Glosse

Ich bin dann mal doch nicht weg

24. Dezember 2008
Redaktion Börsenblatt
Die Jahresbestseller 2008 stehen fest und eines fällt auf: Man trifft vor allem alte Bekannte wieder, dieselben Köpfe, teilweise sogar dieselben Titel. Eine Glosse von Guido Heyn.
So wie im Vorjahr sitze ich hier wieder vor Bergen ausgedruckter Excel-Listen und sehe mir die Bestseller des Jahres 2008 an. Ich hätte nicht gedacht, so viele Bekannte aus dem Vorjahr wiederzufinden. Und wie ich vergangenes Jahr schon vermutet hatte, hat der gute Hape wieder gelogen, von wegen »Ich bin dann mal weg«. Ich frage mich, wer hat denn das Buch dieses Jahr wieder gekauft, wo stehen denn all diese verkauften Exemplare? Also in meinem Bekanntenkreis gibt es nur eine Person, die den Kerkeling gelesen hat, und die hatte sich das Buch auch nur geborgt. Vielleicht könnte man Hape mit einem anderen Bestsellertitel in die Pflicht nehmen: »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort«. Aber ich schätze mal, er wird es brechen und auch 2009 wieder nicht weg sein. Im Laufe des Jahres wurde ich aber auch von so manchem Titel verwirrt. Oder wussten Sie, dass Nicholas Sparks ebenfalls Vampirromane schreibt? Nein? Ich auch nicht. Der Meinung war ich zumindest vor einigen Monaten, als sein Titel »Bis zum letzten Tag« in die Charts kam und ich es prompt in der Liste zu den »Bis(s)...«-Titeln von Stephenie Meyer einsortierte. Ich habe generell Schwierigkeiten, mir die Reihenfolgen diverser Buchserien zu merken. Seien es die »Bis(s)«-Titel, »Tintenherz/-tod/-blut« oder die »Eragon«-Bücher, und auch bei »Harry Potter« war das bereits so. Geht Ihnen das eigentlich ähnlich? Inzwischen habe ich einen immer wiederkehrenden Albtraum. Ich sitze bei Günter Jauchs »Wer wird Millionär?« und werde gefragt: Welcher »Potter«-Band ist der dritte? Es geht schon um die Million, und ich kann mich einfach nicht entscheiden. Fühle mich dann immer wie »Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?« Was soll’s, sage ich mir, bevor ich aufgebe, es mit logischer Überlegung herausfinden zu wollen: »Denken hilft zwar, nützt aber nichts«, denn »Hirn ist aus«. Apropos: Was passiert wohl, wenn Dieter Bohlen und Oliver Kahn zusammen ein Buch schreiben? Wie auch immer, es wird garantiert ein Nr.-1-Bestseller. Auch frage ich mich, wozu eigentlich all diese Kochbücher kaufen, wenn man dann später auch noch die ganzen Diät-Bücher kaufen muss. Oder ist das etwa eine Verkaufsstrategie der Verlage? Der schönste Buchtitel des Jahres unter den Bestsellern war für mich eindeutig »Die Eleganz des Igels«, einfach toll, oder! Obwohl, »Der Geschmack von Apfelkernen« hat mir auch sehr gut gefallen. Ich hab keine Ahnung, worum es in diesen Büchern geht, aber die Titel mag ich. Die Titel gaben dieses Jahr wieder einiges an Gedankenspielen her, von »Nicht mein Tag« bis zum »Millionär« war – zumindest in Buchform – alles möglich. Oder »Nicht tot genug«, klingt doch nett und lässt viel Raum für Tagträume. Auch »Schwerelos« zu sein kann mitunter durchaus vorteilhaft sein, etwa um nicht in »Feuchtgebiete« zu geraten. Interessant war auch die Vorstellung »Die Welt ohne uns«. Und mit »Ein Mann - Ein Buch«, »Eine Frau - Ein Buch« kündigt sich wohl eine Erfolgsreihe sondergleichen an (»Ein Kind - Ein Buch«, »Ein Hund - Ein Buch«, »Ein Kaktus - Ein Buch«, ...). Kochbücher gab es natürlich auch wieder en masse. Irgendwann wird Deutschland wohl nur noch für seine grandiose Kochkunst bekannt sein. Kein Haushalt, der nicht mindestens 20 Kochbücher in der Küche stehen hat, und jeder Bürger schafft locker die 5-Sterne-Norm. Nur mich Kochmuffel kann selbst ein Motivier-Titel wie »Backen macht Freude« (von wegen) nicht in die Küche zwingen, ich hab halt nur die »Lizenz zum Essen«. Da entspann ich mich lieber und vertraue darauf, die »Dinge geregelt (zu) kriegen - ohnen einen Funken Selbstdisziplin«, und übe mich in der Kunst des »Erfolgreich wünschen(s)«. Obwohl die Folgetitel »Erfolgreich wünschen, aber mit Leichtigkeit« und »Erfolgreich wünschen, aber richtig« wegen ihres unterschwelligen Befehlstons schon ein wenig irritierten. Was lernte man 2008 sonst noch so durch Ratgeber? Zum Beispiel »Alles, was ein Mann wissen muss«, »Besser kochen (mit Jamie)«, »Wie die lieben Kollegen so ticken« und wie »Ein Kind entsteht«. Ist »Schlechter Sex« eigentlich wirklich ein Ratgeber? Hm, bedenklich. Aber wer das halt lernen will, bitte. Wundern musste ich mich auch immer wieder über die Platzierung des Bindestrichs in »Niedrigtemperaturgar-Set«. Aber ich hab mich damit abgefunden und freue mich voller Neugier auf die Bestseller des kommenden Jahres und wünsche Ihnen erst mal frohe Weihnachten.