Wer über den gegenwärtigen Buchmarkt und die Kultur klagen und sich ein Renommee als einsamer Rufer in der Wüste erarbeiten möchte, der geht nie fehl darin, über die verderbliche Überproduktion der Verlagshäuser zu lamentieren. 90.000 Novitäten zu überblicken, das sei nicht einmal von der neuen Internet-Ikone Elke Heidenreich zu leisten, und so habe Mäßigung die erste Verlegerpflicht zu sein.
Wenn Sie mich fragen, halte ich das für wohlfeile Kritik so lange zumindest, bis es den Lektoratsspürnasen treffsicher gelingt, die neuen von Hirschhausens, Tellkamps, Kerkelings oder Dora Helds präzise vorherzusagen. Bis wir freilich diesen Idealzustand erreicht haben, werden die Publikumsverlage nicht umhinkönnen, eine Vielzahl von Kandidaten ins Rennen zu schicken und dem alten Westernmotto »Einer kam durch« zu vertrauen.
Ärgerlicher als diese Massenbuchhaltung erscheint die Einfallslosigkeit, die die Programmrunden etlicher Verlage regiert. Wer sich durch die Frühjahrskataloge durcharbeitet, fühlt alsbald bleierne Müdigkeit und beginnt, sich vor den Jubiläen und Gedenkfeiern zu fürchten, die uns 2009 unweigerlich bescheren wird. 20 Jahre Mauerfall, 60 Jahre Bundesrepublik, 60 Jahre Grundgesetz Anlässe genug, in zahllosen Kompendien, Chroniken und Memoiren an diese einschneidenden Ereignisse zu erinnern und den Schabowskis und Bräutigams dieser Welt Gelegenheit zu geben, in ihren Erinnerungen zu kramen.
Ach ja ... und natürlich der in rund zwei Dutzend abgefeierte 200. Geburtstag Charles Darwins ein Datum, das unglückseligerweise zusammenfällt mit der Wiederbesinnung auf seine »Entstehung der Arten«, die vor genau 150 Jahren erschien. Nur mit Mühe werden wir dieses bei C.H. Beck, Bertelsmann, Suhrkamp, Fink, Bloomsbury und Orlanda (»Darwins Schwestern«) vorbereitete Evolutionsfeuerwerk überstehen, ehe die nächste Friedrich-Schiller-Lawine auf uns zurollt. Kaum haben wir dessen 200. Todestag heil überstanden, steht dessen 250. Geburtstag vor der Tür, der die Herbstvorschauen regieren und uns mal wieder von der Aktualität des »Wallensteins« überzeugen wird.
Wie schön ist es da zu sehen, dass sich fast nur der Lappan Verlag an den 100. Geburtstag des großartigen Heinz Erhardt erinnern wird. Ein schaler Trost, denn es naht die Bundestagswahl 2009, und da wäre es gelacht, wenn die Verlage nicht auf dieses Datum schielen und uns mit Politikerbüchern aller Couleur beglücken würden. Kaum haben wir Jürgen Rüttgers, Franz Müntefering, Sahra Wagenknecht und Friedrich Merz verdaut, versuchen die nächsten Kandidaten auf die Poleposition zu gelangen. Renate Künast und die Bildungsmatrone Annette Schavan dürfen da nicht fehlen, Franz-Walter Steinmeier, der SPD-Rettungsanker, ohnehin nicht.
Kaum zu bändigen ist meine Vorfreude auf die sicherlich bald auf den Markt geworfenen Grundsatzmanifeste von Horst Seehofer, Guido Westerwelle und Oskar Lafontaine, vorausgesetzt, dieser findet auch als »Linker« wieder einen Verlag, der seine Vorschusserwartungen erfüllt. 2009 wird ein tolles Bücherjahr.
Sind Sie scharf auf all die neuen Bücher zum Mauerfall?