Kurz der Sachverhalt: Der amerikanische Verlag Houghton Mifflin Harcourt hat verkündet, er wolle bis auf Weiteres keine neuen Manuskripte mehr ankaufen. Es liege noch genug auf Halde, und danach sei erst mal Schluss. Aus und basta!
Prompt kamen die in solchen Fällen angesagten Proteste, von »schockierend« bis »unerhört«, und wohlmeinende Kollegen empfahlen denn auch treusorgend, den Laden am besten gleich dicht zu machen. Ein Ratschlag, der vielleicht nicht ganz chancenlos ist, denn: Der Verlag gehört einem irischen Konzern namens Education Media, der für einen Haufen Geld erst Houghton Mifflin und dann Harcourt gekauft, beide zu einem der Riesen im pädagogischen Verlagswesen Amerikas zusammengeschmiedet und sich damit offensichtlich übernommen hat. Was ja unter fressgierigen Konzernen gelegentlich vorgekommen ist, solange es noch Kredite gab.
In jeder anderen Branche würde man sich über solch ein Fastenprogramm nicht nur nicht aufregen, sondern dazu gratulieren. Vielleicht haben die Manager im grünen Irland auch einfach mal einen Blick in eins ihrer Mathe-Bücher geworfen und dabei zu ihrer Überraschung festgestellt, dass nicht nur 1 + 1 = 2 ist, sondern auch 1 1 = 0.
Nun produziert HMH zwar überwiegend, aber nicht nur pädagogische Literatur. Er hat vielmehr in seiner »Jugend« er ist in seinen Teilen für einen Verlag nämlich schon ungewöhnlich alt Autoren verlegt wie Thoreau und Emerson, auch Harriet Beecher Stowe (ja, genau) und heutzutage immerhin noch Leute wie Jane Goodall und Philip Roth. Und Günter Grass! Und auf so was will man einfach verzichten?
Gemach, gemach. Wir können nämlich auch rechnen: Bekanntlich finden sich ja unter 1 000 unverlangten Einreichungen maximal eine oder zwei, aus denen dann ein Buch wird. Und unter 1 000 stolz entdeckten Autoren findet sich wiederum vielleicht ein halber Philip Roth. So darf man nicht rechnen? Natürlich nicht, aber denken, verbotenerweise denken darf man es schon mal: Was da die Post tagein tagaus von A nach B und ein paar Monate (?) später wieder von B nach A trägt (beim ersten Mal mit allerschönsten Briefmarken, beim zweiten nur mit einer Automatenmarke)! Was da an Hoffnungen und Träumen brutal geschreddert wird! Was da an Unglück und Enttäuschung über die schreibende Welt kommt ist es denn nicht nur menschlich, da einmal wenigstens ein Jahr lang diesen hoch emotionalisierten Papier- und Mailverkehr stillzulegen? Zeit zum Nachdenken: Muss ich wirklich? Sollten wir nicht vielleicht doch?
Aber wir wissen, so wird es nicht gespielt. Gewiss sind just in diesem Augenblick allein im sogenannten deutschsprachigen Raum 17 Autoren und Autorinnen unterwegs mit einem Poststück unterm Arm und einem feinen Lächeln im Gesicht, das sie für eine halbe Stunde irgendwie hübscher macht.
Ach, liebe Freunde in Amerika, lasst euer Herz erweichen, es kommt bei all den Milliarden doch auf die paar Millionen nicht an. Ihr müsst dann auch keine Lektoren entlassen, und die Post freut sich ebenfalls. Ihr braucht sie nämlich doch, die Schreibenden, sonst wird aus Onkel Toms Hütte nie ein schöner Konzernpalast.
Ist ein Verlag, der sich nur auf alte Verträge beschränkt, als Buchhaus noch ernst zu nehmen?