Meinung

Motor statt Bremse

13. November 2008
Redaktion Börsenblatt
Der Buchhandel kann sich beim Aufbau einer Internet-Bibliothek einmal mehr als innovativ erweisen. Er muss es sogar, meint Matthias Ulmer.
Seit Gutenberg hat sich der Buchhandel um den Leser dadurch verdient gemacht, dass er mit jedem technischen Fortschritt den Zugang zur Literatur und zum Wissen erleichtert hat – durch niedrigere Preise, schnellere Verfügbarkeit und ein größeres Angebot. Paradoxerweise hat sich das mit der Digitalisierung verändert. Der Buchhandel steht nun schon seit ein paar Jahren da als derjenige, der den Zugang zur Literatur verhindert, erschwert und verteuert. Ob das nun tatsächlich so ist oder nicht: Wir müssen dieses Stigma überwinden. Wenn wir das nicht selbst tun, werden uns andere zu diesen Schritten zwingen. In den USA hat Google mit den Verlagen und Autoren nun eine Vereinbarung getroffen, nach der Bücher bald für jedermann und überall zu geringen Kosten im Internet nutzbar sein werden. Der gesellschaftliche Nutzen eines solchen Angebots ist evident: Es ist die Perfektionierung des Bibliotheksgedankens im Internet. Ich halte es für eine Tatsache, dass die allgemeine Internet-Biblio­thek kommt. Offen ist dagegen, wer sie anbietet. Drei Modelle sind grundsätzlich denkbar: 1. Google verbindet digitalisierte Bibliotheksbestände und das Verlags­programm und wird der unumgängliche Internet-Anbieter aller deutschen Bücher. 2. Die öffentliche Hand übernimmt die Umsetzung der Deutschen Digitalen Bibliothek, einschließlich aller lieferbaren Bücher. Oder 3. Die Verlage schließen sich zusammen und bieten unter einer gemeinsamen Plattform ihre Bücher als allgemeine Internet-­Bibliothek an. Alle drei Varianten haben gute Chancen zur Umsetzung. Aber nur die dritte garantiert, dass wir die Geschäftsmodelle selbst in der Hand haben. Das Google-Modell wird von vielen als unvermeidbar gesehen. Man gibt angesichts der beängstigenden Macht dieses Unternehmens auf, bevor man überhaupt über Alternativen nachgedacht hat. Das Modell der öffentlichen Bibliotheken ist seit gut zwei Jahren in Vorbereitung. Aber die Mühlen mahlen langsam, und die Gelder sind knapp. Ein Verlagsmodell dagegen hat den Vorteil, dass es keine zähen Rechtsstreitigkeiten gibt und auch der Gesetzgeber nicht mit harten Eingriffen ins Urheberrecht tätig werden muss, wie er es tun wird, wenn die Verlage nicht das Stigma des Bremsers loswerden. Der Entwurf eines solchen Modells ist einfach: Wenn alle lieferbaren Bücher auf der Branchenplattform libreka! verfügbar sind, dann kann in einer Partnerschaft mit dem Bibliotheksverband ein gemeinsames Portal geschaffen werden, über das auf die geschützten Werke über die Verlagsplattform und auf die rechtsfreien Werke über eine Bibliotheksplattform zugegriffen werden kann. Die geschützten Werke sind dann kostenpflichtig, die gemeinfreien dagegen kostenlos nutzbar. Zur Umsetzung ist es unabdingbar, dass der Verband das Mandat bekommt, mit der öffentlichen Hand in Verhandlungen über die Konditionen eines solchen Angebots zu treten. Ein solches Modell wird sich durchsetzen, wenn wir es nur anbieten. Die alternativen Vorhaben stehen indes vor zahlreichen juristischen Problemen, solange wir ihnen nicht zustimmen. Die Umsetzung eines Verlagsmodells dagegen liegt ausschließlich in unserer Hand. Das sollte die zentrale Aufgabe aller Verlage und des Börsenvereins sein. Es ist der nächste Schritt für eine Sicherung der zukünftigen Rahmenbedingungen unserer Branche. Was meinen Sie? Ist das Google-Modell alternativlos oder hat eine Branchenlösung eine Chance?