Seit Mitte der 80er Jahre fahre ich alljährlich zur Buchmesse und wüsste gar nicht, wie ich den Herbst ohne dieses Ereignis überstehen sollte. Damals geriet ich noch in Verzückung, wenn ich von ferne Peter Scholl-Latours oder Utta Danellas ansichtig wurde, und stellte mir die Bücherwelt als irdisches Paradies vor.
Das hat sich mittlerweile gelegt; ich habe erkannt, dass auch Bestsellerautoren und Feuilletonpäpste meist mit Wasser kochen und dass ich nicht mit jedem Literaturkritiker oder Verleger beim Bier zusammensitzen möchte. Ich nehme es gelassen hin, sobald man mich zum 20. Mal auf die mangelnde Zukunft des gedruckten Buches anspricht, und empfinde Mitleid, wenn ich an den Ständen der Zuschussverlage zur Kasse gebetene Hobbyautoren sehe, die darauf warten, von Ijoma Mangold oder Christine Westermann entdeckt zu werden.
All das erregt mich nicht weiter – ein erfreulicher Zustand des Gleichmuts, der sich erst ändert, sobald es ums Selbstgeschriebene geht. Mit dezentem Bangen sah ich in der Vergangenheit dem Messetreiben zu, wenn ich den Markt mit einer eigenen Publikation – sei es zur Literatur, zum Fußball oder zum Schlager – beglückt hatte. Doch meistens ging die Sache gut ab, zumal halbwegs seriös auftretende Sachbücher selten zu Erregungsschüben auf der Messe sorgen.
Dieses Jahr ist es anders, dieses Jahr debütiere ich als Romancier, da man sich ja auch im gesetzten Alter neuen Herausforderungen stellen und, ganz im Sinne der neuen Bundesregierung, geistige Mobilität an den Tag legen soll. Eine leichte, aber nicht peinliche Geschichte wollte ich schreiben, einen Roman ohne jede Shortlist-Ambition, aber mit dem Anspruch, Leserinnen und Leser neugierig zu machen. Dem Piper Verlag gefiel diese Idee, und so ist daraus – wenn schon, denn schon – ein kleiner Liebesroman geworden, der "Madame Cottard und eine Ahnung von Liebe" heißt, in Paris spielt und von einer Buchhändlerin und einem Korkenvertriebsmann (eine unterschätzte Berufsgruppe in der Literatur!) handelt.
Natürlich sehe ich die Gesichter befreundeter Kritiker oder Verleger vor mir, sollte ihnen das Buch in die Hände fallen. Mancher wird an Barbara Schönebergers CD-Debüt "Jetzt singt sie auch noch" denken und klammheimlich nach Sexstellen suchen, ohne die ein Liebesroman heutzutage ja schwerlich auskommen kann. All das muss ich tapfer verdrängen. Ich werde Baldriantropfen ins Handgepäck tun, mich gewissenhaft auf die Lesung im Frankfurter Kunstverein vorbereiten und versuchen, nicht jeden Augenaufschlag eines Kollegen zu interpretieren. Und natürlich setze ich darauf, dass mein Verlag das Buch optimal am Stand präsentieren wird und ich nicht der Versuchung nachgeben muss, Titel stillschweigend umzugruppieren.
Am schönsten wäre es – davon träumen Autoren –, wenn ich, hinter einer Säule stehend, eine Buchhändlerin beobachten dürfte, die sich hoffnungsvoll dem Piper-Stand nähert, nach meinem Buch greift, zu lesen beginnt und die Zeit vergisst. Das sähe ich gern. Vielleicht wird es ja doch eine schöne Buchmesse.