Buchmesse

Und nichts drauf: Besuch bei Arches Kalendern

14. Oktober 2009
Redaktion Börsenblatt
Von den halbstündig getakteten Besprechungs-Quickies auf Messen gibt es, grob unterschieden, zwei Sorten: Die, an deren Ende der Kopf wieder ein bisschen leerer geworden ist. Und die, aus denen man gedanklich bereichert wieder herausgeht. Die einen laufen unter "abarbeiten", die anderen unter "auftanken". Im Folgenden sei von einem Kurztermin der zweiten Sorte berichtet.

Elisabeth Raabe, Verlegerin des Arche Kalender Verlags, hatte mich zu Ihrem Stand (Halle 4.1 F119) eingeladen, vor allem wohl, weil wir einander noch nicht persönlich kannten, sondern nur vom Telefon. Jemand, der Kalender macht, braucht Anschauung, klarer Fall.

Ich hab's privat nicht so mit Kalendern, diesen Aufreihungen noch bevorstehender oder schon stattgehabter Tage, die einem das Bemessensein von Zeit so überdeutlich vor Augen führen. Also bin ich da hin zu diesem Arche-Stand mit eher moderater Erwartung, nennen wir es eine professionell freundliche Neugier. Aber dann!

Schon der Stand selbst: Wie er den Blick fängt mit einer breiten Wand, auf der Sätze von Schriftstellern über das Schreiben stehen. Zum Beispiel die Selbsterkenntnis von Sándor Márai: "Ich lebe nur noch zwischen den Zeilen meiner Arbeit"; oder das Bekenntnis von John Junkie Updike: "Schreiben ist eine Sucht"; oder Agatha Christies puristische Berufsauffassung: "Schriftsteller haben zu schreiben, nichts weiter". Da steht man mitten im Messetrubel, und für einen Moment geht einem das Licht auf, dass Buchmessen im Lebenslauf eines Buches erst ziemlich weit hinten kommen.

Als dann Frau Raabe, die ihrem Beruf schon sehr lange nachgeht, aber immer noch mit einer Lebendigkeit darüber erzählt, als hätte sie gerade erst begonnen, als dann Frau Raabe ihren Literaturkalender 2010 hervorholt, mit einer wunderschönen, von Annie Leibovitz fotografierten Susan Sontag auf dem Titel, und als sie dann durch dieses kommende Jahr blättert, um im Juli bei einem Bild von Gottfried Benn hängenzubleiben, wie er da in seiner Arztpraxis an einem übervollen Schreibtisch sitzt, wozu ein Text von ihm passt, den er 1952 als Antwort auf eine Umfrage der "Welt am Sonntag" gab, die ihn nach dem Schreiben am Schreibtisch gefragt hatte, woraufhin er zur Antwort gab, er habe neulich vor einem Innendekorations- und Antiquitätengeschäft gestanden und dabei sei sein Blick auf einen Schreibtisch gefallen: "2 Meter zu 3 Meter, dunkel gebeizt, spiegelnd, nichts drauf" - wie Frau Raabe all dieses begeistert und begeisternd zeigt und schließlich noch vorblättert in den Dezember, kurz vor Weihnachten, wo ein Blatt einen alten Friedrich Dürrenmatt vor einem unendlich breiten Schreibtisch daheim in Neuchâtel bei der Arbeit zeigt, und im dazugehörenden Bildtext fehlt natürlich nicht der Rückverweis auf den Juli-Kollegen Benn: Als all das geschah, begann beim Besucher am Arche-Stand, immerhin im 48. Lebensjahr, ganz unverhofft ein Interesse für Kalender zu entstehen.

Und er fasste neuen Mut, zu halbstündig getakteten Besprechnungs-Quickies auf Messen zu gehen. Man weiß ja nie.