Meinung

Was soll ich denn sonst noch alles lesen?

20. November 2008
Redaktion Börsenblatt
Warum Marion Poschmann momentan vielleicht doch Uwe Tellkamp vorzuziehen ist – Jochen Jung hat sich noch nicht entschieden.
Was ich nicht gelesen hab, das kann ich auch nicht verkaufen«, sagte die würdige Buchhändlerin bei der Bitte um ein Leseexemplar und hatte mich damit schwer beeindruckt. Ja, dachte ich, so sollte es sein, wer seine Ware nicht kennt, hat seinen Job verpennt. Als ich dann aber nach Hause kam, fiel mein Blick als Erstes unvermeidlicherweise auf den großen unsortierten Haufen von Büchern, die ich aus Frankfurt mitgebracht habe, die Buch­messe-Ernte, Pflück- und Fallobst aus den verschiedensten Verlagen, man weiß ja gar nicht immer, wie man denn dazu kam, und ich dachte: Was ich nicht gelesen habe, das kann ich auch nicht aussortieren. Obenauf lag, wie zum Hohn, der Tellkamp wie eine Überschrift zu meinem Bücherturm. Der hat ja allein 1.000 Seiten, dachte ich und wusste natürlich, dass es mir gar nichts helfen würde, dass ich da kürzlich etwas von »spätbürgerlicher Klöppel­arbeit« gelesen hatte: Der steht ganz oben auf meiner Prioritätenliste, da muss ich durch und will es auch. Statt aber gleich damit anzufangen, hatte ich nach Ausschlafen und dringenden Vertretervorbereitungen mit spitzen Fingern zu einem der drei Le Clézios gegriffen, die irgendwie auch zu mir gefunden hatten, »Revolutio­nen«, schlappe 556 Seiten, aber ein tolles Buch, komm gar nicht weg davon, sitz schon den dritten Abend dran. Und danach les ich vielleicht erst mal die Poschmann, sind nur gut 100 Seiten, damit ich das Gefühl bekomm, etwas geschafft zu haben. Wenn ich mich dann an den Tellkamp mache, bin ich allerdings bis Totensonntag bedient, schließlich – nur lesen geht nicht – will man am Wochenende doch auch mal vor die Tür und schauen, was das Leben denn so macht. Aber, selbst wenn das eine oder andere in der Adventszeit als Weihnachtsgeschenk abfließt – ich ahne es: So wird das nichts. Und wie war doch gleich der Satz meines Sohnes, wenn ich ihm ausnahmsweise mal ein Buch empfahl: Was soll ich denn bloß sonst noch alles lesen!? Kommt noch hinzu, dass ich beim Buchpreisempfang den umsichtigen und engagierten Wolfgang Balk getroffen habe, ich meine: ziemlich getroffen, indem ich ihn – fahrlässig, ich muss es wirklich zugeben – als Sekundarverleger bezeichnete. 65 Prozent seiner Titel seien Originalausgaben, erfuhr ich da und stand hinterher nicht nur ziemlich blöd da, sondern bekam vor Kurzem auch noch ein dickes Paket aus München, aus dem ich ersah, dass die bei dtv nicht nur Originalausgaben, sondern obendrein sehr dicke Originalausgaben machen. Kein Wunder, dass mir ein Salzburger Mittagessen mit Marcel Reich-Ranicki und seiner wunderbaren Frau Teofila einfiel, wo er mal wieder sagte, was er damals gern sagte, dass nämlich kein deutschsprachiger Autor imstande sei, einen Roman mit mehr als 400 Seiten zu schreiben. Aber Marcel, meinte da seine Frau, das hast du uns schon so oft gesagt, und er darauf: Aber über 500 Seiten, das kann nun wirklich keiner. Tellkamp, du wirst es ihm beweisen. Und was nun jene Buchhändlerin angeht, die mich so beeindruckt hatte, so kann ich nur hoffen, dass sie es doch nicht ganz so ernst gemeint hat: Es wäre wohl ein allzu schmales Sortiment, das sie in den Regalen hätte. Wird Ihr Bücherstapel überhaupt mal kleiner – und wie bewerkstelligen Sie das?