Interview

»Ich würde E-Books nicht erfinden«

11. Dezember 2008
Redaktion Börsenblatt
Verlage kommen am digitalen Buch nicht vorbei, doch die Kosten sind enorm: Berechnungen von Ralf Müller, Geschäftsführer bei Droemer Knaur.
Seit diesem Herbst legt Droemer Knaur seine Novitäten parallel in gedruckter Form und als E-Book vor. Sie haben den digitalen Sektor immer als wichtigen Zukunftsmarkt bezeichnet. Sehen Sie das heute nach wie vor so? Müller: Ja, ohne Abstriche. Die Verlage müssen sich den E-Book-Markt erschließen, weil die Kunden es so wollen. Diesen Markt einfach zu ignorieren oder noch einige Zeit abzuwarten, kann schlimme Folgen haben, wie das Beispiel der Musikindustrie zeigt. Allerdings betrifft dies aktuell noch stärker die Bereiche Fachbuch, Sachbuch und Ratgeber – erst dann folgt die Belletristik. Wir bei Droemer Knaur nehmen den E-Book-Markt mit all seinen Chancen und Risiken sehr ernst. Durch unser frühes Engagement haben wir schon Erfahrungen gesammelt und hoffen so, mittelfristig in diesem Markt bestehen zu können. Bei Holtzbrinck wurde eine Kalkulation aufgestellt: Demnach lassen sich E-Book-Versionen eines Buchinhalts kaum billiger anbieten als Paperback-Ausgaben. Wieso? Müller: Man gehe doch einfach von den 19 Prozent Mehrwertsteuer beim E-Book aus und setze kalkulatorische 45 Prozent Buchhandelsrabatt an. Schon die höhere Mehrwertsteuer führt bei gleichem Ladenpreis zu deutlich reduzierten Verlagserlösen, das kann man nicht mehr aufholen. Dann gibt es wie beim gedruckten Buch laufende Kosten: Honorar- und Bildrechte, Servicegebühren für die »digitale Auslieferung«, das Verwalten der digitalen Daten und vieles mehr. Wir haben eine Musterkalkulation erstellt, die so aussieht: Die einmaligen Setup-Kosten für die Infrastruktur belaufen sich auf 30?000 bis 50?000 Euro. Dazu kommen laufende Media-Asset-Management-Kosten im niedrigen sechsstelligen Bereich sowie die Konvertierungskosten, die je nach Datenqualität aktuell bei 100 bis 1?000 Euro pro Buch liegen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass ein vollständiger »XML First«-Workflow im Verlag implementiert ist, werden weiterhin Konvertierungskosten in Höhe von 50 bis 70 Euro pro Titel anfallen. Das alles ist keine Kleinigkeit, und ich kann Verlagen nur eines raten: genau zu schauen, welcher Handelsrabatt im E-Buch-Bereich überhaupt möglich ist. Das hört sich nicht so an, als ob E-Books zum Top-Zusatzgeschäft für Verlage werden könnten. Oder vielleicht doch? Müller: Sagen wir so: Wenn es heute kein E-Book gäbe, würde ich es bestimmt nicht erfinden. Und es ist irrig zu glauben, dass das E-Business in den USA bereits ein Riesengeschäft für Verlage sei. Es hat seit dem Kindle-Launch deutlich an Dynamik gewonnen, ist in absoluten Zahlen aber immer noch ein kleines Business für Verlage. Ob es ein Top-Zusatzgeschäft wird, lässt sich frühestens in ein paar Jahren absehen. Was würden Sie mittleren und kleineren Verlagen in Sachen E-Book-Geschäft raten? Müller: Verlage mit den Schwerpunkten Fach-, Sachbuch und Ratgeber müssen sich der Herausforderung des E-Books stellen. Der digitale Markt nimmt in diesen Bereichen massiv zu. Reinen Belletristikverlagen mit einem gewissen Anteil an poplären Sachbüchern würde ich raten, den E-Book-Markt sehr genau zu sondieren und nach geeigneten Partnerschaftsmodellen zu suchen.