Frankfurter Buchmesse

Friedenspreisträger Claudio Magris: "Wir sind blinde Bewahrer"

18. Oktober 2009
Redaktion Börsenblatt
Ein starkes, geeintes Europa, "einen echten Staatenbund": Das wünscht sich Claudio Magris. Der italienische Schriftsteller ist gerade in der Paulskirche mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Und hat in seiner Dankesrede über Krieg und Frieden nachgedacht, mit ernsten politischen Botschaften und leiser Heiterkeit.

Dabei bezog sich Magris auch auf einen Satz von Bertolt Brecht: »Ändere die Welt, sie braucht es«. Und fügte hinzu: »Ändere sie auch, wenn alles dich drängt zu glauben, dass dies unmöglich sei«. Dass die Mauer im November 1989 fallen würde, habe selbst wenige Tage vor der Öffnung der Grenze niemand geglaubt, sagte der Friedenspreisträger: »Denn wir sind fast alle blinde Bewahrer, überzeugt davon, dass die Ordnung oder die Unordnung der Dinge, in denen wir leben, unwandelbar seien, das Endstadium der Geschichte. Wir glauben zwar nicht an die Ewigkeit, aber wir glauben, dass die Gegenwart ewig sei«.

Krieg, so Magris, finde heute nicht mehr in Schützengräben statt, sondern nehme ganz andere, neue Gesichter an: "Da sind nicht nur das Blutbad in Biafra, der 11. September in New York oder die Tonnen von Metyhlisocyanat in Bhopal, die noch mehr Tote gefordert haben. Krieg ist auch der Handel mit Organen von Kindern, die zu diesem Zweck getötet werden, er ist die ununterbrochene Kette von Menschen, die die Mafia ermordet". Und selbst wenn der Eiserne Vorhang inzwischen gefallen sei, gebe es heute andere Grenzen, die den Frieden bedrohten: »Bisweilen unsichtbare Grenzen im Innern unserer Städte, zwischen uns und den Neuankömmlingen aus allen Teilen der Welt." 

Mit seiner Rede stellte Magris einmal mehr das unter Beweis, was Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder vorher in seinem Grußwort gewürdigt hatte – dass der Friedenspreisträger 2009 ein "sprachmächtiger Interpret der Kulturen" ist.

"Die mitteleuropäische, die europäische Erfahrung speist und erfüllt Magris’ gesamtes Schaffen", so auch sein Laudator, der Historiker Karl Schlögel: "Seine Romane sind bevölkert von Opfern und Tätern, manchmal auch von Opfern und Tätern in einer Person, wie sie nur der geschichtliche Schauplatz des mittleren Europa hervorgebracht hat". Dabei habe Magris "den Faden der Zeit aufgewickelt", nicht nur von Schrecken, sondern auch von der Schönheit, von den Entdeckungen erzählt, die er im so genannten "anderen Europa" gemacht habe: »Europa kann nach dem 20. Jahrhundert eine Portion Schönheit und Zuversicht gebrauchen. Für dieses Geschenk danken wir Claudio Magris, und dafür ehren wir ihn."

Spontanen Applaus gab es bei der Friedenspreisverleihung für Oberbürgermeisterin Petra Roth, die in ihrem Grußwort kurz auf das Buchmesse-Leitthema "Digitalisierung" einging: "Nur wenn wir das Recht auf geistiges Eigentum verteidigen, wird es auch das gedruckte Buch noch geben". Im Publikum saß unter anderem Viviane Reding, EU-Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien.

Mehr über den Friedenspreisträger 2009 und die Geschichte des Friedenspreises auf der unten genannten Website.