Die Öffentlichkeit hört ihm nicht mehr zu – dem Schriftsteller als politischem Wanderprediger und Erzieher der Nation. Gewiss, der SPD schmeichelt es, wenn sich die Autoren weiterhin zu ihr bekennen, als hielte sie für alle Zeiten das Monopol in Sachen Aufklärung. Wenn es um die katalysierende Wirkung von Prominenz geht, haben inzwischen aber andere die Nase vorn: Schauspieler, Fußballer, Olympiasieger, Schlagersänger, Rockröhren, Modedesigner. Die Partei freut sich über jeden, der seinen charismatischen Namen zur Verfügung stellt – solange er sich nicht »einmischt«.
Dass sich kaum noch jemand um die politischen Ansichten von Autoren schert, hat auch damit zu tun, dass Schriftsteller kein Privileg mehr auf die veröffentlichte Meinung haben. Dank Internet ist die Welt zum gigantischen Online-Stammtisch geworden, wo alle munter mitquatschen können. Mehr oder weniger ausgegorene, oft von verbalen Rüpeleien flankierte »Meinungen« werden mit einem Mausklick ins virtuelle Universum geschossen. Jeder kann ein Besserwisser sein; man muss dafür kein Buch mehr geschrieben haben.
Der Vorsprung der Autoren bleibt die besonnene Formulierung und die differenzierte Betrachtung – aber genau darauf kommt es im Wahlkampf nicht an. Statt um Argumente wurden die Autoren deshalb von ihrer Lieblingspartei gebeten, doch bitte ein paar sympathieträchtige Steinmeier-Anekdoten zum Besten zu geben, um dem verbreiteten Eindruck entgegenzuwirken, der Kandidat sei ein wandelnder Aktenschrank. So erzählte der Dramatiker Moritz Rinke in einem Video, wie er am Ende einer langen Clubnacht einmal ganz spontan von Steinmeier mit dem Dienstwagen-Korso heimgefahren wurde. Vier schwarze Limousinen vorm Haus – das imponierte auch Rinkes Nachbarin Frau Müller dermaßen, dass sie im Nu für die SPD gewonnen war.
Gerade diese begeistert mitgeteilte Geschichte rückt den Kanzlerkandidaten jedoch in merkwürdige Ferne: Als handele es sich bei dem Geschehen im Morgengrauen um die geradezu unfassbare Gunst eines byzantinischen Herrschers. Der Schriftsteller, der auf diese Weise die »Menschlichkeit« des Staatsmannes preist, hat etwas von einer Hofschranze. Angesichts solcher neofeudalistischen Tendenzen bekommt man wieder Sehnsucht nach der Souveränität von Günter Grass. Der SPD-Trommler reiht sich nicht im Parteitross ein, sondern will allen zeigen, wo’s langgeht. Auch in diesem »laschen« Wahlkampf verteilte der Alte wie gewohnt noch einmal seine Kopfnoten an die Politiker. Schon zu Zeiten Willy Brandts hatte er sich nie als Juniorpartner verstanden. Schwer gekränkt war er damals, als der Kanzler ihn mit gelegentlichen Einstundenterminen abspeisen wollte.
Noch kleinlauter als Rinkes Versuch geriet die Videobotschaft von Julia Franck. Sie feierte Steinmeier betulich als Menschen, der mit Gedichten »etwas anfangen« könne. Die Autorin hat das missratene Filmchen inzwischen offenbar aus dem Netz nehmen lassen. Man kann dieses stille Verschwinden als das Ende einer Ära begreifen. Der Schriftsteller als Wahlkämpfer, zuletzt nur noch eine unglückliche Figur, verlässt die Bühne. Wir werden ihn nicht vermissen. Dringend benötigt wird aber weiterhin mutig angreifende, aufrüttelnd engagierte, politische Missstände anprangernde Literatur. Ein Blick auf China reicht in diesen Tagen, um uns davon zu überzeugen.