Meinung

Regale und Köpfe sind verstopft

18. September 2008
Redaktion Börsenblatt
Ein Plädoyer gegen Lesefutterberge und mangelnde Qualität. Von Schriftsteller Wolfgang Bittner.
Als Jugendlicher habe ich viel gelesen: "Die Schatzinsel", Robinson Crusoe", Tom Sawyers und Huckleberry Finns-Abenteuer, "Die Flusspiraten des Mississippi", "Wolfsblut" und Coopers Lederstrumpf-Geschichten. Und dazwischen sämtliche für mich erreichbaren Romane von Jules verne und Karl May. Derartige Lektüre, die auch von Mädchen gelesen wurde, scheint derzeit passé zu sein. Was ist nun - außer den periodisch mit immensem Werbeaufwand eingeführten Bestsellern - an die Stelle solcher "klassischer" Lektüre getreten? In den Programmen der Jugendbuchverlage findet sich ein überaus großes Angebot von Büchern mit dem Zielpublikum Mädchen und sehr viel weniger, was für Jungen interessant sein könnte. Hier und da werden zwar sogenannte Jungenbücher angeboten, in denen vor allem Sexualität eine wesentliche Rolle spielt; zum Beispiel hat der Thienemann Verlag die Jungen-Reihe Für Mädchen verboten aufgelegt, bei Oetinger gibt es Bert-Katastrophenbücher. Ueberreuter bietet Action Pur und der Ravensburger Buchverlag für Jüngere die Knickerbocker-Bande. Aber überwiegend geht man davon aus, dass Jungen mit Büchern kaum mehr erreichbar sind. Diese Ausrichtung, die statistischen Erhebungen folgt, lässt sich nicht nur anhand der Verlagsprogramme belegen. Schon vor mehreren Jahren schrieb mir die Lektorin eines Jugendbuchverlags: "Wir werden den Roman nicht publizieren können, weil wir seit geraumer Zeit eine Verlagspolitik fahren, die dies nicht (mehr) erlaubt: Zum einen publizieren wir in dieser Altersgruppe zurzeit nur Mädchenbücher (weibliche Protagonisten), zum anderen ist vor allem aus ökonomischen Erwägungen heraus die Abkehr von problemorientierter Literatur gewünscht." Was aber kann an Literatur, die diesen Namen verdient, entstehen, wenn in vielen Verlagen neben der Jagd nach Bestsellern Spießigkeit, Engstirnigkeit und mangelnde Bildung dominieren? Da wird massenweise Lesefutter mit zweifelhaftem Unterhaltungwert produziert, das die Regale und die Köpfe verstopft. Abgesehen davon sind die Vermittler von Büchern überwiegend Frauen, die "eine Literatur bevorzugen, in der es eher sanft und gefühlvoll zugeht", wie das BÖRSENBLATT jüngst schrieb. Dass Jungen als Zielpublikum für viele Verlage uninteressant geworden sind, liegt unter anderem daran, dass sie nicht nur Bücher über Probleme mit der ersten Freundin, dem ersten Mal oder dem ersten Pferd lesen wollen; auch nicht über Technik, Fußball oder Raumfahrt. Man hat ihnen über Jahre hinweg mit Kitsch und Kram und Bauchnabelfirlefanz nahezu systematisch das Lesen ausgetrieben. Allerdings ist die Verlagsszene trotz der Fluktuation in den Lektoraten und trotz vieler Fusionen immer noch sehr komplex. Hier und da finden sich durchaus positive Ausnahmen: Bücher, die wirklich spannend sind, abenteuerlich, fantastisch - wie auch immer - und die außerdem für die Zielgruppe existentielle Inhalte geistreich transportieren. Im Grunde geht es überhaupt nicht um Jungenbücher oder Mädchenbücher - sondern um literarisches Niveau, um Lektüre, die nicht nur pubertierende Mädchen mit billigen Klischees bedient und damit den Markt verstopft. Es ist zu hoffen, dass sich die dafür Verantwortlichen besinnen. Wie ist es Ihrer Ansicht nach um das literarische Niveau von Jugendbüchern bestellt?