Theater und Literatur

»Theater-Bashing ist in«

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Ulrich Khuon, Intendant am Hamburger Thalia-Theater, ist ein sanfter Bühnenrebell – zumindest im Interview. Im Sommer geht er nach Berlin. Was die Hauptstädter erwartet.

Sie übernehmen nicht nur eine neue Aufgabe am Deutschen Theater Berlin, sondern sind auch neues Mitglied in der Friedenspreis-Jury. Wird der Friedenspreisträger 2009 ein Theatermann?

Khuon: Es wäre sicher vermessen, als neuer Juror gleich das Theater nach vorn schieben zu wollen. Aber es ist mir schon ein Anliegen, den Dialog zwischen der literarischen Öffentlichkeit und dem Theater wieder zu intensivieren. Im Moment begegnen viele Intellektuelle der Bühnenwelt mit gewissem Hochmut, der häufig von keiner genauen Kenntnis gespeist wird. Theater-Bashing ist in. Wenn Daniel Kehlmann über seinen neuen Roman redet, muss er dann wirklich immer gleich dazu sagen, dass er nicht mehr ins Theater geht? Ich halte den Austausch zwischen den Künsten für extrem wichtig, splendid isolation tut keinem gut.

Wenn man sich die Spielpläne anschaut, hat man den Eindruck, als gäbe es ziemlich regen Austausch. Aktuelle Romane werden derzeit gern als Bühnenstoff genutzt. Gehen den Theater-Autoren die Ideen aus?

Khuon: Theaterregisseure suchen sich Stoffe dort, wo sie zu finden sind - so wie es die Filmemacher ja schon längst betreiben. Das wäre nur dann ein Problem, wenn die Kraft der Autoren, die für die Bühne schreiben, nachlassen würde. Aber das ist nicht so: Es gibt viele Uraufführungen und viele begabte Autoren, auf die sich das Theater einlässt. Die Menge des Materials, die sich das Theater aneignet, ist für mich eher ein Zeichen für seinen Reichtum als für seine Einfallslosigkeit.

Es gibt durchaus literarische Autoren, die als Dramaturgen am Theater arbeiten. John von Düffel gehört dazu. Würden Sie sich das öfter wünschen?

Khuon: Ganz klar: Die Nähe des Autors zum Theater ist wichtig. Alle großen Autoren hatten eine starke Anbindung an bestimmte Theater, an einzelne Regisseure: Claus Peymann und Thomas Bernhard waren ein solches Duo, Peter Stein und Botho Strauß und seit einigen Jahren Andreas Kriegenburg und Dea Loher. Fürs Theater zu schreiben - das heißt auch Nähe zu den Schauspielern, den Bühnenprozess zu kennen und danach wieder Abstand zu gewinnen.

Zurück zum Stichwort Friedenspreis: Ist Theater eigentlich dazu da, Frieden zu stiften - oder sollte es ihm eher um Unfrieden gehen?

Khuon: Nicht um Unfrieden, aber um Unruhe. Denn das ist im besten Fall ein produktiver Zustand der Verunsicherung. Ich wage die These: Wer irritierbar ist, ist weniger kriegslüstern - weil er um die Unsicherheit des eigenen Standpunkts weiß. Das Theater trägt, wie jede Kunst, dazu bei, dass man offener, neugieriger mit seiner Zeit, mit der Welt umgeht, in der man lebt.

Sind Krisenzeiten gut fürs Theater?

Khuon: Das ist schwer zu sagen. Stabile Systeme dürften eher dafür sorgen, dass sich in der Kunst Widerstandsnester bilden - das beste Beispiel sind die autoritären 50er/60er Jahre. Für mich ist Theater aber vor allem ein Medium der Verständigung. Man lernt sich selbst und den anderen besser zu verstehen. Gerade in der Krise erleben wir ganz deutlich, wie sehr wir alle aufeinander angewiesen sind. Theater hat eine hohe soziale Dimension. Stärker als andere Künste verbindet es Gemeinschaft und individuelle Kreativität. Das ist der Grund, warum ich mich dort so wohl fühle - und warum es im Moment vielleicht wichtiger ist denn je.

Schräger, wilder, schriller: So haben Sie das Theater angekündigt, das Sie 1993 bei Ihrem Wechsel von Konstanz nach Hannover machen wollten. Was erwartet jetzt die Berliner?

Khuon: Ich habe immer den Begriff des Stadttheaters geschätzt - das zwar im besten Fall Ausstrahlung über die Stadt hinaus hat, aber eben vor allem ein Theater für die jeweilige Stadt ist, auf das Leben dort reagiert. Für das zurückhaltende Hannover war das Schräge, Wilde genau richtig. In Berlin würde ich andere Begriffe setzen wie Fremdheit, Neugier. Berlin ist wild und schräg genug. Die »Süddeutsche Zeitung« hat mal über unser Theater in Hamburg geschrieben, es sei intelligent und ungezähmt. Das würde ich, bei allen Unterschieden, gern auch in Berlin erreichen. Theater ist nicht domestizierbar - es muss uns gelingen, zu überraschen. Auch in Berlin.

Hamburg ist eher großbürgerlich geprägt. Muss Theaterarbeit an der Spree schon deshalb anders aussehen als an der Elbe?

Khuon: Die bürgerlichen Wurzeln bestimmen uns alle sehr viel stärker als wir das oft wahrhaben wollen. Es geht dabei um Anpassung, ums Gefallenwollen, aber auch um eine hohe Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Auch Berlin hat etwas Bürgerliches, selbst wenn die Stadt heute vor allem von kultureller Diversität, von Globalisierung geprägt ist. Klar ist: Ich transportiere nicht dasselbe Theater von Hannover nach Hamburg, von Hamburg nach Berlin. Theater hängt immer von Stadtwirklichkeit ab - und von den Autoren, Regisseuren und Schauspielern, mit denen man dort zusammenarbeitet. Die Gesellschaft will in der Kunst den Widerspruch und Widerstand.

In Hannover und Hamburg haben Sie mit den Autorentheatertagen intensive Nachwuchspflege betrieben. Wird es in Berlin eine Fortsetzung geben?

Khuon: Das ist sicher eine Konstante meiner Arbeit. Ich bin selber sehr literarisch geprägt, habe schon immer viel gelesen. Wenn ich in einer Region bin und das Theater dort ernst nehme, muss ich Kontakt zu den Autoren suchen. Das waren früher Thomas Strittmatter, Thomas Hürlimann, Horst Wolf Müller - im Moment sind es Lukas Bärfuss, Dea Loher, Anja Hilling, Juliane Kann. Es gibt einen großen Reichtum an Begabungen. Man muss sie nur suchen und langsam aufbauen statt sie zu verheizen. Das Theater ist heute viel autorenfreundlicher geworden.

Sie haben Ihren anstehenden Wechsel ans Deutsche Theater als riskantesten Arbeitsplatzwechsel von allen bezeichnet. Warum?

Khuon: Berlin ist sicher am heftigsten von allen deutschen Städten in Bewegung. Ich kann dort ganz schnell scheitern - zumal das Deutsche Theater extrem gut unterwegs ist, ein hervorragendes Ensemble hat. Es hätte auch noch fünf Jahre mit Bernd Wilms weitermachen können.

Die Berliner brauchen Sie also gar nicht?

Khuon: Nun ja, jetzt ist mein Vorgänger ja gegangen, und meine Aufgabe ist es, an die Vergangenheit anzuknüpfen und gleichzeitig etwas Neues zu entwickeln. Man muss sich dabei selber ein Stück weit aufs Spiel setzen.

Sind Sie risikofreudig?

Khuon: Ich brauche das Risiko nicht, aber ich suche es vielleicht, um in Bewegung zu bleiben. Grundsätzlich bin ich eher jemand, der im Theater Vertrauen und Sicherheit schaffen will. Denn wenn man Vertrauen hat, riskiert man auch mehr - es sind ja die Schauspieler und Regisseure, die ihre Haut zu Markte tragen.

Ist das Risiko in Berlin vielleicht auch finanzieller Art? Schließlich ist Berlin notorisch pleite.

Khuon: Das ist überall ein Problem, nicht nur in Berlin. Hamburg etwa ist eine stabile Stadt, und man kann dort gut und vernünftig Theater machen. Aber man kann auch nicht sagen, dass die Kunst im Mittelpunkt aller Dinge steht. Zur Zeit wirken die politischen Partner in Berlin jedenfalls sehr vertrauen erweckend. Viele Signale belegen, dass die Berliner Regierung weiß, wie wichtig Kunst und Kultur nach innen wie nach außen sind. Es gibt also keinen Grund übermäßig zu jammern. Aber natürlich muss man immer kämpfen. Allein die Tariferhöhungen können ein Theater, bei dem der Etat immer zu 80 Prozent aus Personalkosten besteht, in riesige Probleme stürzen.

Haben Sie keine Sorge, dass das Theater wieder Rechtfertigungsdebatten führen muss, wenn die Mittel knapper werden?

Khuon: Ach, das ist ein Dauerthema, das dem Theater bisher nicht geschadet hat. Es ist zwar anstrengend, immer zu kämpfen - hat aber den Vorteil, dass man immer über die eigene Wichtigkeit, die eigenen Aufgaben nachdenken muss. Die Finanzkrise kommt uns dabei eher zu Gute, weil man merkt, dass der Markt nicht das Allheilmittel ist, sondern im Gegenteil selbst Probleme erzeugt. Das wirft viele Fragen auf: Was ist Staat? Was macht ihn aus? Das Selbstverständnis geht wieder stärker über das Konglomerat wirtschaftlicher Interessen hinaus. Und davon können die Theater, Opern, Literaturhäuser und Museen nur profitieren.

Wie groß ist der Druck, vor ausverkauftem Haus zu spielen?

Khuon: Für die Politik ist ein gutes Theater immer ein volles Theater. Ins Thalia-Theater kommen 300?000 Menschen im Jahr. Im Schnitt haben wir jeden Abend zwischen 600 und 1 000 Menschen im Haus - das ist viel. Mit Stücken junger, unbekannter Autoren locken wir natürlich nicht so viele Zuschauer an. Wir müssen da eine ähnliche Mischkalkulation betreiben wie Verlage: Wir brauchen Stücke, die gut laufen, um die komplizierteren Inszenierungen stützen zu können, ohne dass wir unsere Seele verkaufen.

Theater müsse Passionswissen vermitteln, haben Sie einmal gesagt. Aber sind Leidensgeschichten in der Spaßkultur noch gefragt?

Khuon: Die Frage ist: Wollen wir uns ablenken, aus der Wirklichkeiten davonstehlen, oder suchen wir eine vertiefte Form von Wahrnehmung, von Sensibilität? Das Sinnliche, die Ästhetik des Theaters hat immer etwas Anregendes, aber nicht zwingend etwas Ablenkendes. Vieles an der Spaßkultur ist kreativ und lustig, leistet das genauso, nur auf andere Weise. Nehmen Sie Sibylle Berg oder Woody Allen: Bei ihnen maskiert sich das Passionswissen mit Selbstironie aber nicht ohne Tiefe und Qualität. Ich glaube, es gibt eine starke Sehnsucht nach persönlicher Begegnung, nach Verbindlichkeit, gerade heute. Theaterkunst kann genau das ermöglichen. Sie bringt das Leben auf die Bühne, mit Menschen, die genauso sterblich sind wie die Zuschauer im Saal.

Ihr Sohn Alexander ist Schauspieler, Ihre Tochter Nora Dramaturgin. Gibt es ein Theater-Gen in der Familie Khuon?

Khuon: Nein, vom Theater geht einfach eine starke Faszinationskraft aus. Das haben meine Kinder durch mich vermutlich erlebt.

Ist die Berufswahl Ihrer Kinder für Sie ein Glücksfall?

Khuon: Das Theater hat etwas Erfüllendes, aber auch etwas Besitzergreifendes. Gerade weil ich weiß, wie schön und wie anstrengend es sein kann, begleite ich den Weg meiner Kinder sicher mit anderen Ängsten, als wenn sie ein Berufsfeld gewählt hätten, das ich nicht kenne. Theatermenschen führen ein extrem öffentliches Leben und müssen bereit sein, viel zu ertragen. Das muss man erst lernen.

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Zur Person

Ulrich Khuon, Jahrgang 1951, studierte Jura, Theologie und Germanistik, schrieb Theater- und Literaturkritiken. 1980 ging er als Chefdramaturg ans Stadttheater Konstanz, wo er später Intendant wurde. 1993 wechselte er ans Niedersächsische Staatstheater Hannover, 2001 ans Thalia-Theater Hamburg. Ab Sommer 2009 übernimmt er die Intendanz des Deutschen Theaters in Berlin. Khuon ist seit kurzem Mitglied im Stiftungsrat des Friedenspreises.