
Mag sein, dass bis dahin ein Preisbindungsgesetz auf gutem Weg ist. Sicher ist das nicht, wie aus der Podiumsdiskussion beim Symposium in Solothurn hervorging. Dass ein Gesetzesentwurf vorliegt und nun bei der WAK blockiert ist, gilt als bekannt. "Der Entwurf ist an sich gut, aber wir haben intern die Diskussionen darüber noch nicht geführt", erklärte SBVV-Präsidentin Sax. Auch liegt der Bericht noch nicht vor, den die Kommission beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) bestellt hat. Wesentliches Element des Berichts: eine Untersuchung über Buchpreise auf der Basis eines Warenkorbs, mit dem der Buchhandel nicht viel anfangen kann.
Optimistisch zeigte sich Dominique de Buman (Christdemokrat), der in der WAK das Dossier Preisbindung betreut: "Bis Ende 2009 sollte das Gesetz unter Dach und Fach sein", meinte der Fribourger Nationalrat. Hans Kaufmann, Mitglied der von Volkstribun Christoph Blocher angeführten rechtsnationalen Schweizer Volkspartei und ein Gegner der festen Preise, räumt dem Gesetz mittlerweile "gewisse Chancen" ein, in der WAK durchzukommen, weil ein Preisbindungsgesetz als Kulturförderung betrachtet werde. De Buman schätzt, dass es in beiden Kammern (National- und Ständerat) knapp werden könne, doch gebe es eine Tendenz pro Preisbindungsgesetz. Diogenes-Geschäftsleiter Stefan Fritsch: "Wir hoffen."
Mehr zum Symposium "Vielfalt statt Einfalt" im nächsten BÖRSENBLATT.
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