Und wie finde ich als blinde Studentin ein geeignetes Praktikum? Nun, das ist schon nicht mehr ganz so einfach, zumal die Auswahl weit geringer ist als für meine sehenden Kommilitonen. Ich könnte mich beispielsweise jederzeit für ein Praktikum bei Books on Demand in Norderstedt (www.bod.de) begeistern. Allerdings habe ich von dort inzwischen erfahren, dass das Unternehmen nur noch einen Typ von Praktikumsstellen vergibt: im Bereich Layout/Lektorat, wo ich unter anderem mit Photoshop arbeiten müsste. Was für eine Blinde natürlich unmöglich ist. Und das Marketing-Praktikum, das Books on Demand früher einmal angeboten hat, wird mittlerweile nicht mehr ausgeschrieben.
Einen Praktikumsplatz zu bekommen, der nicht nur für eine Blinde geeignet, sondern auch interessant ist, gelang mir bisher meistens nur über das berühmt-berüchtigte Vitamin B. So auf gewisse Weise auch bei der Redaktion Börsenblatt, deren Arbeit ich zwischen dem 27. Juli und dem 21. August näher kennen lernen durfte.
Mein Weg zum Praktikum
Angefangen hat alles mit einer Exkursion im Januar, als die Erlanger Buchwissenschaft den Börsenverein besuchte. Wenig später startete mein Blog „Die Lesewelt der Blinden“. Damit war der Kontakt ausgebaut. Und schließlich konnte ich einen Praktikumsplatz in der Redaktion gewinnen, wo ich verschiedene Recherchen betrieb und kleine Texte schrieb oder korrigierte. Ich erledigte dort also die Aufgaben, die jeder sehende Praktikant ebenso erhalten hätte, wenn ich auch keine Cover- oder sonstige Bildrecherche übernehmen konnte. Und doch ist vieles anders.
Grenzen für eine blinde Praktikantin …
Die Schwierigkeiten fangen schon damit an, dass das Content Management System, mit dem das Börsenblatt arbeitet, mit meiner Blindensoftware nicht kompatibel ist. Die Redaktion verwendet ein Macintosh-Programm. Doch dafür gibt es aus verschiedenen Gründen keinen Screenreader. Was zuerst die Frage aufwarf, ob ich unter diesen Bedingungen denn überhaupt noch an einem Praktikum beim Börsenblatt interessiert wäre. Was aber auch dazu führte, dass ich für die Dauer des Praktikums keine eigene @MVB-Mailadresse erhielt. Und selbstverständlich möchte keiner unternehmensinterne Informationen oder auch sonstige Auskünfte einfach so an einen unbekannten GMX-Account senden. Um abzusichern, dass meine Anfrage nicht von irgendwo her kam, sondern offizieller Natur war, blieb mir also nur eines übrig: den Adressaten aufzufordern, seine Antwort nicht nur an mich, sondern auch an einen meiner Kollegen zu senden. Was ich natürlich jedes Mal aufs Neue mit der Redaktion abstimmen musste.
Gleichzeitig kamen die redaktionsinternen Rundmails nicht automatisch bei mir an. Und mir mit einer kurzen Schlagwortsuche einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Artikel zu einem bestimmten Thema in den letzten Monaten in der Börsenblatt-Printausgabe erschienen sind, lag ohne einen Zugang zum internen Content Management System ebenfalls nicht in meiner Reichweite. Das machte es dann natürlich schwierig, einen anderen Beitrag ähnlich aufzubauen und zu gestalten.
Keinen Zugriff auf das CMS zu haben, wurde aber vor allem dann zum Problem, wenn ich einen Text schrieb, ihn dann aber dort nicht einpflegen konnte. Denn so hatte ich keine Möglichkeit zu überprüfen, ob er zu kurz oder zu lang war, ob er also an die im Heft dafür vorgesehene Stelle passte.
… und für eine blinde Berufseinsteigerin
Für ein Praktikum ist dieser Nachteil natürlich nicht entscheidend. Geht es aber um den Einstieg ins Berufsleben, dürfte er zu einer grundlegenden Barriere werden. Wie könnte ich unter den gegebenen Voraussetzungen jemals eine Volontariats-Stelle beim Börsenblatt bekommen? Ich bin während meines Praktikums beispielsweise zu einem Schriftsteller mitgefahren, der für das Heft portraitiert werden sollte. Es war spannend, das Projekt von seiner Entstehung bis zum fertigen Beitrag zu begleiten. Sicherlich habe ich dabei einiges über das journalistische Arbeiten gelernt. Aber wie könnte ich selbst so ein Portrait schreiben, wo mir doch die optischen Eindrücke fehlen? Wie sieht es in der persönlichen Umgebung des Autors aus? Mit welchen Gesten, mit welcher Mimik reagiert er auf meine Fragen?
Ich kenne einen Blinden, der eine Ausbildung zum Onlineredakteur durchlaufen hat. Doch mit welchen Hindernissen? Und ist es nicht überall so, dass mir meine Sehbehinderung Steine in den Weg legt?
Manchmal suchen Buchhandlungen eine studentische Aushilfskraft, die die Kunden abkassiert oder die Regale mit neu angelieferten Titeln bestückt. Auch an einer solchen Stelle wäre ich durchaus interessiert. Die Arbeit einer Buchhandlung aus nächster Nähe kennen zu lernen, ist sicherlich aufregend. Aber ich kann ja nicht einmal die Verlagsvorschauen lesen, geschweige denn die Wirkung einer Schaufenstergestaltung abschätzen. Ich kann im Lektorat nicht die richtigen Korrekturzeichen setzen, zumindest nicht per Hand. Ich werde niemals in der Herstellungsabteilung eines Verlages arbeiten können, weil mir dafür neben dem Vorstellungsvermögen auch die technischen Grundlagen fehlen. Programme wie InDesign lassen sich eben mit keiner Blindensoftware steuern. Und ich bin auch nicht sehr mobil, was eine Tätigkeit im Vertrieb, zum Beispiel als Verlagsvertreter, doch eher unwahrscheinlich macht. Denn sich als Blinde an unbekannten Bahnhöfen oder in großen, unübersichtlichen Städten zurechtzufinden, ist auf die Schnelle kaum möglich. Ich muss mich dann jedes Mal durchfragen, verlaufe mich ständig und würde viel zu spät zu meinen Terminen erscheinen.
Meine Möglichkeiten
Aber was bleibt denn dann noch für mich übrig, wenn ich zudem nicht in einer Marketing- und Presseabteilung oder in der Buchhaltung arbeiten will? Einen einfachen Bürojob könnte ich sicherlich bekommen. Aber das ist nicht mein Ziel. Und im Blindenwesen, eventuell bei einer Bibliothek mit Verlagsfunktion, möchte ich auch nicht arbeiten. Forschung und Lehre kommen ebenso wenig in Frage. Dafür bin ich nicht der Typ.
So vielfältig die Buchbranche also auch sein mag, für eine Blinde verengen sich die Möglichkeiten, dort eine attraktive Stelle zu finden, doch zusehends. Oder ist meine Herangehensweise – dies will ich nicht werden, dort möchte ich nicht arbeiten - zu wählerisch? Zu anspruchsvoll? Sicherlich ist es gut, wenn ich weiß, was ich will. Aber sollte ich aufgrund meiner Behinderung vielleicht zu mehr Kompromissen bereit sein? Die Hauptsache ist doch, Geld zu verdienen. Wer zusätzlich einen Beruf hat, der ihm Spaß macht – umso besser.
Trotz aller Grenzen und Barrieren habe ich mich vor drei Jahren dafür entschieden, Buchwissenschaft zu studieren. Denn Bücher sind nun einmal meine große Leidenschaft. Und nur wer aufgibt, hat bereits verloren.