Deutscher Buchpreis

Der lange Abend der kurzen Liste

29. September 2008
Redaktion Börsenblatt
Es war eine Premiere im doppelten Sinne. In zwei Wochen werden die sechs Autoren der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2008 im Frankfurter Kaisersaal gespannt die Entscheidung der Jury entgegennehmen, die dann ihren Sieger bekannt gibt. Am Samstag hatten die sechs Autoren der Shortlist im Literaturhaus Frankfurt erstmals in diesem Jahr die Gelegenheit, sich noch vor der Preisverleihung gemeinsam zu präsentieren. Für das Publikum in Frankfurt am Main eine gern wahrgenommene Chance, sich ein eigenes Urteil über die ausgewählten Romane und Autoren zu bilden.
Die beiden Gastgeber, Maria Gazzetti, die Leiterin des Literaturhauses Frankfurt und Felix Semmelroth, Kulturdezernent der Stadt Frankfurt, gingen zum Auftakt des langen Abends kurz auf die Diskussionen ein, die in den vergangenen Wochen im Umfeld des Preises aufkamen. Gazzetti forderte die Zuhörer auf: "Wenn ihnen die Liste zu vorgeschrieben vorkommt, dann sind Sie jetzt aufgefordert, genau hinzuhören und sich ein eigenes Urteil zu bilden." Und Semmelroth berichtete von seinem Besuch in einer Buchhandlung und "natürlich waren da die Shortlist-Autoren vertreten, aber auch alle anderen Autoren waren gut präsentiert". Nachdem der Kulturdezernent versicherte, dass durch die Auswahl der Autoren zum Deutschen Buchpreis die anderen Bücher nicht ins Hintertreffen geraten, sondern "im Gegenteil die Aufmerksamkeit für deutsche Literatur verstärken", konnte es los gehen. Fünfeinhalb Stunden lagen vor dem Publikum im bis auf den letzten Platz besetzten Frankfurter Literaturhaus. "Wir vermissen ihn sehr in der Redaktion", gab "FAZ-Kritikerin" Felicitas von Lovenberg zu, die sich zunächst mit Dietmar Dath über dessen Roman "Die Abschaffung der Arten" (Suhrkamp) und seine Arbeit als Autor unterhielt. Lovenberg nutzte die Gelegenheit des Abends auch dafür, Dietmar endlich mal zu fragen, was sie sich als Kollegin nie getraut hatte: "Wie schaffst Du das, so viele Texte und Bücher zu schreiben. Schläfst Du nicht? Nimmst Du was?" Dath verriet, dass sein Schaffensprozess eigentlich ein Entlanghangeln von einer zur anderen Schreibblockade sei. "Zuerst mache ich mir einen Plan. Dann fange ich mit 15 Büchern gleichzeitig an. Wenn ich dann bei einem nicht weiterkomme, fange ich ein anderes an", verriet Dath. Vor der Lesung aus seinem Roman riet Lovenberg, die ahnte, dass der Autor es seinen Zuhörern nicht leicht machen würde: "Lassen Sie sich auf das Buch ein, ohne Scheuklappen". In die Welt der Autorin Iris Hanika, die nach Dath an der Reihe war, konnten sich die Zuhörer leichter einfühlen. In Hanikas Debütroman "Treffen sich zwei" (Droschl) begegnen sich ein Systemberater und eine Hysterikerin und werden von ihrer Liebe zueinander überrascht. "Ich glaube, das Buch ist mir geglückt. Ich bin ganz zufrieden", sagte Hanika ins Publikum. Da sagt mal einer, Autoren scheuen die Öffentlichkeit und den Wettbewerb. Auch über das Buch von Rolf Lappert, der als einziger der sechs Shortlist-Autoren nicht persönlich anwesend war, gab es wissenwerte Details zu erfahren. Alf Mentzer (hr2-kultur) sei zunächst von dem Cover abgeschreckt gewesen, das ihn irgendwie an "Die Nebel von Avalon" erinnerte. Habe im Vorfeld der Veranstaltung aber erfahren, dass das Buch "Nach Hause schwimmen" (Hanser) der Liebling der Buchhändler sei. Für die Zuhörer, auch für die, die das Buch schon kannten, dürfte die Lesung von Jochen Nix ein besonderes Erlebnis gewesen sein. Einblicke in sein 976-Seiten Schwergewicht "Der Turm" lieferte schließlich auch der Dresdner Autor Uwe Tellkamp. Sehr detailliert beschrieb Tellkamp seine Vorgehensweise. So würden Düfte in seinem Buch beispielsweise nicht beschrieben, sondern "hergestellt". Ob es eine Fortsetzung von "Der Turm" gäbe, wollte Tellkamp nicht ganz verraten, es werde jedoch in irgendeiner Weise für ihn mit der Thematik weitergehen. Der Autor ist so voller Geschichten und Szenen, was auch zu später Stunde im Frankfurter Literaturhaus deutlich wurde, dass man sich auch nichts anderes vorstellen kann. Bei der Lesung Sherko Fatahs" aus seinem Roman "Das dunkle Schiff" (Jung und Jung) wurde es sehr still im immer noch gut besetzten Raum des Frankfurter Literaturhauses. Der Sohn einer Deutschen und eines irakischen Kurden erzählte mit seiner sanften Stimme von unfassbaren Grausamkeiten, dass Moderator Gerwig Epkes (SWR 2) sich die Frage nach Fiktion und Wirklichkeit nicht verkneifen konnte. "Es sind oft Geschichten, die mir erzählt werden", sagte Fatah, der, wenn der Vater nach seinem Besuch in Deutschland mit "vielen Koffern wieder zurückreist", diesen begeleitet und so immer mehr über das Land und seine Leute erfährt. Recherchereisen im eigentlichen Sinne mache er nicht. Um 22.30 Uhr war schießlich Ingo Schulze an der Reihe, der erst vor kurzem im Literaturhaus aus seinem Roman "Adam und Evelyn" (Berlin Verlag) gelesen hatte und hoffte, dass sich niemend langweilte. Von dem Gefühl von Langeweile schienen die Zuhörer auch nach fünf Stunden Marathon-Lesung jedoch weit entfernt. Am Ende hatte wohl jeder seinen heimlichen Favoriten mit in die Nacht genommen. Wer den Deutschen Buchpreis 2008 gewinnt, entscheidet sich jedoch erst am 13 Oktober. Die Aufzeichnung der Veranstaltung im Frankfurter Literaturhaus wird am 3. Oktober von 9.05 bis 11.00 Uhr auf hr2-kultur und am 4. Oktober von 0.05 bis 2 Uhr auf SWR2 gesendet.