Mittwoch, 16. September, 3. Tag:
Vom Hotel sind es nur rund 20 Minuten durch den schön gelegenen Stadtteil Pinheiros bis zum Sitz der Camara. Es ist einer der seltenen Fußwege auf dieser Reise, die wir meist im Flugzeug oder im Van hinter uns bringen.
Die CBL veranstaltet zugleich alle zwei Jahre die Buchmesse in Sao Paulo, während die Bienal do Livro in Rio vom Partnerverband SNEL (Sindicato Nacional dos Editores de Livros) ausgerichtet wird, der vorwiegend die nationalen Interessen der brasilianischen Buchbranche wahrnimmt.
Nach dem ausgiebigen Frühstück und Gesprächen mit anwesenden Verlegern kommt erst einmal ein Crashkurs in brasilianischem Buchwesen. Die Schwierigkeiten eines Markts, der nur rund ein Siebtel der Gesamtpopulation erreicht (ca. 25 Millionen potentielle Buchkunden), werden offenkundig. Ein regelrechtes Book Business existiert nur in den Metropolen und den großen Städten – ein Distributionsnetz für Bücher, wie wir es aus Deutschland kennen, ist in Brasilien weitgehend noch eine Wunschvorstellung.
Neben den Marktaktivitäten setzt sich die brasilianische Branche mit Unterstützung der Regierung für die Verbreitung von Büchern und für die Leseförderung ein. Vorbildlich wirkt hier der Plano Nacional do Livro e Leitura, dessen Projekte und Ziele uns José Castilho Marques Neto vorstellt.
Nach dem Mittagessen im Restaurant (Rinderfilet mit Zuckererbsen und Maniokpüree) besuchen wir die Editora Cançao Nova (zu deutsch: "Neues Lied"), einen Verlag für religiöse Literatur. Editora Cançao Nova ist eines der Medienunternehmen von Cançao Nova, einer katholisch-charismatischen Gemeinschaft, die 1978 gegründet wurde und Stützpunkte in Brasilien, Europa, Israel und den USA unterhält. Wenn man so will, handelt es sich um eine katholische Gegengründung zur stark expandierenden evangelikalen Bewegung, die in Brasilien großen Zulauf hat.
Verlagsleiterin Cristina Maria Negrao kann sich über den Erfolg ihres Buchprogramms freuen: Im Gegensatz zu den Kollegen aus anderen Verlagen bringt sie von manchen (Erbauungs-)Titeln Zehntausende Exemplare unters Volk. Das Zauberwort heißt Direktvertrieb: Überall im Land sind Vertreter für Cançao Nova unterwegs, die die Bücher an der Haustür anbieten und verkaufen (der Katalog trägt die Überschrift "Porta a Porta" – von Tür zu Tür). Frau Negrao erklärt das Vertriebskonzept so: "In Brasilien gibt es fünf soziale Schichten: A, B, C, D und E. Während die Belletristik- und Fachverlage an A und B verkaufen, bieten wir unsere Bücher C und D an." Damit sind nicht die ganz Armen und die Analphabeten gemeint, sondern die Leute mit vier bis acht Jahren Schulausbildung. Entsprechend sind die Bücher in einer einfachen, verständlichen Sprache gehalten, die die Leser nicht überfordert.