Der Grazer Clemens J. Setz, der selbst Mathematik studiert, erzählte von einem ominösen Quotienten, der sich ergibt, indem man die Seitenzahl des nominierten Romans durch das Alter des Autors dividiert. Sein eigener Wert sei zu hoch, habe ihm ein Journalist vorgerechnet, um am Ende den Buchpreis zu bekommen. Aber auch Tellkamps Quotient habe im Vorjahr über dem Optimum gelegen. Glück vielleicht, dass in der Jury keine Mathematiker sitzen.
Setz hat nicht nur das dickste und verspielteste Buch aller Shortlist-Nominierten geschrieben, im Frankfurter Literaturhaus sprach er auch am amüsantesten über sich und sein Schreiben – im Ton und Stil somit ganz dicht bei seinem Roman »Die Frequenzen«. Dass er gern Pornofilme schaue, war zu erfahren: »Die haben unglaubliche Einfälle, das ist so lustig. Darauf würde Haneke nie kommen.« Der bislang kaum bekannte Autor provozierte mit solcher Offenheit das Lachen des Publikums nahezu mit jeder Aussage.
Ganz anders der Beginn mit Herta Müller, der Höhepunkt des Abends. Ihre Erinnerung an die Gespräche mit dem befreundeten Dichter Oskar Pastior über dessen Zeit in einem Arbeitslager in der Ukraine nach dem Krieg, die das Gerüst ihres Buchs »Atemschaukel« bilden, waren an Eindringlichkeit, an existenziellem Gewicht schlicht unüberbietbar. Den Vorwurf, ihre bildreiche, poetische Sprache sei zu schön für die Schrecken des Lagers, beantwortete Herta Müller ganz schlicht: »Was heißt lyrisch? Ich habe es mir nicht anders vorstellen können. Ich musste es so schreiben.«
Nach Müller zu lesen, war schwer. Es brauchte eine Weile bis die Benommenheit der Zuhörer wich. Dabei hat Norbert Scheuer mit »Überm Rauschen« einen bezaubernden Roman über Familie, Erinnerung, über Sehnsüchte und scheiternde Hoffnungen geschrieben. »Das Glück ist so lange präsent, wie man es sucht. Es ist nicht greifbar, nicht festzuhalten«, sagt Scheuer. Von Kathrin Schmidt war zu erfahren, dass ihr Buch »Du stirbst nicht«, die Geschichte einer quälend langsamen Genesung nach einem Hirnschlag, keine therapeutische Funktion für sie habe; trotz der Parallele zur eigenen Biografie.
Stephan Thome hat es gleich mit seinem ersten Buch, »Grenzgang«, auf die Shortlist geschafft. Sein Roman, unter anderem ein Porträt seiner Heimatstadt Biedenkopf, ist dort ein Kassenschlager, so war von dem 37-Jährigen zu erfahren. Viele Einwohner der hessischen Kleinstadt studieren das Buch, um zu ergründen, ob auch sie zum Personal gehören. Thome erzählte von vielen Briefen, in denen die Absender nachfragen, wer Vorbild für diese oder jene Figur gestanden hat.
Als einziger der Shortlist-Autoren am gestrigen Abend nicht dabei war Rainer Merkel. Die Anreise war ihm verständlicherweise zu weit. Merkel ist für längere Zeit in Afrika.
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