FIL Guadalajara – der vierte Tag

3. Dezember 2008
Redaktion Börsenblatt
Auch die Buchmesse in Guadalajara kommt nicht um die verpflichtenden Netzwerkveranstaltungen umhin: Cocteles allerorten, ab dem frühen Nachmittag fließen Tequila, Wein und anderes in Quantitäten, bei denen auch in Frankfurt niemand durstig bleiben würde, abends laden dann die Verlage ein, von Santillana über Planeta bis Sexto Piso und natürlich auch Random House Mondadori.
Der lateinamerikanische Bertelsmann-Ableger (das Ethos der Herren Mohn und Berlusconi scheint dann doch nicht so unterschiedlich zu sein) feiert seine Party unter freiem Himmel, was hier in Guadalajara, das mehr als 1500 Meter hoch gelegen ist, den Griff zu warmem Überzeugs obligatorisch macht. Wie auch in Frankfurt bekommt solches Branchen-Kroppzeug wie unsereiner keine Einladung. Aber immerhin: Das Vorzeigen der Presse-Akkreditierung für das Börsenblatt führt hier zu freudigster Begrüßung durch die Geschäftsführung. Das loben wir ebenso freudig und geloben, um den Rummel der Gütersloher Mutter in Frankfurt auch weiterhin einen Bogen zu machen. Am zweiten Fachbesuchertag tickt die FIL geschäftig vor sich hin, wie das auch sein soll: Überall an den Ständen sitzen geschäftige Menschen herum und arbeiten, das Rechtezentrum brummt und an den großen Ständen der Vertriebsfirmen wird eifrig Nachschub für den abendlichen Hereinbruch des äußerst kaufwilligen Publikums einsortiert. „Die Leute kaufen wie wild,“ erzählt Jan-Cornelius Schulz Sawade, Inhaber von Herder Mexico – kein Wunder bei seinem gediegenen geisteswissenschaftlichen Sortiment: Die FIL gehört der Universität Guadalajara und Studenten und Dozenten  nutzen die Gelegenheit, sich zu Messepreisen mit ihrem Jahresbedarf an Fachliteratur ein zudecken. Überhaupt sind Buchmessen in Mexiko, wie in ganz Lateinamerika, für den Buchvertrieb von großer Bedeutung: In Guadalajara sowie bei den kleineren Veranstaltungen in Monterrey und Mexiko-Stadt (Kinderbuchmesse) werden jedes Jahr mehr als eine Million Bücher verkauft. Das sagt jedenfalls die mexikanische Buchkammer (CANIEM), die am Dienstag ihre Jahresstatistik vorstellte. Und die hat es durchaus in sich, wenn man die europäischen Strukturen gewohnt ist. Im Jahr 2007 wurden in Mexiko rund 278 Millionen Bücher in Umlauf gebracht – von denen 54 Prozent von staatlichen Betrieben hergestellt und kostenlos abgegeben wurden. Der private Sektor kam bei einer Produktion von 20,300 Titeln auf eine Gesamtauflage von knapp 130 Millionen Exemplaren (ein Minus von knapp 6 Prozent), von denen fast ein Drittel von staatlichen Stellen für die Verwendung in Schulen und Behörden zentral angekauft wurden.  Schon 2005 hatte die CANIEM deshalb auf eine Lockerung dieser rigiden zentralstaatlichen Kontrolle beim Ankauf von Lehr- und Lernbüchern gedrungen, weil hierdurch eine wesentliche Entwicklungsmöglichkeit für die private Verlagsindustrie beschnitten wird, die der gesamten Branche eine gedeihliche Entwicklung versperrt. Bisher blieben diese immer wieder geäußerten Argumentationen fruchtlos, weshalb es nicht verwundert, dass in einem Land mit – offiziell - mehr als 90 Millionen potentiellen Lesern gerade einmal 229 private Verlage ernsthaft unternehmerisch aktiv sind. Die Titelproduktion von 20,300 bedeutet eine Steigerung um 8,6 Prozent gegenüber 2006 – gleichzeitig sank der Umsatz um 3,5 Prozent auf rund 7,3 Milliarden Pesos (ca. 430 Mio Euro).  Noch mehr als die Kollegen in Deutschland setzten die mexikanischen Kollegen auf das Schrotflintenprinzip: Immer höhere Titelzahl bei sinkenden Auflagen, in der Hoffnung, mit irgendeinem der Schrotkörner einen Treffer landen zu können. Ein wesentliches Hindernis beim Wachstum der Branche stellt nach wie vor das Vertriebssystem dar – bzw. das Fehlen eines solchen.  Die Metropole Mexiko-Stadt mit ihren 20 Millionen Einwohnern saugt mehr als 40 Prozent der gesamten Buchproduktion auf. Angesichts der kostenlosen Überversorgung der Bevölkerung durch den Staat gibt es nur wenig Motivation, außerhalb der Megastadt Buchhandlungen einzurichten: Gerade mal 1062 Buch-Verkaufsstellen gibt es in dem riesigen Land, davon 689 traditionelle Buchhandlungen. Nachdem schon 2007 kein gutes Jahr für das mexikanische Verlagswesen gewesen ist, unkte CANIEM für das laufende Jahr überdeutlich: Die Inflation hat sich von 3,6 Prozent im vergangenen Jahr fast verdoppelt, angesichts der Finanzkrise wurden die Ankaufsprogramme der Regierung zusammengestrichen. Ein Minus von 6-8 Prozent beim Umsatz wird prognostiziert – la fiesta de los libros es terminado. Am Abend präsentierte Monika Bilstein, Verlegerin des Peter-Hammer-Verlags, das Unternehmen und die Verlagsphilosophie zum Auftakt eines zweitägigen Kolloquiums zur Kinder- und Jugendliteratur. Maulwurf und Co. kamen gut an beim Fachpublikum –wir berichten später weiter zum Thema. Lesetipp von Myriam Lang (Atlantis):  Karen Chacek: Una mascota inesperada – Bilderbuch aus Mexiko (Ed. Castillo). Und Anne Gutman/Georg Hallersleben: Los baños (Edit. Juventud) – Pappbilderbuch aus Spanien für Erstleser. Holger Ehling war Leiter der Unternehmenskommunikation sowie stv. Direktor der Frankfurter Buchmesse und berichtet seit rund 20 Jahren als Reporter und Korrespondent für das Börsenblatt über die Buchmärkte der Welt.