Rezension

Nutznießer des Systems

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Eine Studie von Thomas Garke-Rothbart zeigt: Verleger Georg von Holtzbrinck war kein aktiver NS-Gefolgsmann, machte aber lukrative Geschäfte mit dem Regime. Seine Kinder förderten nun die Aufarbeitung. Von Jan-Pieter Barbian.

Die Geschichten von Menschen und Entwicklungslinien, die uns die nationalsozialistische Diktatur hinterlassen hat, sind mehr als sechs Jahrzehnte nach ihrem Untergang noch längst nicht zu Ende erzählt. Immer wieder werden neue Tatsachen bekannt, die die vielfältigen Formen der Mitwirkung von Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Journalismus, Kultur und Wissenschaft der Bundesrepublik Deutschland an der Funktionalität und Stabilität von „Hitlers Volksstaat“ (Götz Aly) belegen.

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Insofern ist die jetzt vorliegende Studie von Thomas Garke-Rothbart nur ein weiteres Mosaikstein in einem wesentlich größeren Gesamtbild. Nach Heinrich und Reinhard Mohn vom Hause Bertelsmann erhält mit Georg von Holtzbrinck (1909-1983) eine weitere zentrale Verlegerpersönlichkeit des deutschen Buchhandels nach 1945 ein öffentliches „Vorleben“.

Bereits 1998 hatte der amerikanische Journalist David Margolick in einem Aufsatz für die New Yorker Zeitschrift „Vanity Fair“ unter dem Titel „The German Front“ erstmals auf die Geschäfte Holtzbrincks mit NS-Zeitschriften aufmerksam gemacht und den Vorwurf der willfährigen Unterstützung des Hitler-Regimes erhoben. Da jedoch sowohl die Unterlagen des Verlags als auch von Geschäftspartnern wie der Deutschen Arbeitsfront oder dem Oberkommando der Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen sind, war die Verifizierung der Behauptungen äußerst kompliziert.

Die Rekonstruktion der Dokumente gelang Garke-Rothbart zum einen durch die bereitwillige Unterstützung der Kinder Georg von Holtzbrincks, die seit 2001 einschlägige Akten aus dem Nachlass ihres Vaters freigaben, während die Geschäftskorrespondenz seines Partners Wilhelm Schlösser aus den Jahren 1937 bis 1942 von dessen Tochter zur Verfügung gestellt wurde. Zum anderen hat der Journalist aus Erfurt in annährend 30 öffentlichen und privaten Archiven von Washington über Berlin und Leipzig bis Moskau nach weiterem Quellenmaterial recherchiert. Auf dieser Grundlage konnte Garke-Rothbart ein detailreiches und differenziertes Bild des Verlegers nachzeichnen, wobei es ihm „um das Anpassungsverhalten eines mittelständischen Unternehmers in einer vom NS-Regime besonders beeinflussten Branche, und um Erklärungen“ geht, „nicht um moralische Wertungen“ (S. 15).

Der Leser darf also keinen Sensationsjournalismus erwarten, der ja nie auf den sachlichen Mehrwert an Erkenntnissen zielt, sondern immer nur auf den öffentlichkeitswirksamen Effekt.
Georg von Holtzbrinck begann völlig unspektakulär als Vertreter für Bücher und Zeitschriften – zunächst als Werkstudent während seines Jurastudiums an der Universität Köln, nach dessen Abbruch seit Oktober 1933 zusammen mit Wilhelm Schlösser als Werbeleiter für den gesamten Handel mit Zeitschriften des Stuttgarter Union Verlags. Hauptvertriebsobjekte waren die traditionsreichen, monatlich erscheinenden Familienzeitschriften „Das Buch für alle“ und „Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens“, für die es jährlich mindestens 50.000 neue Abonnenten zu werben galt.

Bis zur Kündigung des Vertragsverhältnisses im März 1935 hatte Holtzbrinck ein beachtliches Grundkapital erworben, das er noch im gleichen Jahr für den anteiligen Erwerb der Deutschen Verlags-Expedition (Devex) einsetzte. Sein Mitgesellschafter Schlösser, der die Berliner Filiale des in Stuttgart beheimateten Unternehmens leitete, stellte über die Privatkanzlei Hitlers den Kontakt zum Verlag der Deutschen Arbeitsfront her, neben dem Zentralverlag der NSDAP der zweite marktbeherrschende Monopolist des damaligen  Zeitschriften- und Buchmarkts. Bis 1939 war die Devex am lukrativen Vertrieb der auflagenstarken Fachzeitschriften „Freude und Arbeit“ und „Schönheit der Arbeit“ beteiligt. Neben der DAF und weiteren parteiamtlichen Dienststellen kooperierte die Devex mit dem Walter Kohlhammer Verlag, dessen Bücher und Broschüren eine deutliche Nähe zur NS-Ideologie erkennen ließen.

Der Übergang vom Vertreter zum Verleger, den Holtzbrinck 1937 mit dem Erwerb der von ihm in Buchform herausgegebenen „Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens“ eingeleitet hatte, wurde 1940 durch die Beteiligung am Verlag Deutsche Volksbücher (Wiesbaden) endgültig vollzogen. Das Konzept beider Verlagsstandbeine, politische Inhalte mit leicht lesbarer Unterhaltung zu kombinieren, zahlte sich während des Kriegs aus.

Mit jährlichen Umsätzen zwischen 934.479 (1940) und 1,648 Millionen RM (1942) gehörte Holtzbrinck zur kleinen Spitzengruppe der deutschen Verleger und lag mit mehr als 5 Millionen Exemplaren bei den Feldpost- und Lizenzausgaben für die Wehrmacht an vierter Stelle. Als andere Verlage längst geschlossen worden waren, konnte der Verlag Deutsche Volksbücher im Dezember 1944 eine Sonderausgabe von „Maidentage. Ein buntes Buch vom fröhlichen Schaffen“ in einer Auflage von 50.000 Exemplaren für den Reichsarbeitsdienst drucken und noch im März 1945 65.000 Bände unterschiedlicher Titel an das OKW ausliefern.

Georg von Holtzbrinck war damit eindeutig „Nutznießer“ des vom NS-Staat protegierten und finanziell subventionierten Zeitschriften- und Buchmarkts, auch wenn ihn das Entnazifizierungsverfahren im Februar 1948 von einer aktiven politischen Mitwirkung über seine Mitgliedschaft in der NSDAP hinaus freisprach. Danach konnte er nicht nur das in den Jahren 1933 bis 1945 erworbene Kapital in den Kauf neuer Unternehmen investieren, sondern auch die auf dem nationalsozialistischen Massenbuchmarkt gewonnenen Erfahrungen gewinnbringend einsetzen.

Wenn der Verleger allerdings nach dem Ende seiner Entnazifizierung einem Onkel in den USA am 1. August 1948 schrieb: „Jetzt liegt die Geschichte hinter einem.“ (S. 210), sollte er sich täuschen. Mit dem Buch von Thomas Garke-Rothbart, zu dem Siegfried Lokatis eine pointierte Einführung geschrieben hat, ist sie 60 Jahre später erst richtig erzählt worden.

Bibliographische Angabe:

Thomas Garke-Rothbart: „... für unseren Betrieb lebensnotwendig...“. Georg von Holtzbrinck als Verlagsunternehmer im Dritten Reich
K.G. Saur Verlag, München 2008 (= Archiv für Geschichte des Buchwesens, Studien, Bd. 7), 248 S., 69,95 Euro