Interview

Die Stunde der Hochhäuser

30. Oktober 2008
Redaktion Börsenblatt
Moderne Baukunst als Ausdruck von Macht: Riklef Rambow, Architekturpsychologe und Gastprofessor für Architekturvermittlung an der Universität Cottbus, über das neue Streben nach Höhe.
Herr Rambow, in welchem Gebäude sitzen Sie gerade? Fühlen Sie sich wohl in Ihrem Raum? Rambow: Ich sitze in einem Lehrgebäude auf dem Campus der Uni Cottbus, das erst vor kurzem grundsaniert wurde, und ich fühle mich ganz wohl hier. Auch wenn nicht alles optimal ist. Ich bin hier zum Beispiel in einem klassischen Einzelbüro. Wenn ich Kontakt zu meinen Studenten herstellen will, muss ich die Tür offen stehen lassen. Was sind die Aufgaben eines Architekturpsychologen? Rambow: Architekturpsychologen versuchen zu erforschen, wie Architektur oder räumliche Situationen wahrgenommen und bewertet werden, wie sie Gefühle und Verhaltensweisen beeinflussen. Die Arbeitsumwelt spielt dabei eine relativ große Rolle. Es gibt viele Forschungen zur Frage, wie sich Großraumbüros auf die Arbeitsleistung und auf die Arbeitszufriedenheit auswirken. Können Sie da ein konkretes Ergebnis nennen? Rambow: Wie immer, wenn solche Sachen wissenschaftlich untersucht werden, gibt es natürlich keine ganz einfachen Antworten. Die meisten Befunde werten Großraumbüros sehr kritisch. Aber man wird in der Architekturpsychologie wenige klare „One size fits all“-Regelungen finden. So ist die Welt einfach nicht gestrickt. Viele verstehen unter Architektur in erster Linie nicht Wohn- oder Arbeitsgebäude, sondern repräsentative, von Stararchitekten errichtete Bauwerke. Gibt es ein Bedürfnis nach „großer Architektur“, das früher durch die Kathedralen und Kirchen befriedigt wurde? Rambow: Gebäude und die Behausung sind für Menschen immer ganz wichtig gewesen und sind es heute auch noch. Die Architekturgedanke „Wir bauen für die Ewigkeit“ ist relativ fest verwurzelt. Deshalb haben Firmenzentralen, aber auch öffentliche Gebäude eine sehr hohe Bedeutung – sowohl für die Initiatoren als Ausdruck von Macht und Leistungsfähigkeit als auch für die Bewohner. Architektur als Ausdruck von Macht? Rambow: Ja, Architektur ist ein sehr machtvolles Mittel, um einer Gemeinschaft eine sichtbare Mitte zu geben. Wenn man sieht, wie viel weltweit momentan investiert wird in spektakuläre Architektur, dann hat das natürlich auch machtpolitische Hintergründe. 800 Meter in Dubai, jetzt war gerade wieder von 1000 Meter die Rede: Solche Gebäudehöhen sind durch sachliche Gründe absolut nicht zu rechtfertigen sind. Das ist ein ganz klar machtpolitisch motivierter Wettbewerb. Der sich verstärkt hat, oder? Rambow: Die asiatischen und arabischen Städte konkurrieren miteinander, Amerika kommt kaum hinterher. Auch in Europa gibt es eine neue Hochhaus-Welle. Das ist schon erstaunlich – zumal Hochhäuser nach dem 11. September 2001 als Auslaufmodell galten. Die Tatsache, dass es gerade einen enormen Boom in die Höhe gibt, unterstreicht noch einmal, wie stark das Bedürfnis nach solchen Signal-Bauten ist. Der Reiz ist hoch, eine Ikone zu schaffen, die weltweit für die Stadt oder das Land steht – also etwas Eiffelturm-artiges in die Welt zu setzen. Eine Stadt, die etwas auf sich hält, braucht einfach eine bestimmte Anzahl solcher Gebäude, die etwas Spektakuläres haben und die im nationalen oder weltweiten Wettbewerb der Städte mithalten können. Sie lehren in Cottbus Architekturvermittlung. Warum wurde der neue Studiengang im Wintersemester 2005/06 eingerichtet? Rambow: Dieser relativ kleine Studiengang bildet Spezialisten aus, die in der Lage sein sollen, Architektur und Stadt an eine breitere Öffentlichkeit zu vermitteln. Innerhalb der Architektur ist während der letzten Jahrzehnte das Bewusstsein gewachsen, dass sich Architektur häufig nicht selbst erklärt und die Architekten in Gefahr sind, den Kontakt zur Öffentlichkeit zu verlieren. Meiner Meinung nach liegt das teilweise auch daran, dass der fachinterne Diskurs der Architektur sich zeitweise sehr weit davon abgelöst hat von dem, was „normale Menschen“ verstehen und wünschen. Vieles an klassisch moderner Architektur, was innerhalb der Architektur als ein Meisterwerk betrachtet wird, ist in der breiten Öffentlichkeit kaum nachvollziehbar. Können Sie ein Beispiel nennen? Rambow: Beim Bauhaus in Dessau von Walter Gropius, einer Ikone der Moderne, einem wunderbaren Gebäude, stehen viele Laien davor und denken sich: Was soll das? Alles so reduziert, das ist doch nicht schön! Früher war der Konsens darüber größer, welche Architektur als wertvoll zu gelten hat und welche nicht. Mit der Moderne hat sich das auseinander entwickelt. Viele Bauwerke aus den 50er- und 60er-Jahren werden im Augenblick abgerissen, obwohl sie nach architektonischen Kriterien teilweise hohe Qualität besitzen. Diese Gebäude wurden selten wirklich geliebt von der Bevölkerung. Architektur vermittelt sich also nicht von selbst. Man muss sie erklären. In Cottbus wollen wir die angehenden Architekten in der Ausbildung mit solchen Diskrepanzen konfrontieren. Mehr dazu und zu vielen weiteren Themen im neuen BÖRSENBLATT plus Kunst & Architektur, das am heutigen Donnerstag erscheint.